Wir leben in einer Gesellschaft der Angst. Das zeigen nicht nur all die täglichen Meldungen in den gefluteten Informationskanälen, die Talkshows und die grimmigen Vorschläge der Innenminister. Das merken selbst viele Sachsen, die zwar hübsch ordentlich einen Job haben – und trotzdem ganz elementare Ängste nicht loswerden: Stress, finanzielle Sorgen, Unsicherheit, Angst vorm Krankwerden. Und etliche dieser Ängste machen krank. Die Barmer konnte dieses Jahr ein Lied davon singen.

Im Oktober thematisierte die Krankenkasse die zunehmende Zahl von Angststörungen in Sachsen, die über die Behandlung beim Arzt auch statistisch erfassbar werden.

Danach erhielten im Jahr 2016 sachsenweit 6,6 Prozent der Barmer-Versicherten von ihrem behandelnden Arzt eine Angststörung diagnostiziert. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung waren folglich rund 270.000 Menschen betroffen. Im Vergleich dazu erhielten 2012 nur 5,2 Prozent der Sachsen eine derartige Diagnose.

Angststörungen zählen neben Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Innerhalb von fünf Jahren ist die Anzahl der Betroffenen im Freistaat um rund 59.000 gestiegen. Zu diesem Ergebnis kam die Barmer nach Analyse kasseneigener Daten. Ebenfalls sichtbar wurde, dass der Betroffenenanteil bei Männern bis zum 60. Lebensjahr, bei Frauen bis zum 65. Lebensjahr steigt und über alle Altersklassen hinweg deutlich mehr Frauen als Männer unter Angststörungen leiden.

Womit die Angststörungen ins große Bild psychischer Belastungen passen, die dann der Barmer-Gesundheitsreport im Dezember wieder sichtbar machte.

Und es ist keine Überraschung, dass gerade dort die Zahl der psychischen Erkrankungen besonders hoch ist, wo auch die Arbeitswelt besonders belastend, oft genug auch immer noch prekär ist. Mit 396 Fehltagen wegen psychischer Erkrankungen auf 100 Versicherte lag Leipzig 2016 weit an der Spitze aller sächsischen Kreise. Und damit auch deutlich über dem deutschen Durchschnitt von 335 Fehltagen. Erst weit hinter Leipzig folgte Dresden mit 333 Fehltagen vor dem Vogtlandkreis mit 330.

Die Sachsen und gerade die Großstädter haben zwar nun immer flächendeckender Arbeit gefunden – aber viele dieser Jobs sind hochgradig stressig, sorgen für einen großen psychischen Druck nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch im Privatleben. Und viele der „Glücklichen“ werden ihre elementaren Existenzängste trotzdem nicht los, weil die Löhne kaum finanzielle Spielräume schaffen. Für Leipzig geradezu ein typisches Phänomen.

Herzklopfen, Brustschmerz, Erstickungsgefühle – Panikattacken

Jeder Mensch ist manchmal ängstlich, betont die Barmer und versucht dann zu erklären, was die Sache dann zum Krankheitsbild macht: In bedrohlichen Situationen hat das Angstgefühl auch eine Schutzfunktion, z. B. wenn Gefahr droht, etwa im Straßenverkehr. Sich jedoch ständig zu ängstigen, ist erschöpfend und kann zu vielen psychosomatischen Symptomen führen: Benommenheit, Nervosität, Herzklopfen, Konzentrations- und Schlafstörungen bis hin zu Panikattacken. Eine steigende Anzahl von Menschen leidet unter typischen Angstsymptomen, ohne dass ein bestimmter Auslöser erkennbar ist. Immer mehr Ärzte diagnostizieren eine Angststörung. Die Ursachen dafür sind nicht ganz geklärt.

„Vermutlich spielen biologische und psychische Faktoren eine Rolle, erlebte Traumata, Verluste, strapaziöse Erfahrungen, aber auch starker familiärer Stress oder andauernde extreme Arbeitsbelastung“, fasst Dr. Fabian Magerl, Landesgeschäftsführer der Barmer in Sachsen, mögliche Auslöser zusammen. „Die steigenden Betroffenenzahlen betrachten wir einerseits mit Sorge. Andererseits, bleibt eine wiederkehrende oder anhaltende Angststörung unbehandelt, kann sie sich immer mehr verselbstständigen. Somit kann ein Anstieg auch bedeuten, dass mehr Menschen professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.“

Extreme Ängste selbst in den Griff zu bekommen ist schwer, daher rät auch die Barmer zu frühzeitiger professioneller Hilfe. So können die Symptome beispielsweise durch Medikamente und psychologische und/oder psychotherapeutische Behandlung gelindert werden.

Vor allem aber ist wichtig, dass man die Ursachen für die Angstschübe erkennt. Mit Hilfe von Therapeuten lassen sich die Grundmuster der Ängste und Sorgen erkennen. Durch eine kognitive Verhaltenstherapie lernen Betroffene, ihre Gedanken und Ängste zu steuern und zu verändern. Autogenes Training und progressive Muskelentspannung dienen zum einen der Entspannung, gleichzeitig lernt man mit Stress besser umzugehen.

„Manchen Menschen hilft es auch, sich gut über die Erkrankung zu informieren und sich mit anderen Betroffenen auszutauschen“, so Magerl. Hier bieten Selbsthilfegruppen Unterstützung an.

Nicht nur die Angst um den Arbeitsplatz macht krank, sondern auch das Fehlen von Sicherheit, Freunden und Familie

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