Im aktuellen Band 109 der wissenschaftlichen Schriftenreihe Rothenburger Beiträge zur Polizei- und Sicherheitsforschung hat die Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) nun den Bericht zu einer Analyse der Leipziger Waffenverbotszone veröffentlicht. Die vom Sächsischen Institut für Polizei- und Sicherheitsforschung (SIPS) koordinierte und von der Universität Leipzig durchgeführte Studie hatte bereits bei ihrer öffentlichen Vorstellung im Jahr 2021 intensive Diskussionen zwischen Stadtgesellschaft, Politik und Polizei angeregt.

Die Forschungsergebnisse sind zudem in einen sicherheitspolitischen Maßnahmenkatalog der Stadt Leipzig eingeflossen. Denn im Grunde zeigen sie, dass es für die betroffenen Ortsteile Neustadt-Neuschönefeld und Volkmarsdorf andere Lösungen braucht. 

Im Einzelnen wurden der Kriminalitätsverlauf, die Akzeptanz der Waffenverbotszone und die Kriminalitätsfurcht der Wohnbevölkerung betrachtet. Erhoben wurden Daten sowohl für das Areal der Waffenverbotszone als auch für die beiden Ortsteile, über die sie sich erstreckt.

Entstanden ist eine umfängliche Lokalanalyse, die differenzierte Einblicke in das subjektive Sicherheitsempfinden der Quartiersbevölkerung, die Veränderung der lokalen Kriminalitätsbelastung sowie die bürgerschaftliche Beurteilung der Waffenverbotszone gewährt. Zudem werden neben einer kritischen Bewertung solcher Evaluierungsprojekte auch Vorschläge für künftige Projekte dieser Art unterbreitet sowie ein Szenario vorgestellt, das helfen kann, die Probleme der beiden Ortsteile langfristig zu lösen.

Polizei kann die Ursachen nicht lösen

Ganz am Ende der Studie wird es sogar ganz explizit ausgesprochen: „Polizei kann die Rahmenbedingungen öffentlicher Sicherheit stärken, die bestehenden Ursachen für Kriminalität, Konflikte und Disorder in den beiden Ortsteilen können aber nicht durch Polizei gelöst werden. Hier ist die Stadtverwaltung gefordert.

Das Kriminalitätsproblem sollte als soziales Problem in den beiden Ortsteilen betrachten werden, das nur gemeinsam von Stadt und Polizeidirektion gelöst werden kann. Es lohnt sich, zwei kulturell und sozial überaus interessante Ortsteile zu fördern und mit geeigneten Lösungen den Weg zu bereiten, der dem Ruf Leipzigs als einer innovativen und dynamischen Stadt gerecht wird.“

Das Autorenkollektiv besteht neben dem Studienleiter Prof. Dr. Kurt Mühler (Professor i. R., Institut für Soziologie, Universität Leipzig) aus damaligen studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräften des Instituts für Soziologie der Universität Leipzig. Die Studie kann also auch das deutlich aussprechen, was einem Innenminister nicht unbedingt behagt, egal, ob dem damals so vom Ordnungsinstrument „Waffenverbotszone“ überzeugten Markus Ulbig oder seinen Nachfolgern.

Hatte die Waffenverbotszone überhaupt positive Effekte? Die Zahlen, die der Studie zugrunde liegen, belegen das nicht wirklich.

„Die Gesamtzahl der Straftaten im öffentlichen Raum innerhalb der WVZ bewegt sich vor Einführung der WVZ auf einem geringfügig schwankenden Niveau. Nachdem die Anzahl der Straftaten im öffentlichen Raum nach Einführung der WVZ kurzzeitig gesunken war, ist sie danach bis Juli 2019 zu einem Höhepunkt im betrachteten Gesamtzeitraum angestiegen, während die Anzahl der Straftaten in Einrichtungen über den gesamten Zeitraum konstant blieb“, heißt es in Fazit der Analyse.

Manches deutet darauf hin, dass sich einige Deliktarten lediglich verlagert haben – in städtische Räume außerhalb der Waffenverbotszone. Etwas, was die Leipziger Polizei schon aus ihrer jahrelangen Strategie der Drogenbekämpfung kannte.

