Der Streit um die Paulinerkirche wird nicht enden. Die Leipziger Regionalgruppe der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs Leipzig) sowie der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) wollen jetzt mit einer Demonstration verhindern, dass das Hochschulgebäude „Paulinum“ zunehmend in eine „Universitätskirche“ umgedeutet wird. Dazu wird am 2. Dezember demonstriert.

Am Samstag, 2. Dezember, um 13:00 Uhr, wollen sie dafür vor dem Paulinum eine „öffentliche Entweihung“ vornehmen und haben zwei überlebensgroße Skulpturen dabei, die unter anderem das „12. Gebot“ verkünden: „Du sollst Deine Kirche selbst bezahlen!“

Dass in Leipzig derart demonstriert wird, hat mit der immer neuen Grenzverwischung zu tun. Denn Leipzigs Problem sind nicht die 83 Prozent Atheisten, die man jüngst beim „Kirchentag auf dem Weg“ so unerreichbar fand, sondern es ist die systematische Vermengung von Staat und Kirche – vor allem betrieben von einer Staatsregierung, die sich bei jeder Gelegenheit ein christliches Mäntelchen umhängt und so tut, als wären nur religiöse Menschen anständige Menschen.

Was freilich einen fatalen Schlagschatten wirft, wenn selbst der noch regierende Ministerpräsident bei seiner CDU-Feier im Paulinum im August davon fabuliert, dass im neuen Paulinum „Glaube und Wissen wieder zusammenkommen“. Das war deutlich genug: Der Mann hat nicht einmal begriffen, was unabhängiges und wissenschaftliches Denken bedeutet.

Das passt leider in eine Zeit, in der allerlei Verschwörungspragmatiker einen Generalangriff gestartet haben gegen die Aufklärung und gegen das wissenschaftliche Denken.

Jana Adler, Sprecherin der gbs Leipzig: „Glaube und Wissenschaft stellen immer noch einen unvereinbaren Widerspruch dar. Außerdem ist es nicht Aufgabe der Universität oder des Staates, sich um Glaubensfragen zu kümmern. Und insbesondere wurde gerade die Wissenschaftsfreiheit gegen massiven Widerstand der Kirchen erkämpft. Hieran werden wir mit der Skulptur ‚Der Quengel-Bischof‘ erinnern, die in Leipzig bisher noch nicht gezeigt wurde.“

Der „Quengel-Bischof“ sieht sich einer riesigen Steintafel gegenüber, die ihm auflistet, was alles gegen die Kirche und ihren Allmachtswahn durchgesetzt wurde – von den Menschenrechten über die Meinungsfreiheit, die Frauenemanzipation bis zur Religionsfreiheit.

Und all das wurde nur erreicht, weil das permanente Hereingerede von Glaubenswächtern in Wissenschaft und Selbstbestimmung unterbunden wurde. Doch wir leben in einer Zeit, in der wieder die Macht der Hirngespinste Aufwind erhält und – siehe Tillich – gewählte Politiker unfähig scheinen, klare Grenzen zwischen Wissen und Glauben zu ziehen. Und das dann auch noch für moralisch halten.

Die Statements der Protestierenden:

Maximilian Steinhaus, Regionalbeauftragter des IBKA für Sachsen: „Uns geht es nicht um eine Relativierung der Zerstörung der alten Kirche. Aber was geschehen ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Es ist zwar zulässig, dass das neue Hochschulgebäude in Erinnerung hieran wie eine Kirche aussieht – aber deswegen ist es noch lange keine Kirche! Wenn der Freistaat Sachsen besser sein will als die DDR, dann täte er gut daran, sich an das Grundgesetz zu halten. Wir haben in der Verfassung den Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche. Dieses Prinzip gilt vor allem institutionell, d. h. eine öffentliche Hochschule darf nicht mit einer Kirche verbunden sein. Und erst recht muss diese Trennung bei den Finanzen beachtet werden: Mit Hochschulgeldern darf daher keine Kirche gebaut werden.“

Jana Adler: „Hierbei geht es nicht nur um die Bezeichnung als „Universitätskirche St. Pauli“, sondern auch um die öffentliche Wahrnehmung des Gebäudes und dessen Nutzung: Die Universität und der Freistaat Sachsen sind zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet. Diese wird aber mit Füßen getreten, wenn die Universität ihre Räume nur für christliche Gottesdienste zur Verfügung stellt, obwohl über 70 Religionen und Weltanschauungen in Leipzig vertreten sind. Gottesdienste und eine Kanzel in der Aula – das passt nicht zur Universität als einem Ort der Wissenschaft!“

Jana Adler: „In Leipzig sind wir schon durch unsere Aktion „11. Gebot: Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen!“ bekannt. Durch den erneuten Verstoß gegen die Trennung von Staat und Kirche sehen wir uns gezwungen, nun noch ein 12. Gebot zu verkünden: „Du sollst Deine Kirche selbst bezahlen!“ Damit spielen wir insbesondere auf den Paulinerverein an. Diese Lobbygruppe versucht seit Jahren massiv, das Hochschulgebäude mehr und mehr in eine Kirche umzudeuten. Aber wenn eine Religionsgemeinschaft – gleich welcher Konfession – ein Gebäude zur Verehrung eines imaginären Wesens benötigt, dann muss sie dieses selbst bezahlen!“

Maximilian Steinhaus: „Wir werden sowohl am Freitag als auch Samstag vor dem Paulinum mit unseren Skulpturen demonstrieren. Am 2. Dezember 2017 um 13:00 Uhr nehmen wir vor dem Paulinum eine ‚symbolische ENTweihung‘ vor, damit auch der letzte Ewiggestrige endlich versteht: Im Paulinum ist eine Aula und keine Kirche! Hierzu rufen wir alle säkular denkenden Menschen in Leipzig – egal ob gläubig oder ungläubig – auf, sich uns anzuschließen. Auch die Studierendenschaft der Universität äußerte sich immer wieder kritisch gegenüber den weiten Zugeständnissen im Zusammenhang mit der Kirchenfunktion des Paulinums. Wir hoffen daher auf deren rege Teilnahme. An die Rektorin der Universität richten wir den Appell, insbesondere dem Paulinerverein gegenüber standhaft zu bleiben.“

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Es gibt 7 Kommentare

Hallo Christian,
zu folgendem Punkt
“Sinnvolle Leistungen sehe ich ich der Daseinsvorsorge, als Träger von Heimen, Kindergärten, Schulen und vielen anderen gemeinnützigen Einrichtungen. Solche Dinge „rechnen sich nicht“ – insofern unterstützt sogar jeder Kirchensteuerzahler den Staat zusätzlich mit finanziellen Mitteln, die eigentlich aus dem Steueraufkommen aller bezahlt werden sollten.”
hätte ich die Anmerkung, dass diese Leistungen tatsächlich nicht aus der Kirchensteuer finanziert werden, sondern bis zu 100 % aus staatlichen Zuschüssen, also von jedem Steuerzahler. Hier hängt sich also die Kirche das Deckmäntelchen der Gemeinnützigkeit nur um, genießt aber zusätzlich die Vorteile des kirchlichen Arbeitsrechts. Außerdem gibt es Fälle (z.B. die Hilfsverweigerung von gleich zwei katholischen Krankenhäusern im Falle einer vergewaltigten Frau) bei denen deutlich wird, dass man solche gemeinnützigen Leistungen doch besser einem weltanschaulich neutralen Staat überlassen sollte.

Lieber Christian, danke für die Antwort. Gerade der letzte Satz zeigt unsere Gemeinsamkeiten. Gerne würde ich noch folgendes anmerken: Feiertage sind in Deutschland gesetzlich, also staatlich, wenn sie früher auch andere Bedeutungen hatten. Zugespitzt gibt es den Kürbistag also schon, zigfach. Und doch, der Staat verschenkt diese Tage (siehe die Debatte um die Abschaffung des Buss- und Bettages als bundeseinheitlichen Feiertag) und mischt sich ganz natürlich nicht darin ein, wie jeder Einzelne sie nutzt/ begeht.
In die kirchlichen Leistungen fließen auch Steuergelder ein, aus den Staatsverträgen mit den Kirchen. Dass diese damit gemeinnützig arbeiten ist lobenswert (sollte sich allerdings auch von selbst verstehen). Beim letzten Punkt liegen wir jedoch völlig auseinander. Die Individualrechte sind von der Kirche nicht anerkannt worden, und als Luther einige davon “entdeckte”, erschrak er sich so, dass er sie den Fürsten vorbehalten wollte. Kollektivrechte (Streik, Sozialversicherung etc.) wurden von beiden Kirchen bekämpft.

Lieber Matthias,

gewiss, allerdings spielte die Kirche vorher lange Zeit eine wichtige Rolle in der Universität, wurde lange nach der Reformation als evangelische Kirche akzeptiert und genutzt. Von Universität und Kirchgängern.

Auch ich freue mich über jeden Feiertag, jedoch wäre ein freier Tag kein “Feiertag”, gäbe es nicht eine sinnvolle Bedeutung dafür. Ein Kürbis-Feiertag kann mir zumindest nicht vermittelt werden. Der Staat verschenkt solche Tage ja nicht an seine Bürger, damit sie gute Laune haben.

Sinnvolle Leistungen sehe ich ich der Daseinsvorsorge, als Träger von Heimen, Kindergärten, Schulen und vielen anderen gemeinnützigen Einrichtungen. Solche Dinge “rechnen sich nicht” – insofern unterstützt sogar jeder Kirchensteuerzahler den Staat zusätzlich mit finanziellen Mitteln, die eigentlich aus dem Steueraufkommen aller bezahlt werden sollten. Kriseninterventionsteams oder auch Anlaufstellen für Bürger mit verschiedensten psychischen, sozialen oder anderen Problemen werden von der Kirche getragen.

Ja, sicher gibt es auch Rechte, die gegen religiöse Ansichten durchgesetzt wurden. Und auch die Kirche hat so manche “Leichen im Keller liegen”. Jedoch wurde auch durch religiöse Ansichten vieles in Deutschland geprägt, was heute von vielen als Abendland hervorgehoben wurde und uns von anderen ferner liegenden Ländern erheblich positiv unterscheidet. Auch die 10 Gebote bilden ethische und moralische Grundwerte ab, die heutzutage manchen Menschen etwas mehr anempfohlen werden könnten…

Ich stimme Dir zu, eine deutlichere Trennung würde allen zugute kommen.

Lieber Christian,
1. die Kirche wurde in der Reformation einfach enteignet als die Klöster aufgelöst wurden. Da half schon damals kein Ärger.
2. die sogenannten kirchlichen Feiertage sind doch längst säkularisiert. Man freut sich auf freie Tage, der Anlass ist doch egal, wie auch der Name. Wir könnten sie gegen frei erfundene bank holidays eintauschen.
3. welche sozialen Hilfeleistúngen bietet die Kirche? Und wer ruht sich darin aus?
4. Grundwerte? Es gibt Grundrechte, die gegen die Kirche erkämpft wurden. Oder meinen Sie die 10 Gebote?
Religion und Kirche sind spätestens seit dem 20. Jahrhundert Privatvergnügen. Für mein Hobby zahle ich selbst oder nutze mit anderen gemeinsam öffentliche Infrastruktur. Alles Andere halte ich für vermessen!

Ich konstatiere: schwieriges Thema.
Gute und schlechte Argumente auf beiden Seiten.

Die Kirche ärgert sich nun wahrscheinlich heute, der Universität vor Jahrhunderten das Kirchengebäude übereignet zu haben.
Da reißt man das für die theologische Fakultät wichtige Gebäude einfach ab, und “was geschehen ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden”. Wirklich? Warum?

Alle freuen sich auf kirchliche Feiertage, wollen aber keine Kirchensteuer zahlen oder etwas mit Kirche zu tun haben.

Viel ruhen sich auf den sozialen Hilfeleistungen der Kirchen aus; ohne sie sähe es in Deutschland wesentlich düsterer aus.
Auch die sogenannten “Grundwerte” sind zu einem großen Teil religiösen Ursprungs und gehen auf entsprechende gesellschaftliche Aktivitäten zurück.

Staat und Kirche sind öfter miteinander vermengt, das fördert kritische Stimmen – zu Recht.

Parteien berufen sich auf ‘christliche’ Werte, produzieren jedoch Politik fernab jener Werte und Ansichten.

Trotz Für und Wider finde ich die engagierten Reaktionen der Leipziger Bürgerschaft gesund und bemerkenswert;
man kann eben nicht einfach machen, was man will.

Och, darauf hab ich doch ein schönes Zitat von Georg Christoph Lichtenberg: “Zu den jährlichen Sterbelisten sollten noch folgende Rubriken hinzukommen: In den Himmel sind gekommen 33; zum Teufel sind gefahren 777; zweifelhaft 883. Mit solchen Zetteln könnten die Theologen sich Geld verdienen.”

“..vor allem betrieben von einer Staatsregierung, die sich bei jeder Gelegenheit ein christliches Mäntelchen umhängt und so tut, als wären nur religiöse Menschen anständige Menschen.”
Da haben die in der CDU/CSU aber eindeutig den falschen Mantel erwischt. Ich kann bei denen nichts wirklich christliches sehen.

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