Zwei Parteien haben bei der stattgefundenen Abstimmung im EU-Parlament zu den besonderen Investorenschutzklauseln dagegen gestimmt, dass zukünftig in der Konsequenz Konzerne Staaten verklagen können, falls stärkerer Verbraucherschutz ihre Interessen negativ tangiert. Obwohl dieses Gesetz noch von den Staaten der EU bestätigt werden muss, eine schwere Niederlagen für die Linen und die Grünen. Wie weiter in Europa, was macht die gefallene 3-Prozent-Hürde mit dem Parlament und scheitert am Ende nicht das gesamte Bündnis? Reinhard Bütikofer (B90/Die Grünen) im Interview.

Am 1. Mai titelte die Süddeutsche zur Abstimmung über den “Investorenschutz” im Rahmen der Verhandlungen zum TTIP mit den USA im EU-Parlament “EU-Parlament winkt Sonderrechte für Großkonzerne durch”. Wie fühlte sich das an, so als machtlose Grüne?

Das ist leider wahr. Es gab nur zwei Fraktionen, die Linke und die Grünen, die dem widersprochen haben. Die Mehrheit, insbesondere auch die Sozialisten, die jetzt so tun, als hätten sie die Kritik an TTIP selbst erfunden, hat dem Beschluss zugestimmt. Beschlossen wurde ein Verfahren für ein Privileg beim Schutz der Interesse von Investoren, das bereits vielfach in Handelsverträgen vorkommt. Wir wollen solche Verfahren im TTIP nicht sehen und wir werden weiter dagegen kämpfen, weil wir diesen privilegierten Investorenschutz für eine Untergrabung der Demokratie halten.

Es gibt, wie erwähnt, andere Verträge, in denen solche Regelungen enthalten sind, gegen die wir auch waren, die aber nicht so ein öffentliches Interesse fanden. Deswegen freue ich mich über die Diskussion, weil wir jetzt öffentlich reflektieren können, dass Handelsverträge weitreichende Konsequenzen haben für die Art und Weise wie wir alltäglich leben.

Warum, glauben Sie, haben überhaupt Abgeordnete für eine Regelung gestimmt, bei welcher Konzerne in sogenannten Schiedsgerichten quasi im Hinterzimmer Staaten auf Schadenersatz verklagen können, wenn diese beispielsweise im Sinne der Verbraucher den Schutz der Menschen erhöht und damit quasi die Unternehmen zu neuen Standards zwingen kann? Wurde der “Schutz” von Anbeginn nicht zu einseitig, soll heißen zugunsten der privatwirtschaftlichen Verwertungsinteressen konzipiert?

Doch. Ironischerweise ist diese Regelung eine deutsche Erfindung, die erstmals 1959 in einem Handelsvertrag mit Pakistan eingeführt wurde. In Pakistan gab es damals keine verlässliche Rechtspflege. Damit Investoren dort trotzdem investieren sollten, wollte man ihnen zusichern, dass es eine gewissen Schutz, beispielsweise gegen willkürliche Enteignung, gibt. Daraufhin hat man dieses Ausnahmerecht geschaffen, das besagt, dass in Streitfällen ein privatrechtlich organisiertes Handelstribunal über die Sachlage entscheidet.

Von da aus hat es seinen Weg in viele Handelsverträge gefunden. Jetzt wird allerdings der Versuch gestartet diese Regelung zum generellen Prinzip zu machen, selbst zwischen Partnern, die ein etabliertes Rechtssystem haben. Das hat mit der ursprünglichen Logik nichts zu tun. Ich bin der Meinung, dass diese Rechtsprivilegien auf eine Privatisierung des Rechts zugunsten Weniger hinauslaufen.

Immer wieder wird das EU-Parlament als “Auffangstation” für abgehalfterte Politiker aus Deutschland beschrieben. Warum sind Sie im EU-Parlament und was haben Sie noch vor, wenn Sie wiedergewählt werden?

Ich wollte eigentlich schon vor 15 Jahren ins EU-Parlament. Das ist damals schiefgegangen. Wenn Sie so wollen, war für mich die Bundespolitik dann 10 Jahre lang die Ersatzbank. Spaß beiseite: Mir ist die europäische Ebene wichtig, weil ich der Meinung bin, dass wir für etliche Grundsatzfragen unserer Zukunftsgestaltung durch nationales Handeln allein keine angemessenen Antworten mehr liefern können. Dafür ist ein demokratisch legitimierter Verbund wie die EU angemessen. Für die Energie- und Klimafrage etwa sollte klar sein, dass diese nicht im Rahmen der Nationalgrenzen gestemmt werden kann.

