Ja wie viele waren es nun bei der GSO 2014? 2.000, 2.500, 3.000? Wer das genau weiß, bekommt einen Preis, vielleicht einen Apfel aus Holz, das hält länger vor. Die GSO ist die größte jährliche Demonstration in Leipzig. Ab Nachmittag ballten sich nach Demonstrationsende noch so manche zusätzlich im Külzpark, während andere abwanderten - es herrschte reges Kommen und Gehen unter dem diesjährigen Motto "Refugees Welcome" - Flüchtlinge Willkommen. Etwas anderes bleibt wohl in diesem Jahr eher haften, als schiere Zahlen. Viele Clubbetreiber und ein waches, urbanes Stadtvölkchen von Single bis Familienvater haben Lust auf eine weltoffene Gesellschaft in Leipzig.

Ein paar Diskussionen gab es im Vorfeld schon. So manchem wurde offenbar erst mit dem diesjährigen Demonstrationsaufruf wieder bewusst, dass die “Global Space Odyssey” seit 2001 eine Demonstration ist, welche auch Gesellschaft verändern möchte. Politik als Wort mal weggelassen – es ist falsch, denn die Fragen der gegenseitigen Ausgrenzung und substanzloser Bewertung anderer Menschen ist ein Alltagsthema. Dass so etwas auch mit Spaß und ohne den üblichen moralischen Finger geschehen kann, ist dem aussterbenden Urteutonen dann doch eher fremd. Wenn es diesen Urteutonen je gab.

Doch meist muss in Ordnung, Reih und Glied geschehen, was ernst genommen werden will. Die Global Space Odyssey hat es 2014 geschafft, gegen rassistischen Umgang mit Flüchtlingen und gegen die Kriege “da draußen” zu demonstrieren, ohne dass aus dem Auge zu verlieren, was auch im Guten zusammenschweißt – gemeinsame positive Erlebnisse. Es war wieder ein niederschwelliges Angebot, was bei einem nicht einfachen Thema da auf der GSO 2014 stattfand. Bunte Schilder, dröhnende Bässe auf einer Party und durch die Botschaften doch irgendwie politisch.

Auch der alljährliche Spott der von meist männlichen Beobachtern als Spaßveranstaltung wahrgenommenen Demonstration durch die Innenstadt Leipzigs durfte nicht fehlen. Im Netz natürlich, auf der Demo und vor Ort sind die, welche die Demonstranten als “Karnevalsverein” und die GSO als “Love Parade für Arme” sehen wollen, natürlich nicht.

Vor Ort hatte man sichtbar Spaß und durchaus ein gemeinsames Gefühl, dass bunt eben doch schöner als braun oder eben auch nur ganz gewöhnlich rassistisch ist. Würde eine Partei zu einer Demonstration mit diesem Motto aufrufen – man müsste wohl erst einmal bei oben genannten Teilnehmerzahlen eine Null streichen – ein paar Hundert kämen vielleicht, mehr nicht. Die Themen menschenwürdige Aufnahme von Flüchtlingen und täglicher Rassismus sind schwer verkäufliche “Ware”.

Nicht zuletzt, weil statt eines Bewusstseins über die tiefe Verbindung zwischen den beständig neu aufflammenden Kriegsbränden in aller Welt, der Verstrickung der Industrie der Nordhalbkugel und den daraufhin entstehenden Flüchtlingsströmen schwerer zu begreifen scheint, als der einfache Satz: Wir sind doch nicht das Sozialamt der Welt.

Ein Satz, der so schlicht wie falsch ist. Flüchtlinge nehmen oft tausende Kilometer lange Wege auf sich, weil sie irgendwo weg müssen. Meist mit noch stärkerer Motivation als einst die DDR-Bürger, die von Ost nach West wollten, obwohl das Dach über dem Kopf noch existierte und entgegen anderer Gerüchte auf dem Abendbrottisch etwas zu essen stand.
Auch der Eindruck, alle wollten “zu uns”, stellt sich als falsch heraus. Von rund 50 Millionen Flüchtlingen weltweit steuern derzeit nur etwa 15 Prozent Europa an. Konnte man lernen, wenn man auf der GSO war, womit der Spruch – wir können doch nicht alle aufnehmen – letztlich leise platschend über Bord geht. Rund 7 Millionen suchen den Weg in ein Gebiet, in welchem 500 Millionen Menschen leben.

Die Häme gegen die GSO mag 2014 sogar größer sein, als in den vorigen Jahren, wo die jungen Menschen für mehr kulturelle Freiheit auf die Straße gingen. Das war abstrakter, die GSO 2014 wurde konkret, sehr zum Missfallen der üblichen Kommentartrolle auf den Netzseiten der Ortspresse. Schon das Ansprechen des Themas “Flüchtlinge Willkommen” genügt längst, um bei AfD- und NPD-Freunden bis hinein in den dunkelschwarzen CDU-Flügel eine Art Beißreflex auszulösen. Gern auch begründet mit der vorgeblichen “Leistungsgesellschaft”, in welcher wir leben sollen.
Was letztlich beschreibt, wie von leistungslos hier geborenen Deutschen mit einer weitgehend kostenfreien Bildungslaufbahn und einem Dauerfrieden im Rücken letztlich starke Menschen, die eine oft tausende Kilometer lange Flucht vor Krieg und Leid auf sich nehmen, zu angeblichen “Minderleistern” degradiert werden.

Was ist die GSO 2014 also gewesen? So mancher, der am Ende im Külzpark im Schatten des Völkerschlachtdenkmals das flotte Tanzbeinchen schwang oder sich einfach zum Plausch auf der Wiese niederließ, wird unter Umständen eben dieses Gemeinschaftsgefühl eher wiederentdecken, wenn das nächste Mal ein irgendwie “anders aussehender” Mitmensch an der Tür eines Clubs abgewiesen werden soll. Oder misstrauisch beäugt und qua Aussehen zum Kriminellen abgestempelt wird. Warum? Am 12. Juli haben wir doch noch zusammen gefeiert?

Durchaus auch eine gute Vorbereitung darauf, wenn es mal wieder in launiger Runde heißt: Aber wir sind doch nicht das Sozialamt der Welt? Die Antwort ist einfach: Sind wir nicht – wir sind als die Erben einstiger Kolonialherren und sehr erfolgreich darin, an der daraus entstandenen Machtgewichtung auf dieser Welt, an Kriegen und Armut zu partizipieren, ja zu verdienen. Die Flucht vieler Menschen hat auch damit zu tun. Für die dabei in Kauf genommenen sozialen Unwuchten im eigenen wie in ferneren Ländern sind wir ebenso mitverantwortlich, wie für so manchen Konflikt, an dessen Ende noch immer billige Schürf- und Bohrrechte sowie billige Klamotten und die Wegwerfgesellschaft standen und stehen.

Wer das eine will, wird das andere also mögen müssen. Nicht zuletzt deshalb also: Refugees Welcome.

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