Probleme der Statistik

„Innerhalb der WVZ geht die größte Kriminalitätsbelastung von Diebstählen ohne erschwerende Umstände aus, außerhalb der WVZ von Diebstählen unter erschwerenden Umständen“, heißt es in der Untersuchung. „Eigentumsdelikte sind demnach innerhalb und außerhalb der WVZ die im Alltag häufigste Kriminalitätserscheinung. Es spricht für die WVZ, dass Diebstahl unter erschwerenden Umständen geringer ausfällt, als Diebstahl ohne erschwerende Umstände. Darüber hinaus sind die registrierten Straftaten Diebstahl unter erschwerenden Umständen im ersten Zeitraum (Nov. 18 – Okt. 19) nach Einführung der WVZ deutlich gesunken.“

Ein anderes Bild bei Rauschgiftdelikten: „In den beiden Ortsteilen ist ein Anstieg der Rauschgiftdelikte vom Zeitraum November 2017 bis Oktober 2018 und besonders im Zeitraum von November 2018 bis Oktober 2019 zu erkennen. Die Anzahl dieser Delikte unterscheidet sich innerhalb und außerhalb der WVZ nicht, hat sich aber innerhalb der WVZ vom Zeitraum 2017/18 zum Zeitraum 2018/19 nahezu verdoppelt.“

Wobei die Studie auch betont, wie grenzwertig es ist, nur so kurze Zeiträume statistisch miteinander zu vergleichen und keine Langzeitdaten zur Verfügung zu haben. So sind die Aussagen zur Wirksamkeit der Waffenverbotszone nicht wirklich belastbar.

Und dazu kommt: Sie kam bei vielen Bewohnern gar nicht gut an.

Nichtakzeptanz überwiegt

„Bezüglich der WVZ überwiegt insgesamt eine Nichtakzeptanz durch die Befragten. Indem die WVZ in der subjektiven Wahrnehmung der Mehrheit der Befragten weder die selbst erfahrene Kriminalitätslage noch das Sicherheitsempfinden verändert hat, spricht eine solche subjektiv eingeschätzte Wirkungslosigkeit gegen eine Akzeptanz dieser Maßnahme“, stellt die Untersuchung fest.

Und dann wurde auch noch deutlich, dass jene Gewalttaten, die in den Medien für die größten Schlagzeilen sorgen und den Ruf des Viertels quasi bestimmen, im Leben der meisten Bewohner überhaupt keine Rolle spielen: „Erstens, Schwerkriminalität ist nicht Bestandteil der direkten Erfahrung des überwiegenden Teils der Befragten. Nach Auskunft der Expert/-innen sind bewaffnete Auseinandersetzungen im Bereich der Eisenbahnstraße den meisten Bewohner/-innen nur aus Medien bekannt. Auch fühlen sich die berichteten Kontaktgruppen überwiegend nicht direkt von diesen Auseinandersetzungen bedroht.“

Die Experten, die im Zusammenhang mit der Untersuchung befragt wurden, müssen hier quasi stellvertretend Auskunft geben, denn gerade die Anschreiben an die Bewohner mit Migrationshintergrund brachten nur eine geradezu winzige Rücklaufquote von 8 Prozent. Was für die Autoren der Studie ein klares Zeichen dafür ist, dass es im Viertel an einer direkten Kommunikation mangelt. Die gab es zwar einmal, als die Stadt hier noch ein Quartiersmanagement unterhielt. Aber ein weiser Entscheider meinte dann irgendwann, dass es das nicht mehr brauche. So büßte die Stadt aber auch wichtige Ansprechpartner und Anlaufpunkte im Quartier ein.

Und dann marschierten da auf einmal die schwer bewaffneten Polizisten ein und suggerierten eine erhöhte Gefährdungslage, obwohl auch die Berichterstattung aus den Vorjahren darauf hindeutete, dass sich hier vor allem die Konflikte verschiedener migrantischer Communities entluden. Konflikte, die eben auch mit fehlender Integration und fehlenden Zukunftsperspektiven zu tun haben. Die löst man aber nicht mit Polizei. Dazu braucht es Ansprechpartner und Angebote.

