Das kam gar nicht gut an, was Leipzigs Stadtplaner da 2009 am Kulkwitzer See durchsetzen wollten. Und nicht nur sie. Praktisch zeitgleich gingen die Bebauungspläne für den Kulkwitzer See damals in Leipzig und Markranstädt ins Verfahren. Beide Städte teilen sich den See nicht nur, sie sind auch in einer Zweckgemeinschaft vereint, das Naherholungsgebiet zu entwickeln. Während die Bebauungspläne seinerzeit in Markranstädt durchgedrückt wurden, sorgte der Protest der Grünauer für einen Stopp in Leipzig. Jetzt ist das Thema wieder auf der Tagesordnung.

Wobei sich manche Stadträtin und mancher Stadtrat jetzt verwundert die Augen reiben wird: In einem Affentempo soll das 60-Seiten-Papier mit all seinen Anhängen zum Beschluss geführt werden. Im April hat das Dezernat Stadtentwicklung und Bau den überarbeiteten Bebauungsplan ausgereicht. Der Fachausschuss Planung und Bau hat sich am 24. Juni erstmals damit beschäftigt. Und in der Ratsversammlung am 16. Juli soll er schon zum Beschluss vorliegen.

Es ist nicht der erste Versuch, am Kulkwitzer See Druck zu machen. Schon 2000 herrschte da in einigen Ämtern Alarmstimmung: Der Cospudener See stand kurz vor der Eröffnung, die nächsten Seen im Neuseenland würden folgen. Und irgendjemand im Rathaus hielt es für notwendig, für den Kulkwitzer See Alarm zu schreien. “Es wurde befürchtet, dass der Kulkwitzer See im Vergleich zu den neuentstehenden Seen im Leipziger Neuseenland zunehmend an Attraktivität verliert.”

Anonyme Befürchtungen sind etwas Feines. Damit lässt sich herrlich Politik machen. Dass der See Änderungen brauchte – keine Frage. Und der lange Diskussionsprozess hat gezeigt, dass manche Lösungen einfach Zeit brauchen. Wenn eine Verwaltung “Alarm!” schreit, darf man mittlerweile ziemlich sicher annehmen, dass dahinter seltsame Interessen am Werk sind.

Die Tatsache, dass der Zweckverband “Erholungsgebiet Kulkwitzer See” ein Zuschussgeschäft ist und ihm Kapital für eigene weitere Investitionen fehlt, ist dabei nur ein Teil der Wahrheit. Alle anderen Zweckverbände in der Region sind auch nur Zuschussgeschäfte. Nur stellen es die jeweiligen Akteure nie so dar, weil der Sinn dieser Zweckverbände neben dem Einwerben von Fördermitteln und der überregionalen Planung auch das sinnvolle Entwickeln ihrer Projekte ist. Das kostet nun mal Geld.Ein Rahmenkonzept für den Kulkwitzer See war also durchaus Zeichen der Zeit. Doch wie das in Leipzig so ist: Einige Ämter denken gern wie Wirtschaftsförderer, obwohl sie eigentlich keine sind. Aus dem Rahmenplan für das Naherholungsgebiet Kulkwitzer See wurde ein B-Planentwurf mit lauter touristischen Erweiterungen – Campingplatz, Ferienhäuser, Parkplatz, Seestraße. Von Naherholung wäre nicht viel übrig geblieben und es brauchte seinerzeit Dutzende öffentliche Veranstaltungen, Stellungnahmen und Protestnoten, bis die Verwaltung den B-Planentwurf wieder zurücknahm und einsah: “Im Zuge des Planungsprozesses und der öffentlichen Diskussion wurde deutlich, dass das zukünftige Profil des Sees und der inhaltliche Schwerpunkt des B-Planes mehr auf eine umweltverträgliche Naherholung, als auf einem Ausbau überregionaler touristischer Angebote ausgerichtet ist.”

Fünf Jahre dauerte es bis zu dieser Einsicht. Obwohl die Aufgabenstellung auch schon 2009 geheißen hatte: eine Rahmenkonzeption für ein attraktives Naherholungsgebiet zu schaffen. Ganz hat man von seinen Visionen, am Kulkwitzer See ein bisschen mehr Geld zu verdienen, nicht Abschied genommen. Das Wort “Tourismus” schwebt noch immer als Monogramm über den Plänen, auch wenn man die heftigsten Eingriffe jetzt tatsächlich zurückgenommen hat. Angefangen von der Uferstraße, mit der man mitten durch jetzt noch ungestörte Uferzonen gebrettert wäre. Künftig will man vor allem die schon existierenden Straßen und Wege zur Versorgung nutzen.

