Der Januar 2024 in der Bildungseinrichtung. Ein heißer Monat, trotz leichter Kälteeinbrüche. Die Schülerinnen und Schüler – also die Großen unter ihnen – werden langsam mittelschwer nervös aufgrund der bevorstehenden Abiturprüfungen, einige, manche. Im Land scheint alles im „rasenden Stillstand“ (Hartmut Rosa) begriffen, Blockade(n) hier, Demonstrationen da. Man muss selbst aufpassen, nicht in einer politisch-resignativen Unruhe gefangen zu bleiben.

Klingt etwas verkopft und kompliziert geschraubt. Ja, stimmt. Und dennoch: Was ist los in dem Land, mit den Menschen – fragt man sich ein ums andere Mal. Und die Was-ist-zu-tun-Frage folgt auf dem gedanklichen Fuße. Mitte des letzten Monats erreichte mich die Mail einer besorgten Mutter. Auch sie: Was können wir tun, gegen die Rechtsentwicklung im Lande da und im Lande dort. Ich schrieb ihr, dass wir bereits 2012/13 mit den Jugendlichen auf der Straße und an Straßenkreuzungen standen, Aug in Aug mit den NPD-Kadern und deren Anhängern, die unbedingt eine „Multikulti“-Stadt und den geplanten Moscheebau verhindern wollten.

Ich erinnere mich gut. Auch an das Plakat eines Schülers. Es fiel damals etwas aus dem Rahmen und ich wurde gefragt, was das denn auf dieser Anti-Nazi-Demo zu suchen habe. „Gegen den Kleingarten im Kopf!“, stand drauf. Wieso? Hier geht’s doch gegen komfortable Neonazis? Da hat doch eine anti-kleinbürgerliche Losung nichts zu suchen? „Ganz Leipzig hasst die NPD!“ – das wären die richtigen Plakate gewesen. (Letzteres nur – damals wie heute – leider zu ambitioniert. Oder: „Schön wär’s ja.“)

Die AfD – geistig und völkisch-national nuanciert entfernt von den „Nationaldemokraten“ – gab es damals noch gar nicht oder sie steckte noch in den professoralen Lucke-Kinderschuhen. Die Sympathisantinnen und Freunde sind aber gar nicht so verschieden, wenn es reichlich 10 Jahre später um die Anhängerschaft der zahlenmäßig so starken rechten Protestbewegung geht. Der deutsche Kleinbürger, Ü50, alt, weiß, ordnungsliebend, graumeliert, binär, natürlich männlich, wählt rechts. Stimmt auch zumeist.

Er ist geschichtsvergessen, zuckt beim wiederholten Anführen der historisch einmaligen Naziverbrechen erschreckend gelassen mit den Schultern, ist gleich auf 180, wenn man nur „Regierung“ sagt, wird hochrot beim Begriff „Demokratie“, faselt gar von Diktatur …

Die sind gefährlich, sagten mir die jungen Leute in der Schule. Ja, stimmt, sagte ich, die werden es möglicherweise schaffen, Sachsen in ein Zwei-Parteien-Parlament zu hineinzuwählen. Also muss etwas getan werden, meinte auch die besorgte Mutter, schickte mir Links zu Experten, die den Schülern das „Argumentieren gegen rechts“ beibringen sollten.

Gleichzeitig wurden meine Aktivitäten der Vergangenheit durchaus (an-)erkannt, da ja bereits linke Politiker*innen wie Gysi, Kipping und Habeck unsere Gesprächspartner in der Schillerakademie waren. Aber jetzt klang das wie ein Weckruf, endlich ernsthaft etwas gegen rechts zu tun, die Gefahr sei doch riesengroß.

Ja, ist sie. Aber eben nicht erst seit Beginn des Jahres. Zeitlich parallel zur Riesenkrise einer kleinliberalen Koalition, die sich das Attribut „Fortschritt“ in den Vertrag schrieb – tatsächlich für die meisten Menschen eine unverständliche Belastung darstellt, weil sie ohne Vision daherkommt.

Außer solch einer der „Opfer-Bringens“ für die Aggressionen (immer) der Anderen oder wie es CDU-Merz märchenonkelhaft formuliert: „Für die ganze Unordnung in der Welt“. Wer’s glaubt, geht bedenkenlos auf die Straße, mit Transparenten wie „Bunt statt braun“ oder „Nazis – nein danke!“ Finden Sie das etwa falsch? Nein. Nur ist das nur die halbe, besser die zurechtgeschneiderte Wahrheit, die so ermutigend und sozial-verbindend warm klingt wie eine frühlingshafte Februarbrise. Eine Episode, mehr nicht.

Ach, so pessimistisch denken Sie? Finden Sie es denn nicht gut, 30.000 in Leipzig demonstrieren für Freiheit und Demokratie? Doch, es hilft schon. Ein demonstratives Sprühpflaster. Erste Hilfe. „Die Panik, die jetzt die Mittelkasse ergreift, der jetzt hektische Aktionismus, bis hin zu geforderten Verboten, reichte dann immer nur so weit, bis die ‚Brandmauer‘ gegen die Faschisten um Höcke und Co. gerade noch so hielt.

Jetzt bröckelt sie, jetzt merkt man, dass es nicht mehr nur Demokratieverdrossenheit ist, sondern eine tiefe Vertrauenskrise des demokratischen Parteienspektrums vorherrscht. Weil die Auswirkungen der immer unsozialeren Politik der letzten Jahrzehnte deutlicher spürbar werden. Dass die Antworten seit einigen Jahren immer mehr auf rechter und in der Konsequenz noch stärker unsozialer Seite gesucht werden, ist die tragische Folge.

Von der Mitverantwortung für deren Aufkommen ist die gegenwärtige, regierende Politik nicht
freizusprechen.“ Dies schrieb ich per Mail zurück. Nicht falsch verstehen: Ich bin weit entfernt davon, diesen Zustand mit Schadenfreude oder gespielter Trauer zu beschreiben. Aber gleichzeitig einen nachhaltigen Antifaschismus anzustreben – sollten das nicht im besten Sinne demokratisch-humanistische ja, patriotische (Sie lesen richtig) Pflicht und Gebot der Stunde sein? Um das Land vor einem potenziellen Bürgerkrieg zu bewahren.

Stattdessen einen Antifaschismus zu suchen und zu versuchen, der die gefährliche Nähe von Neoliberalismus und Autoritarismus in den befürchteten Formen erkennt? „Die AfD ist ganz klar auf dem Boden der bisherigen Politik entstanden. Auf Sozialabbau, Versagen in der Bildungspolitik, falschen Prioritäten in der Haushaltspolitik, vor sich hergetragenem Pseudomoralismus – und alles auf einem sehr zweifelhaften ‚Wertekanon‘ der Doppelstandards von Humanismus aufgebaut.“

Stand auch in meiner Antwort-Mail. „Es sind also weiterdenkende Antworten gefragt.“ Las ich mal bei Albert Schweitzer. Arzt und Theologe, Nobelpreis 1952. Für den Frieden. (Fortsetzung folgt)

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar