Es verändert sich was in der Stadt. Stückweise, vorsichtig. Es gibt ja ein Ziel: 70 Prozent. 70 Prozent Wegeanteile für den Umweltbund. Das sind ÖPNV, Fahrrad und Fußwege. Weniger motorisierter Individualverkehr ist das Ziel. Und der Umbau der KARLI ist das erste Pilotprojekt, das den Spagat versucht. Samt Bürgerbeteiligung.

Bürgerbeteiligung gab’s auch vorher schon. Die Planer malten schöne Pläne, die wurden ausgelegt. Der zufällige Finder durfte seinen Kommentar hinterlassen. Ob die Stadtverwaltung die Einwände auch akzeptierte, war ihr überlassen.

Ist es auch heute noch. Sie muss nur Stellung nehmen dazu. Und begründen, warum ein Einwand nicht berücksichtigt wird. Und da in den Planungsbüros Profis sitzen, können sie es auch immer begründen.

Doch so ein nervender Gedanke macht sich breit, nicht erst seit “Stuttgart 21”. Die Stadt baut ja nicht, damit die Planer glücklich sind, sondern die Bewohner. Und die Händler. Und die Gastronomen. Die Leute, die zu Fuß gehen genauso wie die mit dem Rad, der Tram oder dem Auto. Wie bringt man alle Interessen unter einen Hut? Gerade bei einer markanten Hauptverkehrsstraße wie der Karl-Liebknecht-Straße, die seit Jahren reif ist für den Umbau? “1974 wurde die Straße zum letzten Mal angepackt”, sagt Ronald Juhrs, technischer Geschäftsführer der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB). “Unsere Straßenbahnen fahren seit Jahren 10 km/h in dem Abschnitt.”

Ein guter Grund für ein Experiment in Sachen Bürgerbeteiligung. Seit dem Herbst haben über 20 Foren und Versammlungen zum Umbau der KARLI stattgefunden. Grundlage war ein Kompromiss, den zuvor schon die Planer von Stadt und LVB erarbeitet hatten, um die verschiedenen Verkehrsarten möglichst vorteilhaft nebeneinander unterzubringen, ohne den Straßenraum komplett zu verbauen, vielleicht sogar den Boulevard-Charakter zu bewahren.

Am gestrigen Donnerstag, 1. März, fand das Bürgerforum dazu statt, in dem die Varianten vorgestellt wurden, die sich aus den Diskussionsforen im Herbst ergeben haben. Vier Varianten plus eine, die eigentliche, in der sich die diversen Einwürfe der Bürger verschmolzen wiederfinden. Denn eines hat der lange Beteiligungsprozess mit vier großen Foren und dutzenden Werkstätten mit Händlern, Interessengruppen, Gastronomen gezeigt: In so einer Straße ballen sich nicht nur die Interessen, sondern auch die Konflikte. Und die Vorstellungen vom idealen Zustand gehen oft diametral auseinander.Was 2013 gebaut wird, kann nur ein Kompromiss sein. Und wird wahrscheinlich auch keine der vier Varianten sein, in denen die Planer um Torben Heinemann einmal einige Hauptforderungen durchgeplant haben.

Variante 1: ein komplett durchdefinierter separater Gleisbereich für die Tram von der Hohen Straße bis zur Braustraße. Mit entsprechenden Problemen für Querung und Kreuzungsbereiche.

Variante 2: eine durchgehende Planung ohne besonderen Gleisbereich. Das “rettet” die breiten Fußwege, bringt aber die Tram wieder in direkte Konkurrenz mit den 14.000 Kraftfahrzeugen, die täglich durch die Straße rollen. Der Beschleunigungseffekt für die Straßenbahn bleibt auf der Strecke.

Variante 3: eine komplett durchdefinierte Fahrradstraße. Die Radfahrer würden wohl das Tempo vorgeben, die Autofahrer müssten mitschwimmen – aber damit wäre ein Hauptkriterium für die Definition Hauptverkehrsstraße weg. Viele Fahrzeugführer würden sich Ausweichstrecken suchen. “Oder in die Anliegerstraßen ausweichen”, sagt Torben Heinemann. Und die Anwohner der KARLI würden nicht 25 Prozent der Straßenausbaukosten tragen müssen, sondern wahrscheinlich 75 Prozent. Völlig offen die Frage: Wieviel Förderung würden Stadt und LVB da überhaupt noch bekommen?

Variante 4: Ein besonderer Gleisbereich von der Riemannstraße bis zum Südplatz. Damit würden Querungen für den Verkehr an den Straßenkreuzungen unmöglich.

Es gibt noch die Variante 5, die auf den ursprünglichen Planungen aufbaut und die Änderungsvorschläge aus den Bürgerforen mit aufgreift. Oder auch ausschließt. Denn um zusätzlichen Parkraum im Peterssteinweg zu gewinnen, hatten die Planer auch den Vorschlag untersucht, die geplante neue Haltestelle “Münzplatz” zu entzerren: die stadtauswärtige Haltestelle bliebe vorm “Café Waldi”, die stadteinwärtige läge aber nicht mehr gegenüber, sondern um 50 Meter verschoben vor dem Gebäude der LVZ.

Die Nachteile überwiegen die Vorteile: Der Verkehrsraum wird an zwei Stellen aufgeweitet – damit geht der Straßenbahn wieder die Pulkführerschaft verloren. Die Haltestelle würde viel zu lang, Querungen wären erschwert und am Münzplatz wären die Möglichkeiten einer attraktiven Platzgestaltung eingeschränkt.In der nun neuen “Variante 5” bleibt die neue Haltestelle direkt an der Einmündung der Härtelstraße. Dafür ermöglicht eine neue Definition des Randbereiches zwischen Emilien- und Riemannstraße die Verlängerung der Baumreihe, so dass auch hier Boulevardcharakter entsteht.

Fest zu stehen scheint jetzt auch, dass die geplanten separaten Bahnkörper nicht mehr – wie in der Vergangenheit – 5 Zentimeter erhöht sein müssen, sondern nur noch 3 Zentimeter. Das würde die Förderfähigkeit der Anlage nicht gefährden, das fußläufige Queren aber erleichtern. “Und wir müssen – auch wenn wir das in den Bürgerforen nicht in den Vordergrund gestellt haben, überall dennoch auf die Förderfähigkeit achten”, sagt Torben Heinemann. Immerhin gehen die Kostenschätzungen von einem Bauvolumen von 10,5 Millionen Euro aus. Und es macht schon einen Unterschied, ob davon der größere Teil gefördert wird oder die Anlieger entsprechend zur Kasse gebeten werden. Oder ob die Stadt selbst die Finanzierung komplett übernehmen muss. “Dann heißt das zwangsläufig für die nächsten Planungsvorhaben eine Verschiebung um ein oder mehrere Jahre”, so Heinemann.

Und das nächste große Projekt dieser Klasse ist die Georg-Schumann-Straße. Für die Baudezernent Martin zur Nedden gute Nachrichten hat. Im April soll der Knoten Max-Liebermann-Straße / Landsberger Straße fertig sein. Dann kann dieser Teil des Mittleren Ringes seine Funktion übernehmen und auch die Aufgaben der B6 erfüllen, die bislang die Georg-Schumann-Straße wahrnimmt. In die Planungsprozesse für den künftigen Umbau der Georg-Schumann-Straße werden ebenfalls die Anwohner einbezogen. Aber schon in den Sommerferien soll ein Wunsch der Bürger aus den angrenzenden Stadtvierteln umgesetzt werden. “Dann werden wir mit der Abmarkierung auf der Straße einiges ausprobieren”, sagt zur Nedden.

Um die abschließende Planungsvariante für die KARLI rund zu machen, haben Stadt und LVB ein Interessenforum gegründet, in dem schon jetzt Planer und Interessengruppen an einem Tisch sitzen. Was aber noch fehlt, ist eine Anwohnerin bzw. ein Anwohner des Bauabschnitts, die oder der die Interessen der Ortsansässigen einbringt in das Forum. Interessierte Bürgerinnen und Bürger können bis zum 6. März ihre Bewerbung per E-Mail an karli@lvb.de senden oder per Post an:

Interessenforum Bauvorhaben KARLI – für Anwohner und Gewerbe, Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) GmbH, Karl-Liebknecht-Straße 12, 04107 Leipzig.

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Das Interessenforum konstituiert sich am 7. März und greift noch einmal alle Anregungen aus dem gestrigen Bürgerforum auf. Ziel ist es, bis zum 28. März eine abschließende Planungsvariante zu erarbeiten, die an diesem Tag noch einmal auf einer Bürgerdiskussion vorgestellt wird.

Danach wird das Verkehrsplanungsamt diese Variante zur Beschlussfassung im Stadtrat vorbereiten. Damit sich auch alle Stadträte ein Bild von der Variantendiskussion machen können, werden ihnen auch alle Teilvarianten noch einmal zugeleitet. Vorm Sommer müsste dann die Entscheidung fallen, damit 2013 tatsächlich gebaut werden kann.

www.lvb.de/karli

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