Gut Ding will Weile haben. Und: Wichtige Entscheidungen fallen viel früher, als der Bürger sich gern so denkt. Eine Straßenbahnverlängerung durch den Leipziger Südosten ist schon seit 1993 im Gespräch. Damals plante die Uni Leipzig einen medizinisch-wissenschaftlichen Campus bei Stötteritz. Die damals geplante Straßenbahntrasse findet man heute noch im gültigen Bebauungsplan. Seit ein paar Wochen kocht das Thema in Stötteritz und Probstheida wieder hoch.

Der Grund dafür: Der Bebauungsplan soll geändert werden. Was 1993/1994 geplant war, kommt nicht ganz so wie geplant. Die Uni baute ihren Medizin-Campus dort nicht. Pläne für Wohnbebauung südlich von Stötteritz und östlich des Herzklinikums haben sich zerschlagen. Auch die landwirtschaftliche Fläche zwischen Probstheida und Holzhausen soll nicht mehr bebaut werden. Eigentlich der Zeitpunkt, die alten Streckenplanungen einzudampfen.

Doch jetzt wird über neun neue mögliche Streckenführungen diskutiert. Und zwar ziemlich heftig, wie man aus Stadtplanungsamt und der LVB-Zentrale hört. Denn auch wenn die alten Planungen so nicht eintrafen, entwickelt sich das Gebiet trotzdem weiter. Das Rhön-Klinikum plant einen ganzen medizinischen Forschungs- und Dienstleistungsstandort unter dem Arbeitstitel “Cardio Leipzig Innovationszentrum”. Und auch der “Sonnenpark im Südosten Probstheidas ist in den letzten 15 Jahren gewachsen – wenn auch nicht, wie damals geplant, mit Mehrfamilienhäusern in dichter Bauweise, sondern mit Einfamilienhäusern.

Damit haben sich die Schwerpunkte verlagert – etwas weiter in den Süden und den Osten, mehr zur Prager Straße hin.Was nun dazu führt, dass die Leipziger Verkehrsbetriebe im Zusammenhang mit den Entwürfen für den Bebauungsplan neue Straßenbahnvarianten von der Prager Straße oder aus Richtung Stötteritz untersuchen. “Die Ergebnisse trudeln so langsam ein”, sagt Jochem Lunebach, Leiter des Stadtplanungsamtes der Stadt Leipzig. Wenn alles beisammen ist, wollen Stadtplanungsamt und LVB zu einer Informationsveranstaltung einladen. Die ist jetzt schon anberaumt für den 17. Oktober, 18 Uhr in der Aula des Humboldt-Gymnasiums.

Da sollen alle Bürger über die jetzt neun, eigentlich elf Varianten einer künftigen ÖPNV-Anbindung von Herzklinikum und Sonnenpark informiert werden. Lunebach betont, dass die Stadt mittlerweile gute Erfahrungen gemacht hätte, wenn sie die Bürger schon frühzeitig in Planungsverfahren einbinde. Auch wenn es eine 99-prozentige Erfüllung der Bürgerwünsche so nicht geben könne. Dazu seien auch die Interessen der Bürger zu verschieden.

Klar ist mittlerweile auch, warum bislang überhaupt keine Planungsvariante für die Straßenbahnerweiterung im Südosten aufgenommen wurde: Es fehlte schlicht das Fahrgastaufkommen. “Die Investitionen in eine neue Strecke sind nicht das entscheidende Kriterium”, sagt Holger Flache, LVB-Geschäftsbereichsleiter Verkehrsmanagement. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen und die Fördergeldgeber zustimmen, sind auch die benötigten 10 bis 30 Millionen Euro darstellbar, die eine neue Gleistrasse benötigt. Auch im Rahmen der Verkehrsstrategie der Stadt Leipzig würde eine Straßenbahntrasse in diesem Gebiet Sinn machen, vor allem auch, wenn sie den individuellen Autoverkehr reduziert.Aber wenn das Streckenziel nicht genug Fahrgäste “induziert”, wie die Planer es formulieren, dann kann man auch keinen wirtschaftlich sinnvollen Fahrplan aufstellen. “Wenn keine Nachfrage da ist, brauchen wir auch keine Bahnen fahren zu lassen”, sagt Flache.

Aktuell steht das Gebiet an der Schwelle. Die schon vorhandenen Linien verzeichnen aktuell 11.000 Fahrgäste am Tag, sagt Lunebach. “Wir gehen von einer Verdoppelung aus.” Und dann, so Flache, würde sich der Betrieb einer Straßenbahnlinie zum Herzzentrum rechnen.

Lunebach betont aber auch, dass eine Straßenbahnlinie ganz bestimmt nicht zum Beginn des Planungshorizonts gebaut würde, mit dem jetzt der neue Bebauungsplan angedacht wird. Er umfasst im Wesentlichen die nächsten 15 Jahre. Fest steht beim Rhön-Klinikum wohl schon der Bau eines neuen Bettenhauses und eines zweiten Laborgebäudes neben der Herzklinik, weil in beiden Fällen jetzt schon Kapazitätsmangel besteht. Bei beiden sei ab 2014/2015 mit Baubeginn zu rechnen. Das dritte Bauvorhaben sei dann das eigentliche “Cardio Leipzig Innovationszentrum”, das für Forschung und Weiterbildung gedacht sei.

Das könnte die “Kontakte” auf den ÖPNV-Linien ins Gebiet deutlich erhöhen. Aktuell erschließt die Buslinie 76 das Gebiet, die von der Buswendestelle in Probstheida das ganze Gebiet bis zum Herzzentrum anfährt. Und natürlich, so betont Holger Flache, muss bei künftigen ÖPNV-Verbindungen auch die Erschließung mit Bussen diskutiert werden. “Das ist nicht vom Tisch”, sagt er.

Womit dann eben nicht nur neun, sondern elf mögliche Linienvarianten zur Diskussion stehen.

Am 17. Oktober sollen sie öffentlich vorgestellt werden. Das sei, so Lunebach, der erste Teil des bewährten dreistufigen Beteiligungsverfahrens. Die nächste Stufe ist dann am 16. November von 10 bis ungefähr 16 Uhr im Nikolai-Gymnasium eine Bürgerwerkstatt, zu der Vertreter aus allen betroffenen Bürgergruppen eingeladen werden sollen, betont Lunebach. Nicht nur die, die am lautesten diskutieren. “Am Ende soll es eine optimale Variante geben”, sagt er. “Und die optimale Variante ist die, die bei allen Beteiligten die größte Akzeptanz findet.”

Deswegen soll die Zahl der Werkstattteilnehmer auch nicht zu groß werden. “In kleineren Gruppen hört man einander besser zu und kommt eher dazu, über das ganze Projekt zu diskutieren”, meint Lunebach aus den Erfahrungen der bisherigen Beteiligungsverfahren.

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Die Ergebnisse dieses Prozesses sollen dann im Januar 2014 in einer öffentlichen Abschlussveranstaltung vorgestellt werden.

Was dann noch immer nicht heißt, dass auch gebaut wird. “Wir wissen ja noch nicht einmal, wie sich die Förderbedingungen ab 2016 entwickeln”, betont Flache. “Auch das spielt bei diesen Planungen natürlich eine entscheidende Rolle.”

Vorerst, so Lunebach, ginge es darum, für diese – optimale – Streckenführung im neuen Bebauungsplan die notwendige Trasse einzuplanen und auch frei zu halten. Falls mal das Geld für den Bau und die entsprechende Nachfrage da ist.

Aber die Trassen haben es natürlich in sich. Und bei einigen fragt man sich wohl zu recht: Haben Leipzigs Planer immer noch nichts dazugelernt?

Mehr dazu gleich an dieser Stelle.

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