Die psychische Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland hat sich von 2002 bis 2020 ähnlich wie die Wirtschaftsleistung entwickelt: Sie verbesserte sich in den vergangenen 20 Jahren. Doch sie erlitt jedes Mal deutliche Einbrüche, wenn das Land von Krisen erfasst wurde – so nach der Finanzkrise 2008/09 und zu Beginn der Corona-Pandemie 2020. Neben wirtschaftlichen Entwicklungen spiegeln sich aber auch soziale Ungleichheiten in der psychischen Gesundheit wider. Wer arm ist, hat deutlich höhere Belastungen.

Die psychische Gesundheit unterscheidet sich nach Geschlecht, Wohnort, Hochschulabschluss und Migrationshintergrund. Dies sind die Kernergebnisse einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Anlässlich des Welttags für psychische Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) am heutigen 10. Oktober untersuchten DIW-Wissenschaftler/-innen, wie sich die psychische Gesundheit in Deutschland entwickelt hat. Sie nutzten dafür Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP).

Psychische Gesundheit von Frauen verschlechtert sich in Pandemie

Frauen hatten über den gesamten Zeitraum eine deutlich schlechtere psychische Gesundheit als Männer. Der Abstand zwischen den Geschlechtern hatte sich bis 2018 zwar leicht verringert, mit der Pandemie kehrte sich diese Entwicklung jedoch wieder um.

„Dies liegt möglicherweise an der sogenannten Retraditionalisierung der Geschlechterrollen. Frauen haben in der Pandemie wieder mehr Haus- und Sorgearbeit übernommen und waren dadurch in der Krise vermehrt belastet“, erklärt Studienautor Daniel Graeber vom SOEP.

Auch nach Wohnort gibt es erhebliche Unterschiede: Menschen in Ostdeutschland haben auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung eine schlechtere psychische Gesundheit als jene in Westdeutschland. Die positive Nachricht: Der Abstand hat sich von 2002 bis 2020 merklich verringert. „Wir sehen hier einen echten Aufholtrend“, meint Graeber.

Die psychische Gesundheit unterscheidet sich ebenfalls nach Abschluss und Migrationshintergrund: Akademiker/-innen verfügen über eine bessere psychische Gesundheit als Menschen ohne Hochschulabschluss, Menschen ohne Migrationshintergrund stehen etwas besser da als jene mit Migrationshintergrund.

„Die Unterschiede entlang entscheidender Merkmale zeigen, dass sich soziale Ungleichheiten auch in der psychischen Gesundheit widerspiegeln. Normativ ist das problematisch“, sagt Graeber. Das häufig beschriebene soziale Gefälle der physischen Gesundheit zeigt sich auch in der psychischen Gesundheit.
Psychische Gesundheit und Wirtschaft müssen, so das DIW, nach diesen Ergebnissen zusammen gedacht werden.

„Wirtschaftliche Abschwünge wie der aktuelle verschlechtern im Schnitt die psychische Gesundheit der Bevölkerung – nicht nur direkt durch Arbeitslosigkeit, sondern auch indirekt dadurch, dass Menschen sich vermehrt Sorgen machen. Dies ist ein Befund, der noch stärker bei politischen Entscheidungen berücksichtigt werden muss“, betont Graeber. So könnte beispielsweise der Zugang zu Unterstützungsmaßnahmen im Zweifel erleichtert werden, um Risiken für die psychische Gesundheit zu mindern.

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