Ordnung ist das halbe Leben, sagt ein Spruch. Aber ist das wirklich so? Oder ist nicht auch die andere Hälfte gestört, wenn man keine Ordnung hat? Wenn man zum Beispiel keinen Besuch empfängt, weil man sich für die Unordnung schämt oder viel zu viel Zeit damit verbringt, Dinge zu suchen, nur weil sie nicht an dem Platz liegen, wo sie hingehören?

Wir haben uns mal mit einem Ordnungscoach darüber unterhalten, wie die (fehlende) häusliche Ordnung das gesamte Leben beeinflusst und wie befreiend es sein kann, sich von Dingen zu trennen, die oft nicht nur die Schränke, sondern auch die Gedanken verstopfen.

Frau Kramarczyk, wie kommt man denn auf die Idee, Ordnungscoach zu werden?

Ich habe ja schon von Kindheit an Ordnung geliebt. Ich hab mein Zimmer schon immer alleine aufgeräumt, ohne dass einer was sagen musste und hab mir auch verschiedene Stellplätze ausgedacht, dass ich alles wiederfinde.

Ich habe quasi diese Ordnung immer schon gehabt, und dann hab ich das durch einen ganz dummen Zufall mal im Fernsehen gesehen, dass es das als Beruf gibt. Da hab ich gedacht, das musst du machen.

Wie läuft so eine Ausbildung dann ab?

Also ich hab keine dreijährige Ausbildung, so wie man das kennt. Das ist ja ein Beruf, den es in Deutschland so gar nicht wirklich offiziell gibt. Der ist irgendwann mal aus Amerika rübergeschwappt. Ich hab mich dann informiert und im Internet ein Seminar gefunden.

Dann hab ich ein Jahr lang ein Seminar gemacht, meine Prüfungen absolviert – mündlich und schriftlich – und zum Schluss noch Testkunden gehabt und dann mein Zertifikat bekommen.

Was wird einem da beigebracht?

Man lernt die Grundlagen des Berufs. Also welche Ordnungstypen gibt es, welche Ordnungssysteme, wie geht man auf die Menschen ein – das hat ja auch viel mit Psychologie zu tun, nicht jeder lässt sich die Unterwäsche zusammenlegen.

Da geht es ja auch sehr viel um persönliches. Dann natürlich auch die Grundlagen, wie man sich selbstständig macht, der schriftliche Kram, wie meldet man sich an und was man alles beachten muss.

Ich nehme mal an, Messie-Wohnungen hat man nicht unbedingt dabei?

Es kommt darauf an. Wenn man eine psychologische Ausbildung hat, würde ich sagen, kann man auch einen Messie behandeln. Ein Messie hat ja nicht ohne Grund so viele Sachen angehäuft, das hat ja auch was mit der Persönlichkeit zu tun. Da halt ich persönlich mich ein bisschen zurück. Ich hatte schon so einen Fall, da muss man dann in Ruhe mit den Menschen reden und sagen: Es ist alles gut, wir bekommen das hin. Und keine Vorwürfe machen.

Aber da halte ich mich wie gesagt lieber zurück. Ich würde es machen, wenn von der Person selber sehr großer Bedarf besteht, würde aber nie sagen, du bist ein Messie, wirf das weg.

Das Problem ist ja wahrscheinlich auch, dass sie es selten selber bemerken?

Ja, deshalb würde ich auch lieber auf spezielle Hilfsangebote verweisen, damit man erst einmal das Psychologische in den Griff bekommt. Und dann kann ich gerne weiterhelfen. Es ist schließlich eine Krankheit und ich will denjenigen ja nicht im Stich lassen.

Wie läuft so ein Coaching dann ab?

Das Erste, was ich mache, ist ein telefonisches Gespräch, eine Beratung, welches Angebot das richtige ist und ein erstes Kennenlernen. Man muss ja vorher einen Plan ausarbeiten, eine Liste quasi, die man dann abarbeitet. Dann gehe ich da hin, zeige den Plan, den ich ausgearbeitet habe und bespreche, wie wir es angehen wollen, wie viele Stunden am Tag.

Bei dem mittleren Paket sind es zum Beispiel 12 Stunden, und man kann ja beim ersten Termin zum Eingewöhnen erst mal eine Stunde machen und dann beim nächsten Termin schon mehrere Stunden, weil es gut läuft. Da gehts ja auch immer um die Privatsphäre.

