Lang nichts gehört vom Bürgerbegehren für eine "Privatisierungsbremse" in Leipzig. Aber ganz begraben ist es noch nicht, auch wenn die Stadtratsmehrheit im Januar 2014 der Argumentation von Oberbürgermeister Burkhard Jung folgte, das Begehren verstieße gegen das sächsische Kommunalrecht. Doch jetzt rückt der Gerichtstermin näher, der klären soll, ob das so stimmt.

Die Argumentation stammte damals von der Landesregierung. Und genau darauf berief sich Burkhard Jung. Und eigentlich war es schon wie 2007 / 2008, als sich Verwaltung und Stadtrat ähnlich positionierten, als es um den (Teil-)Verkauf der Leipziger Stadtwerke ging. Damals aber kam ein Bürgerentscheid zustande, der mit übergroßer Mehrheit zum Ergebnis hatte, dass die Leipziger keineswegs wollten, dass eines ihrer wertvollsten Kommunalunternehmen einfach verkauft wird, um den Stadtkonzern LVV zu sanieren. Der OBM bekundete zwar auch nach drei Jahren der Bindefrist des Bürgerentscheids, das Ergebnis respektieren zu wollen.

Aber bald wurde bekannt, dass zur Konsolidierung des LVV-Konzerns andere Wege des Verkaufs gesucht wurden. Diesmal betraf es zwei Tochterunternehmen der Stadtwerke Leipzig, die Perdata und die HL komm. Und genau um diesen Verkauf und den weiterer kommunaler Betriebe zu verhindern, starteten dieselben Initiatoren, die 2007 den Stadtwerke-Entscheid ins Rollen gebracht hatten, eine neue Unterschriftensammlung, um einen neuen Bürgerentscheid auf die Beine zu bringen.

Fast zwei Jahre ist es nunmehr her, dass rund 26.000 Leipzigerinnen und Leipziger für die Durchführung eines Bürgerentscheids zur Einführung einer “Privatisierungsbremse” unterschrieben haben.

Doch in der Ratsversammlung am 22. Januar 2014 hatte dann der Stadtrat mehrheitlich die Zulassung des Bürgerbegehrens abgelehnt.

Die Antiprivatisierungsinitiative (APRIL-Netzwerk) und die Initiative Bürgerbegehren “Privatisierungsbremse” halten diese Auffassung nach wie vor für falsch und fordern die Zulassung des Entscheids. Nach der Ablehnung im Rat hatte die Initiative zunächst Widerspruch bei der Landesdirektion und nach dessen Abweisung am 23. Oktober 2014 Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. Nach etwas über einem Jahr wird nun in der kommenden Woche, am 10. November, eine Verhandlung stattfinden.

Das Ziel der Bürgerinitiative ist es, zukünftig Privatisierungen städtischen Eigentums erheblich zu erschweren. Wäre der Bürgerentscheid erfolgreich, würden zunächst für die Dauer von drei Jahren Privatisierungen kommunalen Eigentums unterbunden. Das träfe für alle Entscheidungen zu, für die der Stadtrat zuständig ist, wie zum Beispiel bei einem Verkauf kommunaler Unternehmen wie eben der Stadtwerke, Wasserwerke oder Verkehrsbetriebe.

Das Bürgerbegehren schließt jedoch generell nicht jeden Verkauf aus. Eine Ausnahme gäbe es bei Entscheidungen, die mindestens mit einer Zweidrittelmehrheit gefasst würden.

Aber genau das war seinerzeit der Punkt gewesen, an dem das Sächsische Innenministerium und der Oberbürgerbürgermeister eingehakt hatten. Ihre Rechtsauffassung war und ist, dass sich ein Stadtrat auf diese Weise nicht selbst binden dürfe. Im sächsischen Kommunalrecht würde das einfache Mehrheitsrecht gelten: Wenn Entscheidungen gefällt werden, müsse die einfache Mehrheit genügen. Das gelte auch bei Verkäufen städtischen Eigentums.

Doch genau das war ja wieder Hintergrund des Bürgerbegehrens gewesen. 2007 hatte eine einfache Stadtratsmehrheit für den (Teil-)Verkauf der Stadtwerke gestimmt, eine Entscheidung, die eindeutig nicht die Mehrheitsmeinung der Bürgerschaft widerspiegelte. Was durchaus vorkommen kann. Der Wähler wählt ja eine Partei nicht im Detail für jede einzelne politische oder wirtschaftliche Position. Es ist eher der normale politische Alltag, dass Parteien in Einzelpositionen auch von der Mehrheitshaltung ihrer Wähler abweichen. Manchmal aus reiner Opportunität, manchmal, weil man Macht- oder Wirtschaftsinteressen für höherrangig erachtet. Und dazu kommt: Die wenigsten Parteien fragen vor wichtigen Entscheidungen die Haltungen ihrer Wähler ab. Oft agieren sie so, als wüssten sie ganz genau, wie “ihre Wähler” ticken.

Und auch deshalb tun sie sich schwer, die direkte Bürgerbeteiligung als Entscheidungsinstrumentarium zu akzeptieren. In Sachsen sowieso.

“Bereits 2008 hatten die Leipzigerinnen und Leipziger in einem Bürgerentscheid die von OB Jung, CDU, SPD und FDP anvisierte Teil-Privatisierung der kommunalen Stadtwerke verhindert und dafür entschieden, dass Betriebe der Daseinsvorsorge in kommunaler Hand bleiben sollten. Beim ersten erfolgreichen Leipziger Bürgerentscheid sprachen sich damals knapp 90 Prozent für den Erhalt aus und durchkreuzten somit die Privatisierungspläne”, betont Mike Nagler als Sprecher des APRIL-Netzwerkes. “Ein Bürgerentscheid hat in Sachsen laut Gemeindeordnung aber nur eine Bindefrist von drei Jahren. Nach Ablauf dieser Frist wurden unter anderem die Stadtwerke-Tochterunternehmen HL komm und Perdata verkauft sowie weit über 6.000 Wohnungen der kommunalen LWB veräußert. Um dieser ‘Salamitaktik’ des Ausverkaufs dauerhaft etwas entgegenzusetzen, hatte die Initiative 2013 das Bürgerbegehren ‘Privatisierungsbremse’ ins Leben gerufen. Die Initiative pocht nach wie vor auf Zulassung des Entscheids.”

Der Termin der Gerichtsverhandlung ist am Dienstag, 10. November um 10 Uhr im Verwaltungsgericht Leipzig, Rathenaustraße 40, Sitzungssaal 1.

Das Argumentationspapier der Bürgerinitiative, welche sich auf die Sächs. Gemeindeordnung beruft.

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