Es kommt erstaunlich spät, dieses Signal aus dem Leipziger Rathaus, dass man die Abrissstrategie in Grünau endlich auch offiziell beendet. Schon seit 2010 hat sich die Einwohnerzahl in Grünau stabilisiert. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich das rapide Bevölkerungswachstum der Gesamtstadt auch in Grünau wieder als Wachstum bemerkbar macht. Da kann man keine Schulen mehr abreißen. Wirklich nicht.

Doch genau das war seit 20 Jahren die Strategie in dem Neubaugebiet im Leipziger Westen. Und das hatte dramatische Folgen. Auch für die Lernbedingungen in den Grünauer Schulen. Aber Stadtpolitik ist ein schwerfälliger Tanker. Es dauert, bis man eine überholte Strategie endlich ändert.

“Die Stadt Leipzig hat in den vergangen Jahren aufgrund der Strategie Grünau 2020 wenig in Schulen und Kindertagesstätten am Rande Grünaus investiert. Es war geplant, einen Teil der Plattenbauschulen und Kitas bis zum Erreichen der Verschleißgrenze zu nutzen und Leipzig Grünau ‘von Außen’ zurückzubauen”, heißt es jetzt in einer Vorlage des Dezernats Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule, das endlich den fälligen Strategiewechsel für Grünau ankündigt. “Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung und des anhaltenden Wachstums hat sich die Stadt Leipzig von der Strategie Grünau 2020 verabschiedet und will jetzt umsteuern. Dabei ist in den letzten Jahren der Sanierungsbedarf an den Grünauer Schulen kontinuierlich gewachsen. Durch andere schulnetzplanerische Prioritäten der Stadt musste die veränderte Grünauer Schulstrategie zeitlich gestreckt  werden.”

Aber nur Flicken und Reparieren reicht nicht mehr. Die Schulgebäude sind heruntergewirtschaftet.

“Die Stadtverwaltung stellt die ursprüngliche Rückbaustrategie in Leipzig-Grünau nunmehr zurück und arbeitet an einem Konzept, dem ‘Integrierten Stadtteilentwicklungskonzept für Grünau’, um das Plattenbau-Viertel attraktiver zu machen”, heißt es jetzt in der Vorlage des Sozialdezernats. Dazu könnte man eine Menge sagen. Zum Beispiel auch, dass in Grünau auch städtischer Neubau überfällig ist. Hier geht es nicht mehr nur um Attraktivität, sondern um die Verdichtung eines Leipziger Stadtteils, der in den nächsten Jahren eine völlig neue Rolle spielen wird. “Die Phase mit Einwohnerverlusten und massivem Leerstand ist überwunden. Nunmehr soll ein Imagewechsel angestrebt werden.”

Der kommt von ganz allein, wenn hier wieder gebaut wird und der Stadtteil endlich auch Infrastrukturen bekommt, die ihn auch für junge Leute und Familien wieder attraktiv machen.

Und losgehen soll es aus städtischer Sicht mit dem Umbau von drei Schulen, die an der Plovdiver Straße und dem Miltitzer Weg sowieso schon dicht beieinander stehen. Das ist neu. Das steht so auch nicht im Schulnetzentwicklungsplan. Das war bis zum Sommer so auch nicht Bestandteil der Stadtpolitik. Aber irgendjemand scheint sich im Sommer heftig an die Stirn gefasst zu haben: Hier ist an einem kompakten Standort etwas möglich, was anderswo im Stadtgebiet fast undenkbar ist. Und zwar in einem überschaubaren Zeitrahmen. Beginnend 2017, Fertigstellung 2023.

Und der massive Schülerprotest vorm Neuen Rathaus am 8. Juli 2015 scheint den letzten Anstoß für dieses überfällige Umdenken gegeben zu haben.

“Die 94. Schule, die Schule Grünau und die Max-Klinger-Schule sollen zu einem schulartenübergreifenden Schulzentrum Grünau Nordwest entwickelt werden und so die kommunale Bildungslandschaft bereichern. Der Bau eines zentralen Gemeinschaftsgebäudes in Ergänzung zur komplexen baulichen Sanierung der vier Schulgebäude und der drei Sporthallen schafft die infrastrukturelle Grundlage für das Schulzentrum”, heißt es in der Vorlage.

