Geht es Ihnen auch so seltsam in letzter Zeit? Man schaut auf die Plakatsäulen, die überall herumstehen, wo man sich Beulen holen kann, schaut und schaut und bekommt das Geschaute doch nicht in den Kopf? Sparen, sparen, sparen. Und ein glubschäugiges "Wooow!" Mit drei Os und zwei Augen. Ein neuer Disney-Film im Kino? Dafür bin ich wohl wirklich zu gesetzt mittlerweile.

Man wächst ja doch heraus aus Bambi und Schneewittchen, wird ein bisschen grauer um den Kopf und ein bisschen runder um den Äquator.

Man steht nicht mehr so freudig auf, wenn Gleichaltrige die Bahn betreten und tatterig nach einem Sitzmöbel suchen. Man ist auch nicht mehr aufgeregt, wenn die gewünschte Bahn ein bisschen später kommt. Man gewöhnt sich dran mit der Zeit. Die guten alten LVB werden ja mit unsereins älter. So wie die geliebten Tatra-Bahnen, an denen ich in meiner güldenen Jugend den Aufschwung übte. Wer sich erst ans Türgestänge klammert und dann versucht, sein leichtes Übergewicht in die Bahn zu hieven, macht es falsch. Der kommt nur schwer da hinauf.

Ein kühner Schritt in den Berg, eine halbe Rolle vorwärts, den rechten Bergsteigerschuh schon auf dem nächsten Tritt, und man ist schneller oben, als die Jugend von heute unten ist. – “He Alter, erstma aussteigen!”

Und dann schaut man sich dieses Plakat an. Und ich muss zugeben: Ich hab ein Zeitchen gebraucht, es zu entschlüsseln. Ein neuer Tarif für so ein Mobilspielgerät? Eine Einladung in den Vergnügungspark mit der superschicksten Rummelrutsche? Eine neue Sendung im Kika? Oder ein Sommerschlussverkauf im neuen Einkaufstempel? – “Richtig sparen, hingucken und Tarife vergleichen!” – Vielleicht doch wieder der bekannte Ferienflieger-Preisvergleich? Oder ein neues Versteigerungsportal, wo ich meine etwas zu eng gekaufte Lederhose loswerden kann?

Rätsel über Rätsel.

Man muss ja gebildet sein für die heutige Werbung, sonst landet man womöglich auf dubiosen Selbsthilfeseiten für Marsianer oder Royalisten. Oder Banken. Wäre ja auch nichts Neues. Wieviele Fonds und Geldanlagen zu 12, 17 und 24 Prozent hab ich mir schon durch die Lappen gehen lassen, nur weil ich nicht straks losgestiefelt bin, um meinen freundlichen Kundenberater zu bitten, mir auch so was Schniekes zusammenzufriemeln. Immer wenn ich dazu kam, war der Berater weg und seine Vertreterin bedauerte freundlichst, aber …Und nun? Wie heißt die neue Bank?

LVB entdecke ich oben links in der Ecke. Ich steh also noch in Leipzig. Es ist nichts passiert. Niemand hat mich weggebeamt. Und jetzt weiß ich auch wieder, was der Brief in meinem Briefkasten wollte. Der war eh schon ein starkes Stück. Wenn ich weiter mit meiner Monatskarte führe, stand da, würde ich zwar erst mal ein paar Scheinchen mehr bezahlen. Aber ansonsten würde ich, verglichen mit den anderen Preisen, die man mir sonst so anbieten könnte, gewaltig was sparen. Herzlichen Glückwunsch, Herr Leu.

Die Plakate sind also sozusagen der Brief noch einmal in groß – grafisch umgesetzt für die Kindsköpfe unter uns, für die die Welt ein bunter Comic ist, in der lustige Kulleraugen immer bedeuten: Jetzt wird’s spaßig. Schnall dich an. Der Super-Whopper kommt. Der Super-Whopper ist da und landet am 1. August. Soviel hab ich mit meiner Mäuseseele schon begriffen. In meinen Lieblings-Comics hängt unter den lustigen Kulleraugen meist noch ein breites weißes Grinsen. Meistens noch mit einem Blitzen auf dem linken Haifischzahn. In meinen Comics …

Nein, das schreib ich jetzt nicht. Ich hab ja gar keine Comics mehr. Ich hab mir im Lauf der jüngeren Weltgeschichte eine anständige Bibliothek zugelegt. Mit Goethe, Gerstäcker und Grass und so. Lauter anständige Sachen. Für erwachsene Leute.

Aber früher hatte ich Comics. Früher, als ich noch ein verheißungsvolles prächtige Bürschchen war. Heute bin ich noch prächtig. Und fühle mich, wie immer öfter in letzter Zeit, ein bisschen versemmelt. Oder hab ich nur den falschen Kurs belegt in der VHS? – “Wie verkaufe ich den Leuten eine saftige Preissteigerung als echtes Schnäppchen?”

So ungefähr. Vielleicht sind ja alle meine Comic-Helden mittlerweile lebendig und arbeiten bei den LVB? – Ich sollte mir das Grinsen der Herrschaften in der Service-Bude anschauen. Wenn’s blitzt, hab ich recht.

Aber ich war lange nicht in Entenhausen. Ich müsste mal wieder hinfahren. Aber nicht mit der Straßenbahn. Das wird mir zu teuer.

Euer

Leo

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