Nicht vom Tisch ist die Erweiterung des Campingplatzes nach Osten über die Zschampert hinaus. Ein Bächlein, das im Bericht zwar stellenweise schon als sehr gestört beschrieben wird – aber man würdigt mittlerweile die wichtigen Biotope, die sich am Bachlauf entwickelt haben. Und man erwähnt zumindest, das eine Campingplatzerweiterung hier in ein ökologisch wertvolles Gebiet ausgreift.Mal kurz zitiert aus der Vorlage: “Das vorgesehene SO 8 (Campingplatzerweiterung) intensiviert die Nutzung auf einer bislang ungenutzten Fläche mit Wert für Arten und Lebensgemeinschaften. Vollversiegelungen sind nicht vorgesehen. Die Campingnutzung beeinträchtigt jedoch durch Trittbelastung und Störung potentieller Brut- und Nahrungshabitate der Avi- und Amphibienfauna.”

Nicht vom Tisch ist auch der seltsame Drang der Leipziger Planer, den Kulkwitzer See unbedingt mit Pkw erschließen zu wollen, obwohl man im Text durchaus zugibt, dass der Kulki mit ÖPNV sehr gut angeschlossen ist und eigentlich eine Vervollständigung der Radwegeerschließung Zeichen der Zeit ist. Aber nein. Irgendwie denkt man in einigen Ämtern konsequent: Blech. 800 bis 860 Stück Blech. Zusätzlich. Denn die beiden Parkplätze am Nordufer sollen ja erhalten bleiben, werden nur ein bisschen verkleinert. Dazu kommt dann eine neue Parkfläche westlich der Straßenbahnwendeschleife in Lausen: 21.177 Quadratmeter, womit sich die Gesamtparkfläche auf über 28.000 Quadratmeter erhöht. Geht ja auch nur wieder ein Stück Natur verloren: “Mit der Erweiterungsfläche des Parkplatzes 3 nördlich der Straßenbahnwendeschleife verliert die Fläche eine Ruderal- / Staudenflur und Gehölzaufwuchs mit mittlerer Bedeutung nahezu vollständig ihre Funktion als (Teil-) Lebensraum für Amphibien.” Unter anderem.

Eingesehen hat man, dass man nicht noch mehr Ferienhäuser ins Grün am See bauen kann. Also nutzt man jetzt die Chance, aus dem Schandfleck der alten Tierzuchtanlage was zu machen: “Die Lage des Ferienhausgebietes (SO 10) wurde im Planungsprozess von einer bislang unversiegelten Freifläche auf das Gelände der ehemaligen Tierzuchtanlage verschoben. Damit werden Neuversiegelungen, Vegetationsbeseitigungen und der Verlust von Lebensstätten vermieden.” Immerhin.

Auf Seite 42 kann man dann ziemlich klar lesen, was das 2009 für ein B-Plan gewesen war und dass er mit der eigentlich gewollten Naherholung nichts mehr zu tun hatte: Da liest man den klaren Terminus “intensive touristische Erholungslandschaft”, den man irgendwie aus amtlichen Plänen der Stadt immer wieder liest. Irgendjemand scheint dort Leipzig und Umgebung in eine Art “Mekka des Wassersporttourismus” verwandeln zu wollen. Behutsamkeit ist etwas anderes. Dass man mit den touristischen Plänen selbst gegen geltende Rahmensetzungen verstieß, erwähnt man in der Vorlage zumindest. Denn der Regionalplan Westsachen weist “den Kulkwitzer See und seine Uferbereiche als Vorbehaltsgebiet ‘Erholung’ (RPlWS 2008, Zielkarte 14)” aus. Nicht Tourismus. Erholung. Naherholung in diesem Fall. Was dann auch den weiteren Verbau von wertvollen Uferbereichen unsinnig macht. Ein solches Projekt, das für sehr viel Unmut gesorgt hat, ist jetzt gestrichen: “Im Rahmen des Planungsprozesses wurde das ursprünglich vorgesehene Sondergebiet an der Südspitze der Halbinsel wieder aus dem Konzept genommen. Störungen / Beeinträchtigungen in das nach § 26 SächsNatSchG geschützte Röhricht an der Südspitze der Halbinsel werden nun vermieden.”

Dass etwas erst von aufgewühlten Bürgern gefordert werden muss, überrascht schon.

Offen bleibt die Frage, was der riesige Parkplatz am Südufer bewirken wird im Verein mit der dort entstehenden Ferienhaussiedlung: Ist der Südstrand dafür überhaupt groß genug? Oder wird hier jetzt ein neuer Nutzungsdruck erzeugt, der weitere Investitionen nach sich zieht?

Der Beschlusstext: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/22E5278DA85DB7D1C1257CCF0022DE44/$FILE/V-ds-3762-text.pdf

Die 60-seitige Begründung: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/22E5278DA85DB7D1C1257CCF0022DE44/$FILE/V-ds-3762-anlage-4.pdf

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