Dabei sollen die drei Schulen mit mehr Raumkapazität ausgestattet werden, so dass sie mehr Klassen aufnehmen können. Das Max-Klinger-Gymnasium soll von 4,5 Zügen auf 5 Züge wachsen, die 94. Schule (Oberschule) soll von 2,5 auf 3 Züge wachsen und die Schule Grünau (Schule zur Lernförderung) soll künftig in einem Schulgebäude zusammengeführt werden. Die Außenstelle im Andromedaweg soll entfallen. Und das soll vor allem dadurch bewerkstelligt werden, dass alle drei Schulen künftig ein gemeinsames Zentralgebäude bekommen sollen, in dem unter anderem Bibliothek und Mensa unterkommen: “Der Erweiterungsbau mit Mensa und Zentralbibliothek sowie mit den Ersatzflächen für die 1. bis 3. Klassen sowie das Betreuungsangebot für die Schule Grünau soll dreigeschossig errichtet werden. Es wird von einer Grundfläche des Neubaus von ca. 1.000 bis 1.250 m² ausgegangen. Konzipiert ist die Anordnung eines vorwiegend öffentlich (für die drei Schulen) genutzten Erdgeschosses und einem 1. u. 2. Obergeschoss mit teilöffentlichen Bereichen. Die Funktionsverteilung sieht im EG die Mensa mit Ausgabeküche, Teeküche und Nebenräumen vor.”

Eigentlich tickt die Uhr, nagt der Zahn der Zeit: “Durch mindere Qualität der Originalbauteile, wie z.B. Fenster und Türen und der vollen Auslastung der Schulgebäude über den gesamten Nutzungszeitraum ist an allen Gebäuden ein hoher Verschleiß, nahezu bis an die Verschleißgrenze der einzelnen Bauteile erreicht.”

Planungen und Vorbereitungen sind 2015 begonnen worden und umfassen auch noch das Jahr 2016. Ab 2017 soll gebaut werden. “Die Kosten der Gesamtmaßnahme belaufen sich auf ca. 35 Millionen Euro.” Die Planungskosten betragen rund 2,8 Millionen Euro.

Und um dann bauen zu können, geht es ohne zeitweisen Auszug in ein Interim nicht. Denn die alten Plattenbauten müssen grundsaniert werden. Das geht nur, wenn der Schulbetrieb für diese Zeit komplett ausgelagert wird.

“Die geplanten Gebäudesanierungen erfordern die zeitweise Auslagerung des Gymnasiums und der 94. Schule an Interimsstandorte. Es wird vorgeschlagen, mit der Sanierung des Gebäudes der 94. Schule zu beginnen”, heißt es in der Vorlage. “Dieses Gebäude soll für die spätere Nutzung durch die Schule Grünau hergerichtet werden. Dieser Gebäudewechsel resultiert aus der Lage der Räume im Erweiterungsbau (Ersatz für die Außenstelle Andromedaweg 25). Danach soll das Haus 2 der Max-Klinger-Schule saniert und der Erweiterungsbau errichtet werden. Im Anschluss, nach Umzug der Schule Grünau in das fertig sanierte Objekt der ehemaligen 94. Schule, wird das Gebäude der Schule Grünau für die 94. Schule und das Haus 1 der Max-Klinger-Schule saniert.”

Und parallel sollen alle Beteiligten die Chancen nutzen, das künftige gemeinsame Schulzentrum auch inhaltlich vorzubereiten. Immerhin gibt es ja in Leipzig mittlerweile zwei maßstabgebende Schulzentren. Das eine ist das vom Thomanerchor geprägte “forum thomanum” im Bachstraßenviertel, das andere der Französische Bildungscampus FRANZ an der Tarostraße. Und der Bursche, der da im Sommer die Vision zu einem Schulzentrum in Grünau auf den Tisch gebracht hat, hat auch seinen Wunsch deutlich gemacht, in Grünau Vergleichbares zu machen: “Es besteht der  Wunsch, ein Schulzentrum nicht nur im Sinne eines infrastrukturellen Zusammenwachsens sondern auch mit einer inhaltlichen Weiterentwicklung zu realisieren. Damit das gelingen kann, müssen bereits in einer frühen Phase der Planung pädagogisch-konzeptionelle Fragen mit bedacht bzw. die anstehenden Veränderungen auf der pädagogisch-konzeptionellen Ebene angestoßen werden.”

Auf geht’s, könnte man sagen. Die Uhr läuft.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar