Das Urteil wird Wellen schlagen, weit über Leipzig hinaus. Denn es wird das Verhältnis von Kommunen und kommunalen Unternehmen zu Großbanken deutlich verändern. Am Dienstag, 4. November, um 10.45 Uhr verkündete Richter Justice Males am High Court of Justice in London das Urteil im Prozess UBS versus Wasserwerke Leipzig. Ein Streitfall, der die Stadt Leipzig seit fast fünf Jahren in Atem hielt: Muss die Stadt für die kriminellen Geschäfte eines Ex-Geschäftsführers zahlen? Oder steht die Bank, die die Deals gegenzeichnete, für die Ausfallsumme von 350 Millionen Euro grade?

Die Wetten standen nicht gut für Leipzig. So Mancher tippte auf eine Niederlage, sah die Leipziger Stadtholding schon in ein Riesenschlamassel von am Ende 500 Millionen Euro schlittern, sah für Leipzig, das für einen Teil der Summe geradestand, den Schuldenberg schon auf 1 Milliarde Euro wachsen. Selbst kritische Journalisten glaubten den Optimismus von Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) und LVV-Geschäftsführung nicht, dass man in London gewinnen werde. Hatte der Aufsichtsrat der Kommunalen Wasserwerke Leipzig (KWL) nicht merken müssen, dass der damalige Geschäftsführer Klaus Heininger seltsame Deals eingegangen war mit CDOs, das er die KWL quasi zum Versicherer gegenüber den drei Banken UBS, LBBW und Depfa gemacht hatte?

Möglich, befand Justice Males an einer Stelle seines 418 Seiten dicken Urteils. Eine Stelle, die am 4. November die UBS in ihrer eigenen Pressemitteilung zum Londoner Urteil besonders hervorhob. Aber selbst wen der Aufsichtsrat früher mitbekommen hätte, was der Geschäftsführer da hinter dem Rücken von Aufsichtsrat und Gesellschafter eingefädelt hatte, hätte das nichts am Sachverhalt geändert. Denn der ist aus Males’ Sicht eindeutig. 42 Verhandlungstage hat er sich Zeit genommen, hat sich in tausende Seiten Unterlagen von beiden Prozessgegnern einarbeitet, hat 27 Zeugen vorgeladen. Und der Kernsatz seiner Urteilsbegründung lautet, dass dies nun ein echtes Paradebeispiel wäre, “wie ehrliches und fäires Investmentbanking nicht betrieben werden sollte”.
Der wesentliche Knackpunkt war immer auch: Was wusste man bei den KWL? Was konnte man wissen? War das Unternehmen über alle Risiken und den Charakter der Geschäfte informiert? Besaß die Geschäftsführung überhaupt die Möglichkeit einzuschätzen, was aus den Verträgen folgen konnte?

Doch genau das war alles nicht der Fall. Die Schweizer Großbank verletzte gegenüber den KWL schlicht ihre Pflichten. Sie ging kein faires Investment mit den Leipziger Wasserwerken ein, sondern verletzte auch wesentliche Beraterpflichten. Auch wenn die Geschäfte über die obskure Beraterfirma Value Partners eingefädelt wurden.

Richter Males wird da sehr konkret und stellt auch fest, Ziel dieser Zusammenarbeit zwischen UBS und Value Partners sei es gewesen, die CDOs mit den KWL um jeden Preis zum Abschluss zu bringen. Beispielhaft dafür sei das gemeinsame Bemühen von UBS und Value Partners, die wirtschaftlichen Eckdaten der CDOs geheim zu halten. Der zweite Geschäftsführer der KWL sollte hiervon nichts erfahren – und fiel dann aus allen Wolken, als die Sache im Januar 2010 aufflog.

Auch die UBS-internen Überlegungen zu finanziellen Anreizen für Value Partners, mit denen diese dafür belohnt werden sollten, der UBS weitere lukrative Geschäfte zu vermitteln, kritisierte Males. Sein Urteil ist gespickt mit solchen Analysen, die das gesamte Geschäftsgebaren der UBS unter die Lupe genommen haben. Selbst das eigene Kreditrisikokomitee der UBS sei über das Rating der KWL und Sinn und Zweck der vereinbarten Geschäfte getäuscht worden.
Was ja wohl im Klartext heißt: Hätte das Kreditrisikokomitee der UBS die Sache geprüft, hätte sie ebenfalls nie zum Abschluss kommen dürfen. Was natürlich einen Ball ins Spielfeld der UBS wirft: Denn damit haben eigene Mitarbeiter die Schweizer Großbank quasi hinters Licht geführt. Wie wird die Bank jetzt damit umgehen?

Richter Males jedenfalls stellt in seinem Urteil fest, dass der zwischen KWL und UBS abgeschlossene CDO aufgrund einer ganzen Reihe schwerwiegender Pflichtverletzungen von UBS-Mitarbeitern rückabzuwickeln sei. Die KWL wird aufgrund dieser Pflichtverletzungen so gestellt, als hätte sie die CDOs niemals abgeschlossen. Das heißt: Sie muss weder für die 350 Millionen Euro aufkommen, die die CDO-Geschäfte beinhalteten, noch für die Schadensersatzforderungen, die die UBS in London angemeldet hat, und auch der größere Teil der Gerichtskosten werden ihr erstattet. Zusammen hätte sich das alles auf eine runde halbe Milliarde Euro summiert.

Bleiben noch die Bestechungsgelder in zweistelliger Millionenhöhe, die an die beiden Herren von Value Partners geflossen sind. Müssen die Wasserwerke dafür nun aufkommen? Aber selbst das wäre unverständlich, denn diese Gelder haben die KWL ja auch nie gesehen.

Und was bedeutet nun die angewiesene Rückabwicklung der Verträge?

Aufgrund der Pflichtverletzungen der UBS, als deren Vermittler Value Partners quasi fungierte, gilt die CDO-Vereinbarung für null und nicht, als wäre sie nie abgeschlossen worden. Was übrigens noch verschärft wird durch die Art und Weise, wie die UBS-Abteilung Global Asset Management (UBS GAM) das CDO-Kreditportfolio verwaltet habe. Auch damit hat sich Justice Males ausführlich beschäftigt. Das Ergebnis: UBS GAM habe einseitig auf hoch riskante Kredite gesetzt und auch diese nicht ordentlich verwaltet.

Das Gericht kam daher zu dem Ergebnis, dass die Verwaltung der Portfolien durch UBS GAM nicht dem erwarteten Standard entsprach und dass die Verluste in sämtlichen Kreditportfolien allein durch die Pflichtverletzungen der UBS GAM verursacht worden sind.

Und damit werde auch, so Christine Volohonsky von der Kanzlei Noerr, die auf Leipziger Seite in London tätig wurde, der in Dresden anhängige Prozess der LBBW gegen die Wasserwerke Leipzig hinfällig. 2013 hatte das Landgericht Leipzig in diesem Fall überraschend gegen die KWL entschieden. Doch nach Males Urteil sind auch LBBW und Depfa von der UBS arglistig getäuscht worden, als sie dazu gebracht wurden, in das Geschäft mit einzusteigen. Sie müssen ihre Schadensersatzansprüche gegen die UBS geltend machen, nicht gegen die KWL.

Das Urteil UBS vs. KWL ist rechtsgültig. Zwar hat die UBS angekündigt, das Urteil anfechten zu wollen. Aber Christine Volohonsky sieht nicht viele Chancen, dass es zu einer Berufung kommen werde, dazu habe sich Richter Justice Males zu gründlich mit dem Fall beschäftigt. Und Males wird auch der Erste sein, der über eine Berufung zu befinden hat.

Sowohl OBM Burkhard Jung als auch die Geschäftsführungen von LVV und KWL fühlen sich durch das Urteil in ihrem seit fast fünf Jahren andauernden zähen Ringen um eine Klärung des Falls bestätigt. Burkhard Jung: “Jetzt fällt eine riesige Last von der Stadt und ihren Bürgerinnen und Bürgern ab: Das Risiko der finanziellen Belastungen, die unseren Haushalt über alles bisher Bekannte strapaziert hätten, ist vom Tisch. Das Gericht in London hat klargestellt: Die UBS war für die Bestechung Herrn Heiningers rechtlich verantwortlich. Banker und kriminelle Finanzberater hatten sich zusammen mit einem bestochenen Geschäftsführer die öffentliche Daseinsvorsorge zur Beute machen wollen, das Londoner Gericht hat jetzt hier einen klaren Schlussstrich gezogen und deutlich ausgesprochen, wer die Schuld an diesem Desaster trägt.”

Möglich, dass die UBS tatsächlich versucht, zu einer Berufung zu kommen.

Aber wahrscheinlicher ist wohl, dass das Urteil ein Zeichen für die gesamte Bankenbranche ist und für all jene Kommunen und Kommunalunternehmen, die mit ähnlichen Deals in den vergangenen Jahren ausgenommen wurden. Das Urteil heißt auch: Die beteiligten Banken müssen belegen können, dass sie ihren Verhandlungspartner jederzeit transparent und vollumfänglich über alle Risiken informiert haben. Wenn die Verhandlungspartner nicht einmal einschätzen können, was für Risiken ihnen da aufgehalst werden, hat das ganze mit einem fairen Investment wirklich nichts mehr zu tun.

Zum Originalurteil des High Court of Justice London vom 4. November 2014

Das Urteil im vollen Wortlaut
Die komplette Mitteilung der Stadt Leipzig als PDF zum download.

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