Nicht nur die steigenden Tarife bei den LVB waren ein Streitthema in der Stadtratssitzung am 20. März. Auch der "Bau- und Finanzierungsbeschluss Stadtbahnlinie 15/Lützner Straße zwischen Plautstraße und Henriettenstraße (BA 20.2)" wurde nicht so einhellig gefasst, wie sich die Planer vielleicht dachten. Die Grünen enthielten sich bei der Abstimmung gleich der Stimmabgabe.

Roland Quester, verkehrspolitische Sprecher Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, kritisierte, dass die Gehwege punktuell wegen diverser Parkstände lediglich eine Breite von 1,90 Meter aufweisen sollen. Der derzeit gültige Stadtentwicklungsplan Verkehr und öffentlicher Raum trifft zur Gehwegbreite folgende Aussagen: “Im Seitenraum sollte ein mindestens 2,50 m, in Geschäftsstraßen 3,50 m breites von Hindernissen und anderen Funktionsbelegungen ungestörtes Band für den Fußgängerverkehr zur Verfügung stehen; dieses Band benötigt auf beiden Seiten Sicherheitsabstände von mindestens 0,50 m zu Fassaden, Einfriedungen, Bäumen, Radwegen, Fahrbahnen, Stellplätzen und anderen Funktionsbereichen.”

Und er bedauerte in seiner Rede im Stadtrat, “dass das beispielhafte Beteiligungsverfahren in der Karl-Liebknecht-Straße erst durchgeführt wurde, als die Planung der Lützner Straße schon weit fortgeschritten waren.” Die Unterlagen für diesen letzten Bauabschnitt zur Lützner Straße wurden zwar 2012 noch einmal öffentlich ausgelegt. Aber wirklich ernsthaft mit den Planungsunterlagen beschäftigen konnten sich die Stadträte und Interessenverbände augenscheinlich erst seit Januar, seit diese auch im Ratsinformationssystem zur Verfügung standen.

Die aus internetlosen Zeiten überkommene Gepflogenheit, die Öffentlichkeitsbeteiligung über das Auslegen solcher Pläne zu bestimmten Zeiten und in meist amtlichen Räumen sicherzustellen, genügt wohl längst nicht mehr den Bedingungen der Gegenwart. Aus amtlicher Sicht ist das Verfahren zwar korrekt – doch selbst die OBM-Wahl hat gezeigt, wie eingeschränkt die Möglichkeiten der in der Regel fleißig arbeitenden Leipziger sind, zu den amtlichen Öffnungszeiten den Weg in die Amtsräume zu finden. Da könnte sich gewaltig etwas ändern. Schon damit beginnend, dass Beteiligungsverfahren allesamt auf der Homepage der Stadt sofort sichtbar und alle Materialien zum Thema für alle Bürger einsehbar sind.

Barrierefreiheit könnte man das nennen. Und das könnte ein simpler Schritt sein, Öffentlichkeitsbeteiligung (wie auch schon beim Lärmaktionsplan demonstriert) transparent und interaktiv zu gestalten. Mal ganz davon zu schweigen, dass die Verwirklichung von “Open Data” immer noch eine Utopie ist.Die SPD-Fraktion griff die Kritik der Grünen noch am 20. März auf und brachte einen Änderungsantrag ein. Der zumindest die Stellen abmildern soll, wo die Planer wieder einmal versucht haben, alle Karnickel in einem Hut unterzubringen. Was – wie man sich erinnert – bei der Karl-Liebknecht-Straße eines der Hauptdiskussionsthemen war. Da sollte in einem zwangsläufig beschränkten Straßenquerschnitt nicht nur die Straßenbahn auf separierten Gleisen fahren und neben der Autospur und der Fahrradspur auch noch ein durchgehendes Parkfeld für all die Karossen eingebaut werden, ohne die etliche Zeitgenossen nicht mal einen Döner besorgen können. Und das ging dann zwangsläufig zu Lasten des jetzt noch breiten und damit auch wertvollen Gehwegs. Der ratterte in erstaunlichem Tempo auf die Breite zweier Magermodels zusammen.

Den selben Fehler haben die Planer auch in der Lützner Straße gemacht. Bevor auch nur eine Fahr- und Gehspur geplant ist, kleben die Parktaschen in der Straße, als würde sich Verkehr übers Parken definieren. Was den Bürgersteig auch dort unter das von der Stadt gewollte Maß drückt.

Und so beantragt die SPD-Fraktion: “Sollte im Bauabschnitt (20.2) der Lützner Str. der Gehweg schmaler als 2,00 Meter im Vorentwurf geplant worden sein, so soll in jenen Bereichen auf die Einordnung von Parktaschen verzichtet und übergehbare Baumscheiben zur Verwendung kommen.”

Auch die SPD weist die Verwaltung auf den geltenden Stadtentwicklungsplan hin: “Der durch den Stadtrat beschlossene Stadtentwicklungsplan Verkehr und öffentlicher Raum besagt, dass ‘Grundsätzlich eine freie Mindestbreite von 2,50m in Straßen mit wenig regelmäßigem Fußgängerverkehr und an punktuellen Engpässen von 2,00m nicht unterschritten werden soll.’

Das technische Regelwerk RASt 2006 fordert zusätzlich zu den 2,50m rechts und links einen Sicherheitsabstand von 0,5m. In Summe wären Regelgehwegbreiten von 3,50m zu planen.

Die Regelgehwegbreite im Bauabschnitt liegt meist unter den Anforderungen der RASt 2006. In den Abschnitten Henriettenstraße und Jordanstraße wurde auf Grund der Einordnung von Parktaschen der Gehweg mit 1,81m und zwischen der Eisenbahnüberführung und der Ausfahrt Bushof mit 1,90m geplant.

Gerade auf Gehwegen liegen unterschiedliche Nutzungsansprüche vor. Da gehört die Berücksichtigung des Begegnungsfalls, das Befahren mit Rollatoren und Kinderwägen ebenfalls dazu wie der notwendige soziale Abstand zu Objekten und anderen Menschen. Gehört die Förderung des Fußverkehrs zur Agenda wie in der Stadt Leipzig, so sollten solche Nutzungsansprüche berücksichtigt werden.”

Womit sie ein Thema anspricht, das so langsam die Wahrnehmungsschwelle der Leipziger Politik erreicht: Dass die alte Konzeption einer “Autostadt” sich beißt mit dem tatsächlich notwendigen Umbau der Stadt zu einer barrierearmen (besser noch: barrierefreien) und generationengerechten Stadt. Das wird übrigens auch in der Georg-Schumann-Straße interessant, wo die Unterbringung von hunderten Parkflächen am Straßenrand durch das jetzige Provisorium auch die Gehwege beschneidet.

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