Dafür brauchen wir natürlich auch mehr als die EU. Aber ohne europäisches gemeinsames Handeln, können wir kein Exempel dafür setzen, wie es gelingen kann eine ehrgeizige Klimapolitik mit einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik zu kombinieren. Europa soll eine exponierte Rolle in Sachen Klima und Energie sowie Wirtschaftspolitik spielen und mit einer gemeinsamen Stimme nach außen sprechen. An diesen Dingen mitzuwirken, das reizt mich.

Wie stehen Sie persönlich dazu, dass auf europäischer Ebene die 3-Prozent-Klausel gekippt wurde?

Diese wurde nicht auf europäischer Ebene gekippt, sondern auf Karlsruher Ebene für das Europaparlament. Es gibt dafür keine europäische Regelung. Die europäische Regelung für das Wahlrecht beinhaltet lediglich die Forderung nach Proportionalität. Wie es im Einzelfall gehandhabt wird, bleibt den Ländern überlassen. Deutschland ist das einzige Land, in dem eine Partei bei der Wahl mit weniger als einem Prozent ins EU-Parlament gelangen kann. Ich halte das nicht für klug.

Die rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien, die keine Schwierigkeiten haben, mehr als drei Prozent zu bekommen, machen mir aber sicherlich mehr Sorgen als die kleinen Parteien, die aufgrund einer meiner Meinung nach falschen Entscheidung auch mit wenigen Prozenten in das EU-Parlament einziehen.

Woran droht, Ihrer Meinung nach, Europa zu scheitern?

Europa, die EU wird nicht scheitern. Ich nehme meinen Optimismus aus den Erfahrungen der letzten fünf Jahre. Als die Krise begann, war die Wirtschaftsverfassung der EU eine Schönwetterkonstruktion, die für diese Herausforderung in keiner Weise gewappnet war. Trotzdem hat die EU Schritt für Schritt Mittel und Wege der Stabilisierung gefunden. Das fing an mit der Unterstützung von Griechenland und Portugal und findet seine Fortsetzung in der jetzigen Bankenunion, mit der wir Stück für Stück in der Lage sein werden, dass kriselnde Banken nicht mehr mit Steuergeldern gerettet werden müssen.

Die wichtigste Rolle für die Stabilisierung hat meiner Meinung nach die Europäische Zentralbank gespielt, obwohl sie das politische Mandat dafür nicht hat, was eine Schwäche der politischen Ebene zeigt. Die zweitwichtigste Rolle hat das EU-Parlament gespielt, das die Bankenunion schon vor Jahren gefordert hat, als die Mitgliedsländer noch nicht begriffen hatten, dass das notwendig ist.

Gibt es schon ein Fazit?

Unterm Strich bleibt, dass Europa heute in der Lage ist, auf solche Herausforderungen besser zu reagieren. Das heißt nicht dass die Krisenpolititk in Ordnung ist. Ein schwerwiegender Fehler ist, dass man immer wieder zögert dort anzusetzen, wo die Weiche zu stellen wäre. Wir müssen weg von einer Austeritätsfixierung und hin zu einer Politik der Investition. Ich glaube und hoffe auch, dass die Wahlen zeigen werden, dass wir die Gefahr des politischen Atavismus überwunden haben.

Welche Probleme hatten wir noch nicht?

Die letzten fünf Jahre waren der Anfang des Abschied von der weitgehenden Binnenfixiertheit der europäischen Politik. Klassischerweise bezieht sich das Narrativ der EU auf die Binnenbeziehung der Mitgliedsländer. Europa kann sich jedoch immer weniger leisten, die eigene Politik und Zukunft vor allem in diesen Kategorien zu entwerfen. Die große Frage, die auf uns zukommen wird, ist die Frage nach der globalen Verantwortung, die wir Europäer übernehmen wollen.

Für globale Gerechtigkeit etwa, für Klimapolitik, für eine funktionierende multilaterale Weltordnung. Da gibt es eine Antwort, die mir nicht gefällt, die redet von europäischer Selbstbehauptung. Darin finde ich nicht die notwendige Orientierung auf globale Partnerschaft. Unser Ziel sollte ein partnerschaftliches Verhältnis zu unseren Nachbarn sein, mittels dessen wir unsere Verantwortung wahrnehmen können.

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