Vor einem Jahr nahmen die Taliban Kabul ein. 21.000 Menschen wurden laut dem Auswärtigen Amt bisher aus Afghanistan nach Deutschland evakuiert. In Sachsen sind bis Ende Juni 2022 insgesamt 1.182 Ortskräfte mit ihren Familien angekommen (Drucksache 7/10252). Etwa 10.000 Ortskräfte haben eine Aufnahmezusage, warten aber auf die Evakuierung. Unzählige Betroffene werden keine Zusage erhalten, weil viele Personengruppen gar nicht aufgenommen werden sollen.

Dem steht eine Kapazität von 5.000 Menschen pro Jahr gegenüber, die im Aufnahmeprogramm der Bundesregierung festgelegt ist. Die Mittel sind bewilligt, doch sind keine Fortschritte ersichtlich, heißt es aus Beratungsstellen. Auch Sachsen lasse keine Bemühungen für die Aufnahme weiterer Ortskräfte erkennen, kritisiert die asylpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Juliane Nagel:

„Die Bilder vom Kabuler Flughafen gingen um die Welt und zeigten das fundamentale Scheitern des Militäreinsatzes. Wer diesen Einsatz als Ortskraft unterstützt oder in dessen Windschatten für die Demokratisierung der afghanischen Gesellschaft gewirkt hat, muss fürchten, von den Taliban ermordet zu werden.

Die Berichte über Menschen, die nervenaufreibende Bürokratie durchleiden, während sie gefährdet sind, sind in den letzten zwölf Monaten nie abgerissen. Ich appelliere an die Bundesregierung, die Aufnahmeverfahren zu vereinfachen und die Kontingente zu erhöhen. Die Länder und auch Sachsens Regierung müssen dazu beitragen, mehr Menschen aufzunehmen.

Sachsen soll wie Bremen, Berlin und Thüringen ein Landesaufnahmeprogramm nach § 23 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes auflegen, damit insbesondere Familienangehörige von in Deutschland lebenden afghanischen Staatsangehörigen evakuiert werden können. Derzeit scheitern diese häufig an den hohen Voraussetzungen für Familiennachzug – das betrifft etwa bereits volljährig gewordene Kinder oder ,sonstige Familienangehörige‘ außerhalb der Kernfamilie. 

Einen entsprechenden Antrag meiner Fraktion hatte die Koalition im April abgelehnt und damit ihr Desinteresse am Leid der verfolgten Menschen in Afghanistan gezeigt. Dieses Desinteresse zeigt sich auch daran, dass evakuierte Ortskräfte seit Monaten u.a. in der Erstaufnahmeeinrichtung in Dölzig zum Teil ohne Sozialleistungen ausharren müssen, bisher ohne Perspektive auf Integration. 

Die Koalition sollte sich ein Beispiel am überwältigenden Engagement der Zivilgesellschaft nehmen: Ob Kabul Luftbrücke oder Mission Lifeline, Flüchtlingsräte oder Anwält/-innen, Journalist/-innen wie Politiker/-innen, Soldat:innen, die ihre Kolleg/-innen zu evakuieren versuchen, nicht zuletzt viele Afghan/-innen, die sich bundesweit vernetzen und an Evakuierungen und Aufnahmen arbeiten – sie und viele mehr üben nach wie vor praktische Solidarität.

Ich erwarte darüber hinaus vom Bundestags-Untersuchungsausschuss, der im Herbst starten wird, auch Impulse für die Gegenwart. Es ist das Mindeste, der afghanischen Diaspora einen sicheren Hafen zu bieten.“

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