Es passiert so oft nicht. Aber wenn Bürger es wirklich wollen, das Thema durchdenken und dann auch dranbleiben über die ersten Ablehnungen hinaus, dann haben Themen aus dem Stadtgebiet tatsächlich eine Chance, die Verwaltung zum Handeln zu zwingen. Ein bisschen wenigstens. Jüngstes Beispiel: die Petition zum Straßenzug Berggartenstraße, Möckernsche Straße, Kirschbergstraße.

Dem Straßenzug geht es nicht viel anders als den meisten anderen Straßen in Leipzig, er hat nicht mehr Verkehr als andere vergleichbare Straßen. Es waren wohl auch eher Baumaßnahmen, die 2010 zu einer Erhöhung des Verkehrsaufkommens beigetragen haben, meint die Verwaltung.

Der Straßenzug wird jetzt trotzdem in den städtischen Gremien behandelt, nachdem die Petition Anfang des Jahres medienwirksam überreicht worden war und der Stadtrat im Frühjahr erstmals dazu debattierte. Das Anliegen ist jetzt auch wieder durch mehrere Fachausschüsse gewandert und landet am 20. September wieder in der Ratsversammlung. Nur wird das Prüfergebnis den Anwohnern des Straßenzuges in Gohlis und Möckern nicht wirklich gefallen. Denn die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h soll damit genauso vom Tisch wie das geforderte Durchfahrtsverbot für Lkw und die Ausweisung von Radfahrstreifen.

“Der Straßenzug ist nach der Richtlinie für Integrierte Netzgestaltung (RIN) als eine nahräumige, angebaute Hauptverkehrsstraße (HS IV) eingestuft. Die Straßen sind somit Bestandteil des Straßenhauptnetzes und dienen damit in ihrer Funktion der Aufnahme von Durchgangs- und Erschließungsverkehr. Mit einer gewissen Verkehrsmenge muss also gerechnet werden”, schreibt die Verwaltung in ihrer Erklärung, warum das, was die Anwohner sich wünschen, einfach nicht zu machen geht. “Die Verkehrsfunktion der Straßenverbindung wird im Zuge der Fortschreibung des STEP ‘Verkehr und öffentlicher Raum’ noch einmal überprüft. – Eine Zunahme des Verkehrs um 70 % in den letzten 17 Jahren kann nicht bestätigt werden. Insgesamt ist die Verkehrsbelastung unterdurchschnittlich gegenüber anderen Hauptnetzstraßen. Auch der Lkw-Anteil ist eher gering.”

Wer Ämterdenken begreifen will, sieht es hier im Grunde exzellent vorgeführt: Die Anwohner legen ihre Probleme mit Lärm (damit fing die Debatte 2011 an), unübersichtlichen Straßenabschnitten, überhöhten Geschwindigkeiten, fehlenden Querungshilfen und schlechten Radfahrbedingungen vor – und die Ämter suchen erst mal die Vorschriften heraus, die begründen, warum die vorgeschlagenen Abhilfen nicht umsetzbar sind.

Die Schulkinder könnten ja brav auf den Fußwegen laufen bis zu nächsten Ampel. Und auf den Fußwegen würden auch recht wenige Radfahrer fahren. Und Lkw wären gar nicht so viele unterwegs. Und die Straße bleibe eben eine ausgewiesene Hauptverbindungsstraße. Da müsse man mit solchem Verkehr rechnen.Was bleibt übrig und soll nun im September nach Vorschlag der Verwaltung beschlossen werden? – “Das Prüfergebnis der Verwaltung wird zur Kenntnis genommen. Verbesserungen der Querungsmöglichkeiten sind in Abhängigkeit der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel vorgesehen. Die Verkehrsfunktion der Straßenverbindung wird im Zuge der Fortschreibung des STEP ‘Verkehr und öffentlicher Raum’ noch einmal überprüft.”

Und wie ist es mit dem Lärm? – Nicht so schlimm, meint die Verwaltung. “Zur Prüfung, ob ein Streckenverbot zur Herabsetzung der Geschwindigkeit auf 30 km/h infrage kommt, wurden auf Grundlage der neuesten Verkehrsdaten Verkehrslärmberechnungen durchgeführt.

