Stricken kann Spaß machen. Stricken kann Politik sein. Seit dem 2. März macht Bunte Strick Guerilla Leipzig (BSG LE) in Leipzig Politik auf einem jener Felder, die in der Stadtpolitik so gern untergehen: Spielraum für Kinder. Der Protest ist bunt und weich. Und wer den Richard-Wagner-Platz passiert, sieht ihn bestrickend schön an den Bäumen.

Der Protest ist ein doppelter. Einerseits richtet er sich, wie die Strick Guerilla bekannt gibt, gegen den neuen Konsumtempel “Höfe am Brühl”. Aber wer die gestrickten Botschaften an den Bäumen liest, sieht schnell: Hier geht es um mehr. Hier geht es um die Frage: Wem gehört die Innenstadt eigentlich? Wer darf den öffentlichen Raum nutzen? Und wer bestimmt, was gebaut wird?

“Hier ist kein Spielplatz”, ist zu lesen. “Toben” und “Spielen”. Zwar steht 20 Meter weiter die Skateranlage. Doch ein richtiger Spielplatz für die Kleinen ist das nicht. An der Fassade des neuen Einkaufstempels werden gerade die neuen 430 Aluminium-Platten montiert, die die alte provisorische Fassadengestaltung des “konsument”-Kaufhauses imitieren. Und das wird nicht das einzige Teil einstiger DDR-Raum-Kunst sein, das wiederverwendet wird. Harry Müller, der die Alu-Fassade für das kriegsversehrte “Kaufhaus am Brühl” entworfen hatte, hat ja auch die Alu-Pusteblumen entworfen, die einst den Sachsenplatz zierten. Die kommen nun auf dem Richard-Wagner-Platz zur Wiederaufstellung.

“Der Richard-Wagner-Platz wird zu einem attraktiven Verweilraum umgestaltet, welcher die Attraktivität der Innenstadt als Ganzes weiter erhöht. Die geplante Neugestaltung des Richard-Wagner-Platzes entspricht dem Wettbewerbsergebnis für die Straßen im Umfeld des Vorhabens Höfe am Brühl”, verkündete das Verkehrs- und Tiefbauamt im September 2011.

Da stellt man sich eine ganze Menge vor für geplante 2,65 Millionen Euro. Erste Umbauten für 1,3 Millionen Euro sollen schon 2012 erfolgen, weitere dann 2013.”Es werden 59 neue Bäume (Tilia cordata ‘Greenspire’- Winterlinde) gepflanzt und die 3 ‘Pusteblumen’ des Künstlers Harry Müller und eine Fontäne als Brunnen mit der dazugehörigen Brunnenstube aufgestellt. Der Standort der Skateranlage wird erhalten und aufgewertet. Die Skateranlage erhält eine Granitbefestigung und wird in die Platzfläche eingelassen. Sie wird 42 m lang und 7,50 m breit.” Ein Brunnen und eine Skateranlage. Kein Spielplatz.

“Die Diskussionen um die Neugestaltung des Brühls und die darauf folgende Unruhe unter den Bürgern Leipzigs, ihre Kritik und Unzufriedenheit, veranlasste uns zu diesem Projekt”, teilte die Strick Guerilla zu ihrer nächtlichen Umhüllungsaktion mit, die auch auf der Website der Strick-Brigade zu sehen ist. “Der Großteil der befragten Leipziger favorisierte die Entstehung einer familienfreundlichen Grünfläche, möglicherweise sogar mit einem großen Spielplatz und einer weiteren Skateboardanlage für Jugendliche. – Wider den Interessen ihrer Bürger gab die Stadt den Kaufzuschlag einem Großinvestor. Kurzfristig betrachtet werden Haushaltslöcher gestopft bzw. Schulden abgebaut – eigentlich nichts Verwerfliches. Allerdings wurden offensichtlich an den Verkauf des Geländes keine Bedingungen geknüpft, die den Wünschen der Leipziger auch nur ansatzweise entsprechen. Weder eine Dachbegrünung noch ein richtiger Indoor-Spielplatz sieht das neue Einkaufszentrum vor.

Da stellt sich uns so manche Frage:

Ist es von Nöten das Stadtzentrum in einen Ballungsraum des Konsums zu verwandeln?

Wozu dann noch die ‘historische Blechbüchsen-Fassade’ bei diesem anmaßend überdimensionalen, futuristischen Bau ohne jeglichen Charme?Die minimalistische Innen-Begrünung, stellt sie das sprichwörtliche ‘Zuckerbrot’ dar?

Wo spielen die Kinder der konsumierenden Mütter und Väter? Würden Sie Ihr Kind in einem laut Betreiber-Homepage undefinierten ‘Spiellabor’ abgeben?”

Auch die “Sanierung” des angrenzenden Richard-Wagner-Platzes stellt für die Strick Guerilla keine adäquate Alternative dar. “Bei einem städtischen Eigenanteil von knapp 1,7 Millionen Euro fragen wir nach der tatsächlichen Effizienz des gesamten Bauunterfangens auf und um den Brühl.

Bäume fällen, um neue zu pflanzen, damit die Baumart stimmt? Bäume umsetzen, damit eine geometrisch sterile Form erzeugt wird? Schulden abbauen wollen, aber Brunnen errichten, deren Wartung jährlich allein ca. 29.000 Euro kostet?

Wo bleibt da die Logik der Kosteneinsparung und der Nachhaltigkeit? Selbst die angedachten ökologischen Aspekte der Höfe werden erst noch diskutiert, sie stehen demnach nicht einmal fest.

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Unser Projekt soll jedem, der es sieht und sich darin bewegt, die Illusion eines Spielplatzes, eines grünen Fleckchens der Erholung, vermitteln, wie es keines in der gesamten Innenstadt gibt – wobei wir die Wiese an der Thomaskirche als auch den Bereich neben der Moritzbastei als nicht ausreichend erachten.”

Alles berechtigte Fragen. Zumindest bei der Platzgestaltung scheinen die Planer in sehr schematischen Schleifen verfangen zu sein. Auch an der “Hainspitze” soll ja ein großes Kaufhaus entstehen. Da wäre ein ruhiger Platz mit Möglichkeiten des Rückzugs aus dem Konsum-Gewimmel gerade für Familien eigentlich angeraten gewesen.

Und so fordert die Strick-Guerilla: “Wir fordern: Grünflächen statt Kommerztempel! Wiese statt Beton! Spielen statt konsumieren!”

www.hoefe-am-bruehl.de

http://notes.leipzig.de

http://buntestrickguerillaleipzig.blog.de

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