Black Friday. Großer Ausverkauf heute. Donald kündigt an, das Weiße Haus zu verlassen. Melania kündigt nichts an, wird Donald aber trotzdem verlassen. Allerdings erst wenn der Black Friday Sale vorbei und sie aus dem Weißen Haus raus ist. Da aber niemand – nicht mal das Weiße Haus – weiß, wo der Black Friday Sale eigentlich herkommt, kündige ich hiermit an, den Anlass, den Ort und die Zeit für diesen seltsamen Tag hier und heute zu nennen.

Es ist der 28. November 1873. An diesem Tag veröffentlicht die Times-Argus aus Selma/Alabama auf Seite 3 ihrer Freitagsausgabe die Anzeige einer Firma namens Titsworth. Der Name klingt, als hätte ihn Donald sich ausgedacht. Aber es ist ein Bekleidungsgeschäft, was eher auf Melania hindeuten würde. Wenn, ja wenn nicht alles schon so lange her wäre. Aber wie dem auch sei. Der Anlass für den Black Friday markiert trotzdem das Ende einer Zeit, auch wenn es nicht das einer Präsidentschaft, sondern das eines Börsenrauschs ist.

Was freilich auch zu Donald Trump und seiner Präsidentschaft passen würde, allein schon angesichts der Tatsache, dass der Dow Jones aktuell wieder steil nach oben strebt und manch einer immer noch glaubt, man könne es sich einrichten in der Höhe, in diesen unwirtlichen Gefilden, wo die Luft dünn ist und es rundrum eigentlich nur noch bergab geht.

1873 lief es im Grunde genauso. Damals, am Freitag, den 9. Mai, brachen in mehreren Ländern die Börsen zusammen. Es war nicht der erste Schwarze Freitag in der Börsengeschichte. Schon am 6. Dezember 1745, am 11. Mai 1866 und am 24. September 1869 waren die Kurse abgestürzt.

The Times-Argus, Selma, Alabama: Thanksgiving, 28. November, Seite 3. Quelle: newspapers.com
The Times-Argus, Selma, Alabama: Thanksgiving, 28. November, Seite 3. Quelle: newspapers.com

Eine kleine Sache aber ist 1873 anders, denn die Bekleidungsfirma Titsworth – die mit vollem Namen Titsworth, Scott & Co heißt – nutzt den Kurssturz an der Börse aus und kauft große Mengen an Waren zu extrem günstigen Preisen. Einen Tag nach Thanksgiving, am 28. November 1873, gehen sie dann in den Verkauf.

In der dazugehörigen Anzeige schreiben die Firmeninhaber, dass sich die Spekulanten verzockt haben und die Preise für den Königsrohstoff, die Baumwolle, abgestürzt sind. „Seine Hoheit wurden entthront. Dann kam die Revolution“, heißt es. Aber es war keine politische Revolution, sondern eine des Handels.

Ihre Grundlage waren die Panikverkäufe der Börse. Kein Wunder, dass Titsworth, Scott, & Co ihre Waren zu „Panikpreisen“ verkaufen. Vor allem Herrenanzüge sind günstig zu haben, auch wenn die damaligen Rabatte verglichen mit den heutigen geradezu lächerlich sind. Mehr als 25 % gibt’s für die Schnäppchenjäger nicht zu holen.

Zu einem wahren Schlachtfest der Preise, das dann auch so heißt, kommt es erst Mitte der 1880er Jahre. Am Schwarzen Freitag setzen die Kaufhäuser riesige Anzeigen in die Zeitungen. Im Courier-Journal aus Louisville/Kentucky steht in großen Lettern quer über die ganze Seite geschrieben: „Schwarzer Freitag! Ein schreckliches Gemetzel! Ein fürchterliches Opfer!“

In den Werbeanzeigen vermischen sich Erinnerungen an die Börsencrashs mit historischen Motiven. Der Freitag gilt in den USA zu dieser Zeit als Hinrichtungstag. Bis weit ins 20. Jahrhundert werden – mit Ausnahme des Bundesstaates New York – die zum Tode Verurteilten in den USA ausschließlich freitags exekutiert. Wobei der Schwarze Freitag natürlich auch biblisch grundiert ist, schließlich wurde Jesus an einem Freitag gekreuzigt.

Es ist diese Gemengelage, aus welcher der Schwarze Freitag seinen grausamen Glanz und seine Verkaufskraft bezieht. Statt des Heilands werden jetzt die Preise gerichtet. Mit der Kreuzigung wird Kasse gemacht. Auch wenn das die Händler natürlich nicht so sagen und sich selbst zum Opfer erklären. Ein Herrenausstatter schreibt am 4. Januar 1885 im Courier-Journal: „Wir verkaufen unsere Waren mit großem Verlust. Wir opfern uns für unsere Kunden“.

Mit Thanksgiving ist der Schwarze Freitag da schon nicht mehr verbunden. Das wird er erst später wieder werden. Die Opferhaltung dagegen lebt in amerikanischen Kultur fort. Die große Erzählung vom „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ und dem „American Dream“ verdeckt sie zwar für Jahrzehnte. Durch die Präsidentschaft Donald Trumps aber ist sie – auf allen Seiten des politischen Spektrums! – wieder ans Tageslicht gekommen.

The Rise of Victimhood Culture“ haben die Soziologen Bradley Campbell und Jason Manning diesen Prozess genannt und sich in ihren Forschungen – kleine Ironie der Geschichte – auf die Arbeiten eines Soziologen namens Donald Black bezogen. Aber das ist eine andere Geschichte. Oder sagen wir besser: Ein anderes schwarzes Kapitel einer noch weitgehend unbekannten amerikanischen Meistererzählung…

Alle Auszüge aus dem „Tagebuch eines Hilflosen“.

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