Maßgeblich für die Beurteilung des Verkehrslärmes sind die Richtlinien für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm (Lärmschutz-Richtlinien-StV). Die in der Petition angeführten Immissionsgrenzwerte der 16. Bundesimmissionsschutzverordnung (16. BImSchV) können nicht herangezogen werden.

Ergebnis der Prüfung war, dass der ermittelte Verkehrslärm unter den Richtwerten der o. g. Richtlinie lag. Es liegen somit keine Lärmwerte vor, die eine Geschwindigkeitsreduzierung oder andere verkehrliche Maßnahmen rechtfertigen würden.”

Auch hier dieser seltsame Vorgang: Erst prüft man, ob überhaupt irgend ein Grenzwert erreicht ist, der Ämter zum Handeln zwingen würde. Und dann erklärt man – auch noch wider besseres Wissen – dass kein Zwang zum Handeln besteht. Die oben angegebene Lärmschutz-Richtlinien-StV weist als Grenzwerte für Verkehrslärm in allgemeinen Wohngebieten bei Tag 70 dB(A) aus und in der Nacht 60 dB(A).

Ein simpler Blick auf die Lärmkartierung der Stadt Leipzig aber zeigt, dass der komplette Straßenzug Kirschbergstraße, Möckernsche Straße und Berggartenstraße mit einem Lärmpegel von 65 bis 70 dB(A) belegt ist, was bei der Art und der Menge des Durchgangsverkehrs auch nicht anders zu erwarten war. An den entscheidenden Kreuzungen – vor allem im Bereich zwischen Breitenfelder und Menckestraße wird ein Lärmniveau von 70 bis 75 db(A) erreicht.Und damit sind keineswegs die Lärmspitzen erfasst, die entstehen, wenn Raser oder Baufahrzeuge durch die Straße donnern.

Das Ganze mutet nur wieder an wie das hilflose Ablenken einer Verwaltung, die kein nachhaltiges Verkehrskonzept in der Tasche hat, meist nur punktuell reagiert und für wirklich nachhaltige Lösungen keine Gelder zur Verfügung hat.

Das Einzige, was irgendwie noch fassbar wird – außer der Ankündigung, weiter prüfen zu wollen, ist der Verweis auf die zusätzliche Querung an der Schwimmhalle: “An der Schwimmhalle Mitte ist schon seit längerem der Bau einer Querungshilfe vorgesehen. Leider stehen für deren Realisierung zurzeit keine finanziellen Mittel zur Verfügung.”

“Ansonsten ist die Querungssituation in den benannten Straßen vergleichbar mit der in vielen anderen Straßen”, erklärt die Verwaltung. “Besondere Querungsstellen, an denen besonders viele Fußgänger queren, gibt es, außer den oben Genannten, nicht. Insbesondere liegen keine besonderen Anforderungen bezüglich der Schulwegsicherheit vor. Die Schulkinder benutzen die Straßen im Längsverkehr und können an Lichtsignalanlagen queren.”

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Die einzigen, die das alles nicht einsehen wollen, sind die Anwohner. “Den Vertretern der Bürgerinitiative ‘Gegen Schall und Rauch’ und von ‘Stadthäuser Gohlis e. V.’ sind die o. g. Entscheidungsgründe bekannt. Sie haben schon mehrfach persönlich und schriftlich ihre in der Petition dargelegten Forderungen gegenüber der Verwaltung geäußert. Seitens der Verwaltung wurden die oben ausgeführten Gründe für das Handeln der Verwaltung ausführlich den Vertretern der Bürgerinitiative und des Vereins erläutert. Auch wurden bereits umfangreiche Informationen zur Verkehrsbelastung und der daraus resultierenden Lärmbelastung gegeben.”

Kann man ja gespannt sein, ob der Stadtrat das am 20. September genauso sieht. Oder vielleicht, mutig wie er ist, Nachbesserungen verlangt.

Die Vorlage der Verwaltung: http://notes.leipzig.de

Die Lärmkartierung der Stadt Leipzig: www.leipzig.de/de/buerger/umwelt/laerm/index.shtml

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