Was hat Kindergesundheit mit Schulerfolg zu tun? - In Sachsen und Leipzig eine ganze Menge. Denn die Fitness der Kinder entscheidet noch vor Schuleintritt darüber, auf welches Bildungsgleis sie geschoben werden. Eine wichtige Weichenstellung ist die vorschulische Untersuchung. Und die Befunde sehen noch immer nicht gut aus. Am 14. Januar wurde der neue Bericht "Daten und Fakten zur Kindergesundheit in der Stadt Leipzig 2013" vorgestellt.

Er enthält neben Angaben zur Gesundheitsvorsorge auch wieder detaillierte Zahlen zu den vorschulischen Untersuchungen. Und zu den vorgelagerten Kita-Untersuchungen, die zeigen, mit welchen Schwächen die Kinder schon in den Kindergarten kommen. Diese Untersuchungen sind wichtig, um noch vor der Einschulung umsteuern zu können. Wenn erst einmal die direkten vorschulischen Untersuchungen anstehen, wird es schon brisant, denn dann steht eigentlich nur noch zur Wahl, das Kind ein Jahr zurückzustellen, es in eine Förderschule zu integrieren oder auf eine gelingende Integration in einer Normalschule zu hoffen.

Die Zahlen sind nüchtern und seit sieben Jahren recht stabil, auch wenn zumindest die Empfehlung, das Kind in eine Förderschule zu geben, seit 2010 leicht rückläufig ist. Vorher bekamen bis zu 5,6 Prozent der Kinder die ärztliche Empfehlung, auf eine Förderschule zu gehen. Mittlerweile ist der Prozentsatz auf 4,0 Prozent (2013) abgesunken. Leicht erhöht hat sich im Gegenzug die Empfehlung, die Kinder um ein Jahr zurückzustellen – von zuvor um die 5 Prozent auf nunmehr 6,7 Prozent (2013). In etwa gleich geblieben ist der Prozentsatz der Kinder mit einer Integrationsempfehlung – 3,1 Prozent im Jahr 2013.

Summiert besagen diese Zahlen aber, dass fast 14 Prozent der Sechsjährigen verschiedene Defizite aufweisen, die ihnen den Bildungsweg erschweren. Und das sind zwar ärztlich nachgewiesene – sie resultieren aber vor allem aus motorischen, sprachlichen und emotionalen Defiziten. In den Befunden spiegelt sich eine ganze Palette von Erscheinungen, die das Leben von vielen Leipziger Kindern bestimmen – sie bewegen sich zu wenig, sitzen zu viel und zu lange vor diversen Unterhaltungsmedien, kommen zu selten mit anderen Kindern in Kontakt, sprechen zu wenig, sind falsch ernährt.

Das stundenlange Starren auf allerlei Bildschirme, vor die die Kinder gesetzt werden, und der zu seltene Aufenthalt im Freien sorgt schon frühzeitig für Probleme mit der Sehschärfe. Davon sind zwischen 20 bis 25 Prozent der Kinder betroffenen, die kurz vor dem Schuleintritt stehen. Probleme mit Gelenken und Wirbelsäule aufgrund fehlender Bewegung und falscher (Sitz-)Haltung haben mittlerweile bis zu 17 Prozent der Kinder. Emotional-psychosoziale Auffälligkeiten wiesen 8 Prozent der Kinder auf, Sprachauffälligkeiten ebenso, Lernprobleme dito (2013).

Eine Hoffnung des Sozialbürgermeisters ist ja, dass durch eine umfassendere Betreuung in den Leipziger Kindergärten viele dieser Start-Probleme für das Schulleben gemindert und repariert werden können. Ob das so funktioniert, wagt der Bericht noch nicht zu sagen, auch wenn sich für die Jahre 2011/12 und 2012/13 zurückgehende Befunde bei Fein- und Grobmotorik und auch bei Sprachauffälligkeiten bemerken lassen. Bei Grobmotorik sank die Befundzahl bei den untersuchten Kindergartenkindern von 22 auf 18 Prozent, bei der Feinmotorik von 16 auf 14 Prozent. Aber da gerade einmal jedes zweite Kind untersucht wurde, betrachtet der Bericht diese Entwicklung noch mit Skepsis. Das Thema Sprachauffälligkeit hat sich in der Befundzahl von 47 Prozent im Jahr 2006/2007 auf 37,4 Prozent verringert. Da scheint die frühkindliche Bildung in den Kindertagesstätten tatsächlich zu greifen.