Dann legen wir Termine fest, wann und wie oft. Und dann kann man schon eine Kleinigkeit anpacken, zum Beispiel den Kleiderschrank aussortieren und ausarbeiten, was möchte ich behalten, wo bin ich noch nicht sicher, was kann weg.

Das ist schwierig für die meisten Menschen, oder? Ich kenne das ja von mir selbst, man denkt ja immer, das kann man noch mal brauchen.

Ja, das Ding ist: alleine schaffst du das nicht, weil du dich schwer trennen kannst. Es hat ja auch alles mal was gekostet, das kann ich ja vielleicht noch mal gebrauchen. Aber ich hab die Erfahrung gemacht, wenn ich jetzt als neutrale Person zu den Menschen gehe und sage: warum behältst du das, du passt da überhaupt nicht mehr rein. Willst du da überhaupt noch mal reinpassen?

Willst du dir nicht lieber was schönes neues kaufen, wenn du das aussortiert hast. Das ist dann immer so der Anschub von jemandem, den du sowieso nicht kennst, aber weißt, dass der dir hilft, dann läuft das auch. Das geht dann automatisch.

Wenn sich die Kunden dann immer noch nicht sicher sind, kommts halt erst mal auf den Vielleicht-Stapel, und wir machen woanders weiter. Immer Schritt für Schritt, damit man auch nicht zu viel verlangt. Oder auch mal eine Pause machen und erst mal einen Kaffee trinken und sich kennenlernen. Dann lernt man auch irgendwann, wie man das bei diesem Menschen angehen muss.

Vor und nach dem Coaching

Ich verstehe die Menschen ja auch, ich weiß, dass Unordnung ein großer Ballast sein kann. Man lässt niemanden mehr in die Wohnung, dabei will man sein Leben ja leben und sich nicht mit sowas befassen. Und weil es für mich so einfach ist, möchte ich den Leuten gern zeigen, dass es nicht schwer ist.

Ich mache ja dann auch die Nacharbeiten, dass man sich nach drei Wochen noch mal trifft und schaut, ob es funktioniert oder ob man noch mal was verbessern muss. Man kann mir Erfolgserlebnisse auch immer schicken, dann motiviere ich die Menschen auch und lobe sie.

Gabs denn auch schon mal jemanden, der sich komplett gesperrt hat?

Hatte ich zum Glück noch nicht. Gibts bestimmt, aber dann muss man auch selber als Coach entscheiden, ob man weitermacht oder nicht. Wenn sich jemand total dagegen wehrt, dann kann man auch nicht helfen. Ich gebe es natürlich nicht auf, ich versuche auch alles, um dem Menschen dann zu helfen. Es geht ja nicht vordergründig ums Geld, es geht ja um die Menschen.

Und die wollen es ja eigentlich auch selbst, sonst wären sie ja nicht auf Sie zugekommen.

Genau, die haben sich ja überwunden, das ist der erste Schritt. Und das ist ein großer Schritt und dann muss man den Menschen begreiflich machen, dass man helfen möchte, dass das nichts Schlimmes ist.

Es gibt Studien, dass 80 Prozent der Weltbevölkerung keine Ordnung halten kann. Das ist sehr viel, das wissen die meisten aber nicht. Die denken, sie wären die einzigen auf der Welt.

Ja, man erlebt die Unordnung bei anderen ja selten, weil man ja größtenteils nur hereingelassen wird, wenn es grade ordentlich ist, wenn man aufgeräumt hat.

Man sieht ja auch das Innere im Schrank nicht. Darauf kommts ja auch an, außen oho und innen … Es gibt so viele verschiedene Ordnungstypen. Ich zum Beispiel bin extremer Perfektionist.

Ich mag die Sachen nicht sehen, aber ich will wissen, wo sie sind und habe auch Ordnungsboxen, die sind beschriftet.

Wie macht man das denn, wenn man eine kleine Wohnung hat? Die wirken ja schnell unordentlich. Man hat ja nicht so viel Platz, wo man etwas außer Sicht unterbringen kann.

Wenn man eine kleine Wohnung hat und zu viel drin hat, wirkt es unordentlich. Man muss versuchen, rauszufiltern, was man wirklich braucht.

Eigentlich braucht man doch auch gar nicht so viel, oder?

Ich mache ja zum Beispiel auch so Monatspläne, wo man aufschreibt, was man alles benutzt hat, oder man hängt Kleidung anders auf, die man anhatte, oder stellt Dinge anders hin.

