Das war dann mal wirklich ein Spatenstich an diesem trüben 4. September an der Carl-Maria-von-Weber-Straße. Die Stadt hatte eingeladen zum Auftakt der Arbeiten am nächsten, 104 Meter langen Stück Elstermühlgraben. Dem teuersten Stück Wasserstrecke in Leipzig: 4 Millionen Euro sind für die Freilegung des 1963/1965 verrohrten Abschnitts des Elstermühlgrabens geplant.

Ein ingenieurtechnisch schwieriges Stück. Was nicht an dem harten Boden liegt, mit dem sich OBM, Bürgermeister, Anwohner und Gäste aus Staatsregierung und Fördergeldgeber Allianz abquälten. Denn hier haben fünf Jahrzehnte lang Fahrzeuge geparkt. Dem kommt man mit Spaten nicht bei. Aber am Mittwoch, 4. September, waren auch schon die großen Bohrgeräte aufgefahren, die in den nächsten Monaten das Bild bestimmen. Von September bis zum Februar nächsten Jahres finden auf diesen 100 Metern die Bohrpfahlarbeiten statt. Kosten allein dafür: 1,2 Millionen Euro. Man befindet sich mitten im alten Auensystem und Überschwemmungsgebiet westlich der Stadt, das erst durch Dr. Carl Heines Ausbau der Westvorstadt zu einem bewohnbaren Stück Stadt wurde.

Der Name Carl Heine fiel an diesem Tag des offiziellen Spatenstichs nicht. Was zumindest überrascht. Denn ohne den umtriebigen Rechtsanwalt hätte es weder die Westvorstadt gegeben noch die Weststraße (die heutige Friedrich-Ebert-Straße) und auch nicht die Westbrücke (die in manchen Karten schon Friedrich-Ebert-Brücke heißt), die man in den letzten 50 Jahren nicht mehr sah, weil ihr Überbau komplett demontiert wurde. Man sieht sie auch jetzt noch nicht, denn dicke Betonpropfen sperren den Elstermühlgraben, der hier westwärts schon 2010 wieder freigelegt wurde, ab. Die Westbrücke, die Carl Heine 1849 nach einem zähen Kampf gegen die Leipziger Stadtbürokratie praktisch aus eigenen Mitteln baute und die seit 1861 den Namen Westbrücke führt, ist natürlich reif für einen Neubau. Der soll 2014, wenn der Graben wieder ausgehoben ist, beginnen, was zusätzliche 1,4 Millionen Euro kostet und 2014 wohl zu einer Vollsperrung der Friedrich-Ebert-Straße führen wird.

Der eigentliche Grabenausbau, der im März 2014 starten soll (wenn denn nicht wieder ein sibirischer Winter alle Zeitpläne über den Haufen wirft), kostet 1 Million Euro. Der Rest der veranschlagten 4 Millionen Euro für die Freilegung des Elstermühlgrabens fließt dann in die bauliche Gestaltung mit Treppenanlage auf der Südseite, Sitzelementen, Grünstreifen und Feuerwehrzufahrt. Denn dieses Stück Graben soll sich auch architektonisch ins Viertel einfügen, das mittlerweile auf dem Weg ist zu einem der Leipziger Nobelviertel. “Wohnen am Wasser” heißt das Stichwort.Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal spricht dezidiert vom Dreiklang “Hochwasserschutz, Tourismus, Wohnqualität”. Denn (wasser-)touristisch ist das Grabenstück die Fortsetzung des 2010 in Betrieb genommenen Stück Elstermühlgrabens bis zur Elsterstraße. Da endet das Paddelvergnügen auch 2015 noch, wenn OBM Burkhard Jung das neue Stück Graben feierlich eröffnen will. Dann fehlen noch immer 300 Meter bis zum Ranstädter Steinweg und dem dort schon 2006 freigelegten Stück Elstermühlgraben. Dafür reichte das Geld wieder nicht.

Aber aus Dresden waren extra Ulrich Kraus, Abteilungsleiter Wasser, Boden, Wertstoffe im Sächsischen Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft (SMUL), und Ulrich Beyer, Abteilungsleiter Stadtentwicklung, Bau- und Wohnungswesen im Sächsischen Staatsministerium des Inneren (SMI), angereist, um für ihre Ministerien zumindest die wohlwollende Begleitung der nächsten Bauabschnitte zu versprechen. Leipzig sei – auch durch die in den letzten Jahren gewährten 400 Millionen Euro Städtebaufördermittel – eine der schönsten sächsischen Städte, betonte Ulrich Beyer. Sein Ministerium sei aber in diesem Fall nur der Juniorpartner – der Seniorpartner bei der Fördergeldzusage sei das SMUL, das 2 Millionen Euro Förderung aus dem Programm Hochwasserschutz beigesteuert habe. Vom SMI kamen 400.000 Euro für den Städtebau obendrauf.Hochwasserschutz deshalb, weil die Freilegung des Elstermühlgrabens wichtiger Bestandteil des zwischen 1998 und 2003 erarbeiteten Leipziger Hochwasserschutzkonzeptes sei. Der Elstermühlgraben soll künftig im Hochwasserfall bis zu 15 Kubikmeter pro Sekunde an Durchfluss ermöglichen. Zwei Meter hoch rauscht dann bei Hochwasser die Flut durch den Kanal. Im Normalwasserabfluss werden es 4 Kubikmeter sein. Durchs Rosental werden diese Wassermengen dann abfließen und sich hinterm Klärwerk Rosental in die Elster ergießen.

Aber das wohl nicht vor 2019. Denn dieses Jahr nennt die Stadtverwaltung nun als Ziel für die gänzliche Freilegung des Elstermühlgrabens. Das letzte Stück hat es in sich, denn es enthält noch drei Brückenbauten, die entsprechend teuer werden: die Elsterbrücke, die Poniatowskibrücke und die Funkenburgbrücke. Ein Programm, das die Stadt eigentlich schon bis 2012 geschafft haben wollte.

“Die rasante Geschwindigkeit vom Beginn der Gewässeröffnungen werden wir nicht durchhalten können”, sagte OBM Burkhard Jung am Mittwoch. “Es gibt inzwischen andere Prioritäten und drängendere Vorhaben.”Aber nicht nur das hat den Ausbau des Leipziger Gewässersystems ausgebremst. Ein wichtiger Faktor war dabei auch immer die Frage: Wer bezahlt? – Leipzig hat sein Hochwasserschutzkonzept ja auch entwickelt, um die seit 2002 namhaft bereitstehenden Fördermittel für den Hochwasserschutz auch im Stadtgebiet einsetzen zu können. Doch wenn Ulrich Kraus betont, dass die 2 Millionen für den Elstermühlgraben aktuell der größte Batzen aus dem Hochwasserschutzprogramm für ein kommunales Bauprojekt in Sachsen sind, dann ahnt man, dass es nicht wirklich aufging, was sich einst das Duo Tiefensee-Tschense für Leipzig erwartete.

Seit 2005 hat der Freistaat ein eigenes Hochwasserschutzprogramm für die Kommunen. Das Teil des übergeordneten Hochwasserschutzprogramms an den Gewässern 1. und 2. Klasse ist, für die der Freistaat Verantwortung trägt. Und dort floss der Löwenanteil der Gelder ja bekanntlich in die technischen Hochwasserschutzsysteme – unter anderem die neuen Deiche an der Neuen Luppe, die 2011 – nach dem Januar-Hochwasser – gebaut wurden und die auch Ulrich Kraus über den grünen Klee lobte, obwohl sie für den Leipziger Hochwasserschutz überhaupt keine Rolle spielen.

Und dass es in der Diskussion zwischen Dresden und Leipzig immer wieder knirschte, wenn es um das Verhandeln der Fördergelder ging, deutete er auch an, lobte freilich ganz betont die fachliche Position der Stadt Leipzig, “die Projekte auch gegen den Widerstand Dritter” genehmigte.

Dass die Deiche in der Burgaue auch jene Gelder gebunden haben, die eigentlich für Elstermühlgraben und die Freilegung der Alten Elster nötig gewesen wären, blieb logischerweise unerwähnt. Für die Alte Elster, die eigentlich schon seit 2012 freigelegt werden sollte – ebenfalls als elementarer Bestandteil des Leipziger Hochwasserschutzes – heißt das dann wohl eine Verschiebung in die 2020er Jahre.

Insgesamt 2,9 Millionen Euro Förderung fließen nun in das 104 Meter lange Kanalstück, davon auch ein sechsstelliger Betrag der Allianz Umweltstiftung, die das Leipziger Gewässerprojekt seit 1998 begleitet. Damals half sie mit bei der Finanzierung der Fritz-von-Harck-Anlage am Bundesverwaltungsgericht und der Öffnung des dortigen Abschnitts des Pleißemühlgrabens.

Und Kanal ist das neue Stück Elstermühlgraben natürlich auch historisch gewesen. Spätestens ab 1866, als Carl Heine an dieser Stelle die alte Neubertsche Schwimmanstalt abreißen ließ, um freie Durchfahrt für seine Dampfschiffe zum Dampfschiffkanal in der heutigen Lessingstraße zu schaffen. “Baden wird man hier künftig nicht können”, betonte Burkhard Jung. “Aber es wird für andere wassertouristische Nutzungen ein ganz wichtiger Abschnitt.”

Die Neubertsche Schwimmanstalt haben die Schüler der Thomasschule dafür in bunten Farben auf die Spaten gemalt, mit denen die “Herren der Spaten” dann am Mittwochmittag versuchten, das harte Erdreich aufzureißen. Aber dafür braucht es tatsächlich schweres Gerät, das für die Anwohner der Carl-Maria-von-Weber-Straße nun die nächsten zwei Jahre die Aussicht bestimmen wird. Danach haben sie eins der schönsten Stücke Leipzigs direkt vor der Nase. Und vielleicht kann Burkhard Jung bei der Eröffnung 2015 auch schon verraten, wann und wie die nächsten beiden Bauabschnitte am Elstermühlgraben finanziert und umgesetzt werden.

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