Aber dafür nahm die Befundzahl bei Herabsetzung der Sehschärfe von stabilen 16 Prozent noch bis 2010 auf nunmehr 19,9 Prozent im Jahr 2013 zu, beim Hörvermögen scheint die Befunddichte ebenfalls wieder zuzunehmen.Die Tests sind nicht immer eindeutig, weil sich oft mehrere Auffälligkeiten überlappen. Denn viele Kinder scheinen Schwierigkeiten zu haben, sich auf gestellte Aufgaben und Tests zu konzentrieren. Zitat aus dem Bericht: “Auffällig ist auch ein relativ hoher Anteil der untersuchten Kita-Kinder mit unsicherer Mitarbeit. Das bedeutet, dass die Kinder bei der Testdurchführung nicht oder nicht bei allen Aufgaben mitarbeiten. Das betrifft insbesondere den Hörtest und den Sprachtest.”

Da wird dann auch eine Einschätzung des Arztes schwierig. Zumindest aber bei Sprachauffälligkeiten sind die Chancen, noch helfend einzugreifen, recht hoch, schätzt der Bericht ein.

Dass die hohe Zahl von Auffälligkeiten aber eben nicht naturgegeben ist, zeigt dann die Verteilung der schulärztlichen Empfehlung nach Geschlecht. Denn unübersehbar ist, dass Mädchen deutlich seltener aus dem Raster fallen. Nur 2,5 Prozent der Mädchen bekommen eine Rückstellungsempfehlung – bei Jungen sind es 4,2 Prozent. Und während bei 2,2 Prozent der Mädchen sonderpädagogischer Förderbedarf gesehen wird, sind es bei den Jungen 4,9 Prozent.

Es sind im Bericht auch die schulärztlichen Untersuchungen in den Leipziger Grundschulen und den 6. Klassen im Bericht zu finden, die zeigen, dass die zur Schuleingangsuntersuchung gemachten Befunde prozentual im Verlauf der Schulzeit nicht wirklich abnehmen. Schule kann nicht das reparieren, was vor dem Schuleintritt versäumt wurde.

Dass die Befundzahl aber nicht unbedingt vom sozialen Status der Eltern abhängt, zeigt die kleinräumliche Auswertung im Bericht. Stichwort Feinmotorik, also die Fähigkeit, mit den Händen auch feinfühlig arbeiten zu können: “Abbildung 32 belegt, dass der Anteil entwicklungsauffälliger Kinder im Befundbereich Feinmotorik in den einzelnen Ortsteilen sehr unterschiedlich ist. Die höchsten Befundhäufigkeiten weisen im Stadtbezirk Südwest die Stadtteile Schleußig, Plagwitz, Knautkleeberg-Knauthain, in Süd der Stadtteil Lößnig, im Stadtbezirk Ost Paunsdorf und Sellerhausen-Stünz und in Nord die Stadtteile Wiederitzsch, Gohlis-Nord sowie Eutritzsch auf.”

Anders ist es mit Sprachauffälligkeiten, die in “Thekla, Mockau-Süd, im Stadtbezirk Ost in Neustadt-Neuschönefeld, Volkmarsdorf, im Stadtbezirk West in Grünau-Ost, Grünau-Mitte, Grünau-Nord und im Stadtbezirk Süd in Lößnig” häufiger registriert werden. Es gibt also Handlungsbedarf – bei sprachauffälligen Kindern auf jeden Fall, wie der Bericht betont. Aber auch wenn Probleme mit Motorik, Hör- und Sehvermögen nicht die hohen Fallzahlen erreichen, zeigen sie dennoch, dass auch in besser situierten Stadtteilen nicht immer eine wirklich kindgerechte Kindheit stattfindet. Und das trifft vor allem auf Jungen zu. Bei ihnen werden nicht nur mehr Auffälligkeiten bei Sprache, Grob- und Feinmotorik gegenüber den Mädchen diagnostiziert, sie haben auch mehr Probleme mit Seh- und Hörvermögen. Was wohl tatsächlich heißt: Sie bewegen sich zu wenig, basteln und malen weniger und sitzen häufiger vor dem Bildschirm als die Mädchen.

Der Bericht zum Nachlesen: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/FD4F41CEDBAF1E1DC1257C5C00288A88/$FILE/V-ds-3552-text.pdf

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