Kann man ein wohnungspolitisches Konzept für eine Stadt wie Leipzig entwickeln wenn man nur die "Wohnungsmarktakteure" einbezieht? In der ersten Runde versucht es die Stadt Leipzig jedenfalls. Am Mittwoch, 14. Mai, begann die Überarbeitung des "Wohnungspolitischen Konzepts" der Stadt Leipzig mit einem "Akteurs- und Expertenworkshop".

Eingebunden waren hier vor allem Immobilengesellschaften, Wohnungsgesellschaften und Hauseigentümer. All jene, die natürlich irgendwie Wohnraum bauen und bereitstellen können. Das Thema brennt in anderen Städten längst. Vor allem bezahlbarer Wohnraum wird dort knapp, seit der Bund sein Programm für sozialen Wohnungsbau ausgesetzt hat. Andererseits wächst der Zug in die Großstädte des Landes seit Jahren. Da wird Wohnraum schnell zum Spekulationsobjekt. Aber können allein Anbieter das Problem lösen?

Daran zweifelt das 2013 gegründete Bündnis “Leipzig – Stadt für alle”. Das erste Forum bilde in seiner personellen Zusammensetzung vornehmlich die Interessen der Immobilienunternehmen ab, kritisieren Roman Grabolle und Norma Brecht.

Diese Interessen sind seit Februar in einem “Positionspapier” dokumentiert, in dem ein breites Bündnis, das von Wohnungsbaugenossenschaften über Verbände der Hauseigentümer bis hin zu großen privaten Immobilienunternehmen und Bauträgern reicht, Stellung zur Wohnungspolitik in Leipzig nimmt. Anlass für das Bündnis “Stadt für alle”, sich mit der Argumentation auseinanderzusetzen.

Und das Erste, was das Bündnis kritisiert, sind die Zahlen, auf deren Basis, hier diskutiert wird. “In den Papieren mischen sich irreführende Zahlen (Leerstand) mit falschen und eindeutig eigennützig gefärbten Handlungsvorschlägen (Neubauargument)”, stellen Roman Grabolle und Norma Brecht fest.

Ein Politikum sind natürlich die Leipziger Leerstandszahlen, die sich durch den “Zensus 2011” scheinbar so wundersam vergrößert haben, während die Stadtbevölkerung geradezu zusammengeschrumpft wurde.

Die kritische Stellungnahme des Bündnisses zitiert einen Satz aus dem Positionspapier, der Bände spricht: “Allein der letzte Zensus erbrachte eine positive Abweichung von mehr als 10.000 Wohnungen gegenüber den zuletzt seitens der Stadt Leipzig kommunizierten Wohnungszahlen. Diese liegt aktuell bei immer noch über 30.000 Wohnungen – also ca. 10 % des Bestandes.”

Da glauben augenscheinlich nicht nur die städtischen Akteure, dass eine mehr als fragwürdige Zensus-Hochrechnung in Leipzig quasi im Handumdrehen 10.000 neue verfügbare Wohnungen schafft, die die Wohnungsmarktakteure vorher einfach nicht gesehen haben. Leipzig hat nicht gegen das Zensus-Ergebnis geklagt wie Dutzende andere sächsische Kommunen, hätte aber genug Grund dafür gehabt. Denn falsche Zahlen machen auch die Stadtpolitik wieder diffus.

“Nicht, wie von den Unternehmen behauptet, 30.000 Wohnungen (10 % des Wohnungsbestandes) oder gar 38.000 Wohnungen (Ergebnis des Zensus im Mai 2011) stehen derzeit leer, sondern unter 25.000 Wohnungen (8 %)”, rechnet Grabolle vor. “Ein großer Teil der leerstehenden Wohnungen ist aktuell nicht ‘marktfähig’ und muss zunächst mehr oder weniger aufwändig saniert werden. Bis dahin sind diese Wohnungen für den Wohnungsmarkt nicht relevant. Die etwa 12.000 bis 15.000 leerstehenden marktaktiven Wohnungen (4-5 %) sind sehr ungleichmäßig über die Stadtteile und Baualters- und Ausstattungsklassen verteilt. Von diesen werden außerdem 7.000 bis 10.000 (2-3 %) als Umzugs- und Renovierungsreserve auf einem funktionieren Wohnungsmarkt benötigt. Nimmt die Bevölkerung weiterhin so stark zu wie in den vergangenen Jahren (pro Jahr ca. 10.000 Menschen), so ist spätestens in zwei bis drei Jahren mit einem deutlich angespannten Wohnungsmarkt zu rechnen. Leipzig hat – abgesehen von dem geringen, nicht marktaktiven Bestand – kein Leerstandsproblem mehr.”

Aber wie löst man das? Einfach durch Neubau in jenem Segment, in dem sich Neubau und Sanierung heute noch lohnen – also im hochpreisigen? Quasi mehr Porsches für die Leipziger, damit mehr Fahrräder zur Verfügung stehen?