Und selbst jene Bewohner, die sich mit den Polizeikontrollen eine positive Veränderung erwarteten, waren enttäuscht: „Zweitens ist es für einen großen Teil Befragten ein Widerspruch, dass im Zusammenhang mit der Einrichtung der WVZ die Polizeipräsenz zwar enorm zugenommen, sich aber am Vorhandensein von physischen und sozialen Incivilities mindestens nichts geändert hat.“

Polizei (allein) ist nicht die Lösung

Letztlich stellt die Untersuchung die ziemlich simple Denkweise der sächsischen Innenminister infrage: „Insgesamt wird hierbei deutlich, dass die Wirkungen von Kontrollen ein sehr komplexer, aber mangelhaft erforschter Gegenstand sind. Es mangelt sowohl an Theorie als auch an empirischen Daten für eine hinreichende Erklärung des Prozessverlaufs. Zwar sind die gefundenen Korrelationen relativ niedrig, aber sie weisen dennoch auf einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Kontrollen und sinkenden Rohheitsdelikten hin. Daraus lässt sich jedoch nicht zweifelsfrei Kausalität ableiten.“

Weshalb in den Lösungsvorschlägen der Appell an die Stadt, hier gestaltend tätig zu werden, unüberhörbar wird: „Die vielfach genannten Ordnungsprobleme in den beiden Ortsteilen (physische und soziale Incivilities) können nicht allein polizeilich gelöst werden. Auch wenn Polizei notwendige Voraussetzungen schaffen kann, besteht die hinreichende Bedingung in der Stärkung der sozialen Kräfte in den Ortsteilen. Dafür ist das hohe Niveau des Sicherheitsempfindens, wie aus den Befragungen hervorgeht, also das Ausbleiben von verbreiteter Furcht im öffentlichen Raum, eine gute Grundlage.

Das bedeutet, gestützt auf eine Bürgernähe der Polizei einen Ordnungsrahmen zu stärken, mit dem Ziel, die Erhöhung und Stabilisierung des Sozialkapitals der Wohnviertel zu fördern. Intaktes Sozialkapital ist die Voraussetzung für die Ausbildung informeller Sozialkontrolle und damit ein grundlegendes Element für die soziale Stabilität eines Wohnviertels.“

Die Stadt muss die Bewohner des Quartiers also wieder einbinden, ihr Quartier selbst zu gestalten und Verantwortung für das Zusammenleben zu übernehmen. Die Polizei kann dabei bestenfalls einer unter vielen Ansprechpartnern sein. Weshalb sie jetzt – ähnlich wie in Connewitz – auch eine eigene Wache in der Eisenbahnstraße einrichtet.

„Die Befragungsergebnisse weisen darauf hin, dass zwar gute Voraussetzungen für die Ausbildung lokalen Sozialkapitals vorhanden sind, aber im Zusammenhang mit den genannten Differenzierungen in der Wohnbevölkerung vielfältiger Unterstützung bedürfen, um Prozesse der sozialen Integration voranzubringen“, betont die Untersuchung.

Und: „Dringende Lösungen, die zunächst staatlicher und kommunaler Initiativen bedürfen, führen über den Weg eines Ausbaus der Sozialarbeit, insbesondere der Jugendhilfe und der aufsuchenden Sozialarbeit mit Drogenabhängigen.“

Die Studie zur Leipziger Waffenverbotszone ist als Druckversion im Eigenverlag der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) sowie als frei zugängliches E-Book („Open Access“) auf Qucosa, dem Repositorium der Sächsischen Staats-, Landes- und Universitätsbibliothek, erschienen.

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Aber wir dürfen den einschlägigen Gruppen auch nicht nur das Zuckerbrot der Sozialpädagogik servieren. Das ist zwar schön modern gedacht, geht aber am Archaischen mancher Strukturen auf der sog. Eisi realiter meilenweit vorbei.

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