Dann sieht man, was man wirklich benutzt. Oder was nicht, und dann braucht man es vielleicht gar nicht.

Ja, ich hab bei meinem Umzug auch gedacht, eigentlich besitzen meine Dinge mich und nicht umgekehrt. Die Wohnung muss zum Beispiel groß genug sein, damit alles reinpasst.

Genau. Wenn man z.B. ein Waffeleisen hat und macht sich ein Mal im Monat eine Waffel: braucht man dann das Waffeleisen? Und so wird es immer weniger, dann kann man das aussortieren. Es gibt genug Stellen, die das auch gern annehmen. Es gibt genug Menschen, die etwas brauchen, was man selbst nicht mehr braucht.

Und wenn man dann immer noch zu wenig Platz hat, gibt es verschiedene Tricks. Schieberegale für Lücken zum Beispiel. Die kann man auch ganz einfach selber bauen. Wenn ich in eine Wohnung komme, messe ich auch aus und gucke im Netz nach Möglichkeiten oder was man selber bauen kann. Mir gehts ja auch sehr um Nachhaltigkeit.

Das ist ja dann auch ein Vorteil, wenn Sie als fremde Person in eine Wohnung kommen. Man selbst sieht ja oft gar nicht, welche Möglichkeiten da sind.

Genau, man sieht dann den Baum im Wald nicht mehr. Wenn man selber jeden Tag draufsieht sieht man es nicht mehr. Es gibt so viele Möglichkeiten und Ordnungssysteme. Und damit beschäftige ich mich dann auch nach den Terminen. Ich arbeite also zwischen den Terminen noch was aus, was ich noch so gefunden hab oder was wir beim nächsten Termin machen können.

Also quasi wie eine Hausaufgabe?

Genau. Das mache ich mit den Leuten dann auch, wenn sie es möchten. Schon mal was aussortieren oder überlegen, ob man das noch gebrauchen kann. So kleine Sachen, damit sie nicht direkt überfordert sind. Die haben ja auch einen Alltag, den sie meistern müssen. Wir können natürlich auch alles zusammen machen, wenn sie es allein nicht schaffen.

Gibt es da einen speziellen Altersdurchschnitt unter den Kunden?

Also ich hab mich auf Familien und Alleinerziehende spezialisiert. Gerade bei kleinen Kindern ist es ja anstrengend. Man muss schnell mal zum Termin und findet dann nichts und kauft mal schnell neu.

Die wundern sich doch wahrscheinlich, wie viel Zeit plötzlich da ist, wenn man einmal Ordnung hat, oder?

Genau. Ich sage dann immer, wenn du Ordnung hast, hast du mehr Zeit für die schönen Dinge im Leben. Wenn du die Dinge immer wieder dahin legst, wo sie hingehören, musst du nicht mehr aufräumen und sparst wieder Zeit.

Für mich ist der Job die absolute Erfüllung. Ich liebe es, aufzuräumen und bei den Menschen Ordnung zu machen.

Viele Menschen kaufen doch auch Dinge, die sie eigentlich gar nicht brauchen, oft ist es ja eher eine Ersatzbefriedigung.

Das ist auch der Trick von Konzernen: Kaufe zwei, bekomm drei, zum Beispiel. Das ist ja auch eine Falle. Man denkt dann, man spart und wills unbedingt haben, obwohl man schon drei davon zu Hause hat.

Ich mag ja Nachhaltigkeit und mache gern aus alt neu. Wenn man zum Beispiel eine Lieblingsjeans hat und die passt nicht mehr oder ist kaputt, mache ich daraus Ordnungssysteme. Die kann man sich auf meiner Homepage ansehen.

Ich kann auch eine Tasche daraus machen oder anderes. Man kann auch Erinnerungsstücke verarbeiten und sieht diese dann immer, anstatt sie in einer Kiste aufzubewahren, wo sie sinnlos einstauben.

Das ist ja alles schon eher eine komplette Lebensberatung und nicht nur Ordnung zu Hause.

Ja, es ist immer viel Psychologie dabei. Man will sein Leben genießen, die schönen Dinge im Leben. Darum bin ich Ordnungscoach geworden.

Das ist ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für das inspirierende Gespräch.

Weitere Informationen Anja Kramarczyks Angebot und ihre Arbeit findet man unter: https://www.ordnungs-freude.de/

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