Seit dem Sommer rumort es ja in den beiden namhaften Leipziger Kirchgemeinden St. Thomas und St. Nikolai, seit noch kurz vor den Sommerferien ein Bescheid des Landeskirchenamtes in die Briefkästen flatterte, die Vereinigung der beiden Kirchgemeinden zu vollziehen. Gut möglich, dass hier das Landeskirchenamt einmal mehr bürokratisch und unsensibel agiert. Aber dahinter steckt auch ein Druck auf die sächsischen Kirchen, den man in Leipzig nur noch nicht so spürt.

Denn beschlossen wurde die Zusammenlegung von Kirchgemeinden schon im April 2018 von der Landessynode der Evangelischen Kirche in Sachsen. Das ist so etwas wie das gesetzgebende Gremium der Evangelischen Kirche, also so eine Art Landtag. Das Landeskirchenamt ist nur das ausführende Organ.Wie die Landessynode zusammengesetzt ist und arbeitet, kann man auf der Website der Evangelischen Kirche Sachsen genauer nachlesen.

Dort findet man auch die Berichte und Protokolle zu den Tagungen der Landessynode und ihren Beschlüssen, die auch als Gesetzblatt veröffentlicht werden.

Das ist zwar für Außenstehende meist sehr trocken, kryptisch und unübersichtlich. Aber „Der Sonntag“, die Wochenzeitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Sachsen, erklärt in der Regel recht verständlich, was die Delegierten der Landessynode da diskutiert und beschlossen haben. Auch zu dem so zentralen Beschluss vom April 2018, der damit eben auch zum Gesetz in der sächsischen Landeskirche wurde.

Der Mitgliederschwund in der Evangelischen Kirche

Dabei ist der Passus wichtig, in dem man lesen kann: „Auch künftig sollen im ländlichen Raum auf 4.000 Gemeindemitglieder und in den großen Städten auf bis zu 6.000 Mitglieder jeweils drei Pfarrer kommen. Die sächsische Landeskirche rechnet in den kommenden 20 Jahren mit einem massiven Mitgliederschwund von derzeit knapp 700.000 Kirchenmitgliedern auf 416.000. Die Synode ist das gesetzgebende Organ der sächsischen Landeskirche, zu der 712 Kirchgemeinden gehören.“

Das Thema Mitgliederschwund beschäftigt zwar nun seit einigen Jahren auch die großen Medien im Land. Den beiden großen Kirchen laufen die Mitglieder weg. Die Austrittswelle im Bistum Köln hat ja für etliche Schlagzeilen gesorgt. Wobei Sachsen eher nicht unter Austrittswellen leidet, sondern an zwei Dingen, die viel zu oft vergessen werden: dem wieder einsetzenden Bevölkerungsschwund und der Überalterung im Land. Es ist die simple Demografie, die den Kirchen die Mitglieder verloren gehen lässt.

Worüber öffentlich kaum berichtet wird und auch das Statistische Landesamt veröffentlicht dazu keine Zahlen. In seiner Zeit als Landtagsabgeordneter hat sich wenigstens der Linke-Abgeordnete André Schollbach darum gekümmert und die Zahlen abgefragt. Was unter anderem bei der Einschätzung eine Rolle spielt, wie relevant eigentlich Kirchen als gesellschaftliche Vertreter in Sachsen (noch) sind – etwa wenn es um die Besetzung von Rundfunkräten geht.

2014 hatten wir zuletzt über diesen stetigen Schwund der Kirchenmitglieder berichtet: „1995 hatten die evangelischen Kirchen in Sachsen noch 1.168.392 Mitglieder. 2013 waren es nur noch 804.802. Ein Rückgang von 31,1 Prozent, wie Schollbach ausrechnet. Im selben Zeitraum sank die Zahl der Mitglieder der Katholischen Kirche in Sachsen von 189.449 um 39.319 (20,7 Prozent) auf nunmehr 150.139.“

Die zweite große Strukturreform

Wer das mit den aktuellen Zahlen, die „Der Sonntag“ nannte, vergleicht, ahnt, was für ein Druck da auf der Landeskirche liegt – auch finanziell. Die Diskussion ist übrigens nicht neu. Denn zur Jahrtausendwende gab es schon einmal so eine heftige Diskussion, in der die Leipziger ganz ähnlich argumentierten, denn in Leipzig waren die Mitgliederzahlen relativ stabil. Man zeigte sich aber solidarisch mit den Gemeinden in den ländlichen Räumen und verzichtete anteilig auf Pfarrerstellen.

Und man stimmte Gemeindefusionen zu, die auch der ehemalige Thomaspfarrer Christian Wolff in seinem Gastbeitrag zum Thema erwähnte: „Beide Kirchgemeinden haben in Sachen Strukturreform ihre Bringschuld erbracht: 2002 kam es zur Gemeindevereinigung der Lutherkirche und der Thomaskirche, 2014 vereinigten sich Nikolaikirche und die Heiligkreuzgemeinde. Die Folge war: Beide Gemeinden tragen die volle Verantwortung für die Lutherkirche und das Gemeindehaus bzw. die Heiligkreuzkirche.“

Ein Hauptthema auf der Landessynode im April 2018 war übrigens die „Strenge“, mit der Fusionen vollzogen werden sollten. Die Teilnehmer/-innen der Synode setzten jedenfalls durch, dass den Gemeinden unterschiedliche Modelle des Zusammengehens eröffnet wurden, die auch die weitgehende Selbstständigkeit der Gemeinden aufrechterhalten.

„Bei sogenannten Schwesterkirchen behalten die Mitglieder eigene Kirchenvorstände, sind gleichberechtigt und rechtlich selbstständig. Sie müssen aber ihre Arbeit und Projekte in einem gemeinsamen Gremium, dem sogenannten Verbundausschuss, abstimmen. Der Kirchgemeindebund bildet wie auch Kirchspiele unter anderem einen gemeinsamen Haushalt und ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts. Im Schwesterkirchverhältnis haben die beteiligten Kirchgemeinden diesen Status“, schreibt der Sonntag dazu.

Die Haushaltsverwaltungen und die Gemeindekirchenräte aber verschmelzen. Denn langfristig kommt die Landeskirche nicht darum herum, Pfarrstellen noch einmal deutlich zu verringern – „von derzeit mehr als 500 auf 320“ bis 2040, schreibt „Der Sonntag“.

Stabil, aber nicht groß genug

Und zahlenmäßig sind auch die beiden weltberühmten Leipziger Gemeinden St. Thomas und St. Nikolai nicht außen vor. Das weiß auch Christian Wolff, wenn er schreibt: „Die Kirchgemeinden St. Thomas mit 4.700 und St. Nikolai mit 2.600 Gemeindegliedern und mit über Jahrhunderte gewachsenen eigenständigen Profilen sind finanziell, organisatorisch, vor allem aber in Sachen Verkündigung und Seelsorge und als wichtiger Teil der Stadtgesellschaft lebensfähig.“

Was auch stimmt. Aktuell verfügt St. Thomas über 2 Pfarrstellen, St. Nikolai über 1,5. Aber beide Gemeinden erreichen nicht die für Großstädte geforderte Mindestzahl von 6.000 Gemeindemitgliedern. Christian Wolff erwartet zwar, dass die Mitgliederzahlen aufgrund des Leipziger Bevölkerungswachstums weiter anwachsen.

Aber danach sieht es auch nach Blick ins Statistische Jahrbuch der Stadt Leipzig nicht aus: Die Leipziger Kirchgemeinden erfreuen sich durch das Wachstum zwar einer für Sachsen durchaus ungewöhnlichen Stabilität. Aber die Zahlen sind in den evangelisch-lutherischen Kirchgemeinden der Stadt seit 2017 mit rund 67.000 Mitgliedern relativ stabil – 2019 waren es 66.996.

Die Mitgliederzahl der katholischen Kirche wuchs zwar noch leicht und lag 2019 bei 26.733. Aber wer auf die Prozentangaben schaut, merkt, dass das Leipziger Bevölkerungswachstum eher dem Anteil der Bevölkerung mit anderer bzw. ohne Religionszugehörigkeit zugutekommt und eher nicht den beiden großen Kirchen.

Es ist also eher nicht zu erwarten, dass St. Thomas und St. Nikolai die von der Landessynode gesetzte magische Grenze von 6.000 Mitgliedern überspringen werden, die für eigenständige Kirchverwaltungen in der Großstadt beschlossen sind. Das schaffen sie nur, wenn sie sich verwaltungstechnisch zusammentun.

Was ja nicht heißt, dass die eigenständigen Kirchenprofile dabei verschwinden müssen. Die kann man sich in ihrer weltbekannten Verschiedenheit durchaus auch in einer Kirchgemeinde St. Thomas / St. Nikolai vorstellen.

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