“Die ‘Immobilienakteure’ behaupten, Neubau im gehobenen Sektor senke die Mieten insgesamt, und fordern dafür bessere Rahmenbedingungen”, stellt das Bündnis fest. “Fakt ist jedoch, dass der Neubau von Luxuswohnungen keine Auswirkungen auf das preiswerte Segment hat. Preiswerte Mieten lassen sich vor allem im Bestand, also sowohl im Altbau als auch in den Wohnungsbeständen aus der DDR-Zeit, sichern.”Im Argumentepapier des Bündnisses wird es noch deutlicher formuliert: “In Leipzig scheinen die Neubauten im gehobenen Segment eher diese Wirkung zu haben, denn die frei werdenden Wohnungen in anderen Segmenten werden in der Regel mit z.T. deutlichen Preisaufschlägen neu vermietet. Durch aufwändige Sanierungen und Umwandlungen (Lofts) sowie teure Neubauten wird in Leipzig derzeit vielmehr ein neues, gehobenes Wohnungsmarktsegment etabliert. Die deutlichen quantitativen Zuwächse in diesem gehobenen Segment haben keine relevanten Auswirkungen auf das preiswerte Segment, hier ist vielmehr bei anhaltend hoher Nachfrage bald mit Knappheit zu rechnen. Dieser wird mit teuren Neubauten nicht zu begegnen sein!”

Es geht also sichtlich preiswerter Wohnraum verloren, der sich durch Sanierung und Aufwertung in teuren Wohnraum verwandelt. Aus der Sicht von Immobiliensanierern ein logischer Schritt, nur so kommt man zu Rendite. Die Aufgabe, preiswerten Wohnraum im ganzen Stadtgebiet bereit zu halten, kommt also eindeutig auf die Stadt selbst, ihr Wohnungsunternehmen und die Wohnungsgenossenschaften zu.

Das “Positionspapier” erzählt auch von einem sonst eher nur verschämt benannten Zustand: Das Heft des Handelns haben die großen Immobilienentwickler in der Hand. Sie haben sich Freiflächen und sanierungsfähige Gebäudesubstanz gesichert und müssen eigentlich über “wohnungspolitische Konzepte” nicht diskutieren. Sie verdienen ihre Brötchen anders.

Hingegen sind die verfügbaren Flächen, Gebäude und Freiräume für Stadt, LWB und Genossenschaften geschmolzen. Und ein Programm für sozialen Wohnungsbau gibt es in Sachsen nicht. Die Frage lautet tatsächlich: Woher nehmen?

Und für die betroffenen Mieter: Wo bleiben? Das trifft auch auf jene kreativen Erstbesiedler zu, die auch Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau mittlerweile Pioniere nennt. Sie müssen weichen, wenn das Gebäude, das sie erst attraktiv gemacht haben, vom neuen (oder alten) Besitzer in den Status der Sanierungsfähigkeit gerückt wird. Und nachdem sie nun einen Stadtteil nach dem anderen belebt haben, ziehen sie derzeit weiter in den Leipziger Osten. Doch während sie in der Südvorstadt, in Plagwitz und Lindenau immer fünf bis zehn Jahre Vorlauf hatten, bevor die Immobiliensanierer ihr Werk vollbrachten, sitzt ihnen die Sanierungswelle jetzt direkt im Nacken. Nichts anderes drückt ja der geschrumpfte Lehrstand aus. Nach dem Osten kommt dann nicht mehr viel. Die Inseln für kreative Experimente schrumpfen zusehends.

Dafür steigt der Mietpegel. Und der Zeithorizont sowieso. Denn wenn der Leerstandspuffer 2015, 2016 aufgebraucht ist, dann müssten soziale Wohnungsbauprogramme längst angelaufen sein, um ähnlich dramatische Entwicklungen wie in München oder Frankfurt zu verhindern. Denn noch eins kommt hinzu, auch darauf geht das Bündnis ein: Das Verdienstniveau in Leipzig ist deutlich geringer als in den anderen wachsenden Großstädten. Noch passt es recht genau zu den durchschnittlich zu erbringenden 5 Euro pro Quadratmeter kalt. Aber was passiert, wenn es auf Berliner Niveau von 6,50 Euro steigt? Wieviele Zwangsräumungen und Stromabschaltungen wird es dann geben? Und wieviele Ausweichwohnungen stehen dann noch zur Verfügung?

Dorothee Dubrau glaubt, Leipzig habe noch Zeit und könne jetzt langfristig einsteigen in das Thema. Das Bündnis “Stadt für alle” sieht es anders: Die Zeit läuft immer schneller ab.

Wenn es Gestaltungsspielräume gibt, dann vor allem im kommunalen Verantwortungsbereich. Was aber auch bedeutet: Weg von der Wohnungsmarktpolitik hin zu einer echten Wohnungspolitik. Und es brauche auch mehr Freiräume für “Neue Formen eines wirklich sozialen Wohnungsbaus”.

Die Vorschläge des Bündnisses in knapper Form:

Um bezahlbaren und selbstbestimmten Wohnraum in Leipzig zu sichern, braucht es eine grundsätzliche Neuausrichtung der Wohnungspolitik beginnend mit den städtischen Liegenschaften:

– Erhalt und Ausbau kommunalen Immobilieneigentums in allen Ortsteilen

– Vorrang der Vergabe im Erbbaurecht vor dem Verkauf, um kommunales Eigentum langfristig zu erhalten

– Erarbeitung eines Immobilienvergabeverfahrens im öffentlichen Dialog

– Priorität für Stadtentwicklung und Soziales bei der Vergabe

– Eine wirksame Verhinderung von Preissteigerungen bei der Vergabe

Darüber hinaus:

– Nutzung von Baulandpolitik und Bebauungsplänen, um soziale Entwicklungsziele umzusetzen

– Mieten im Altbaubestand sichern

– Neue Formen eines wirklich sozialen Wohnungsbaus

www.leipzig-stadtfueralle.de

Die Gegenargumente des Bündnisses “Stadt für alle” als PDF zum Download.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar