Am 9. Oktober 2009 wurde auf dem Augustusplatz feierlich und mit mächtig großem Tamtam ein goldenes Ei enthüllt: die sogenannte "Glocke der Demokratie", eines der Kunst-Projekte, die die Leipziger Kulturstiftung regelmäßig inszeniert, um die Erinnerung an die Friedliche Revolution im Stadtraum zu verankern. Doch nicht alle Ideen stoßen auf einhellige Befürwortung. Die Strick-Guerilla findet das Ei nicht so toll.

Das ein Meter hohe und 1,5 Tonnen schwere, seinerzeit 80.000 Euro teure, vom Berliner Künstler Via Lewandowsky entwickelte Kunstobjekt wurde damals an der Ecke Grimmaische Straße/Goethestraße platziert, dem Ort, an dem im Herbst 1989 in der Regel die großen Montagsdemonstrationen ihren Ausgang nahmen.

Doch was die Kulturstiftung so bezauberte und Lewandowsky mit viel Hintersinn gedacht hatte, findet die Strick-Guerilla nicht eingängig genug. Und sieht in diesem Goldenen Ei auch einen Ansatzpunkt, ein ganz anderes Denkmal zu kritisieren – das noch gar nicht gebaut ist: das “Leipziger Einheits- und Freiheitsdenkmal”. Die dortigen Wettbewerbsergebnisse können tatsächlich nicht als befriedigend betrachtet werden.
Doch auch der Symbolgehalt des Eies sei für die meisten Leipziger allerdings mehr als schleierhaft, meinen die heimlichen Stricker der Bunten Strick Guerilla. “Nur über weit hergeholte Denkumwege eröffnet sich der Sinn eines goldenen Eies als bedeutungsvolles Beispiel für Freiheit im Allgemeinen, oder im Konkreten, die Befreiung der DDR-Bürger aus den Fesseln der SED-Diktatur”, stellen die anonymen Stricker fest, nachdem sie das klingende Ei in einer nächtlichen Aktion in ein bestrickendes Huhn verwandelt haben.

“Auch wir als Bunte Strick Guerilla Leipzig üben hiermit Kritik an den Botschaften, die angeblich im Ei stecken sollen”, teilen sie mit. “1. das Ei steht schief. Als Symbol dafür, sich der Demokratie nie sicher sein zu können? 2. Die Glocke läutet ohne bestimmten Rhythmus. Als Zeichen für die Unberechenbarkeit der Zeit und Ermahnung, immer brav auf die Demokratie zu achten? Alles klar?!”

Scheinbar nicht.

“Tja, klingt ja alles toll durchdacht und auch furchtbar logisch – aber doch nur, wenn man diese Informationen auch mitgeteilt bekommt, oder?!”, stellen die Strick-Guerillas fest. “Denn für eine Tafel zur Benennung und Erklärung des Denkmals hat das Budget der Sponsoren, des Deutsche Gießereiverbandes und der Kulturstiftung Leipzig, scheinbar nicht mehr ausgereicht.”

Und so bleibe bei den meisten Leipzigern und den flanierenden Touristen die Erkenntnis aus, was dieses Ei nun eigentlich sagen solle. “Für Erinnerungsfotos über die merkwürdigen Kunstvorstellungen der Deutschen reicht das Denkmal also allemal – wie gesagt, für 80.000 Euro”, grummeln die Strick-Aktivisten. Und legen nach: “Und nun wird wieder über ein weiteres Einheitsdenkmal diskutiert!? NEIN DANKE! – Stattdessen fordern wir:

1. keine überhöhten Ausgaben für Bauwerke und/oder Kunstobjekte, dann lieber Kitas und Schulen bauen bzw. sanieren!

2. eine (tatsächliche!) Mitbestimmung der Leipziger Bürger bei einer Entscheidung zu einem weiteren Einheitsdenkmal!

3. Denkmäler bitte nicht als publikumsferne Kunst ohne offensichtliche Bedeutung platzieren!”

Und weil nun gerade Ostern ist, bekommt das Demokratie-Ei bei frostigen minus 3 Grad ein wärmendes Hühnerkleid. Die Bunte Strick Guerilla dazu: “In diesem Sinne: Unser Eierwärmer-Huhn hält die deutsche Einheit in diesen Tagen also schön warm. Ja, es hat sie regelrecht ausgebrütet. Und wir hoffen, dass es das recht lang auch darf, sonst bekommt unsere Freiheit/Einheit/Demokratie (oder was auch immer) noch eine Erkältung…”

Zum Blog der BSG L.E.

buntestrickguerillaleipzig.wordpress.com

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