Eine der zentralen Forderungen des Neoliberalismus ist die Privatisierung gesellschaftlichen Eigentums. Vor zehn Jahren erlebte auch Leipzig so eine neoliberale Privatisierungswelle, stimmte Leipzigs Stadtrat gar mit knapper Mehrheit dafür, einen Teil der Stadtwerke Leipzig zu verkaufen. Das hielten die meisten Leipziger für politischen Irrsinn und stimmten am 27. Januar 2008 mehrheitlich gegen die Privatisierungspläne.

Seitdem ist auch ein Netzwerk immer wieder aktiv: Das APRIL-Netzwerk, das damals den Bürgerentscheid „Stoppt den Ausverkauf unserer Stadt“ initiiert hatte, mit dem für die Leipziger erstmals spürbar thematisiert wurde, dass es ihr Eigentum ist, das da an einen Privateigentümer verscherbelt werden sollte. Damals mit der Begründung, insbesondere den Stadtkonzern und den Stadthaushalt zu konsolidieren. Vorbild war der Verkauf der Dresdner Wohnungsbaugesellschaft WOBA. Und wer sich erinnert: Die Privatisierungsbefürworter waren obenauf, sie sahen an dem Vorgang nur Gutes: Schuldenabbau, Handlungsfähigkeit, einen flotten neuen Eigentümer, der jetzt den städtischen Wohnungsbestand besser verwalten und sanieren würde.

Pustekuchen war’s.

2017 beschloss der Dresdner Stadtrat die Gründung einer neuen städtischen Wohnungsgesellschaft. Denn mit der WOBA hatte sie nicht nur das komplette städtische Wohnungsportfolio – und damit den Einfluss auf die Mietpreise – aus der Hand gegeben, sondern auch die Handlungsfähigkeit bei der Schaffung neuen sozialen Wohnraums verloren. Genau das soll die neue Wohnungsgesellschaft jetzt wieder tun.

In Leipzig war der Erkenntnisprozess nicht ganz so einfach – auch weil der 2010 offenkundig gewordene Heininger-Skandal bei den Wasserwerken zeigte, dass auch kommunale Unternehmen gegen Betrug nicht gefeit sind.

Seitdem wird an der Steuerung der Leipziger Stadtholdung gebastelt – ein eigenes Thema, das den Aspekt stark auf die Managementebene hebt und vergessen lässt, dass Städte mit ihren Kommunalunternehmen auch ihre (bezahlbare) Daseinvorsorge sichern und vor allem steuern können. Das ergibt zwar noch keine Billigpreise für Strom, Wasser, Straßenbahn. Aber es schafft einen stabilen Handlungsrahmen. Und es entlässt auch den steuernden OBM nicht aus der Verantwortung, wenn es jetzt darum geht, die Versorgungssysteme leistungsfähiger für die wachsende Stadt zu machen.

Und der ÖPNV ist längst an der Grenze der Leistungsfähigkeit angelangt.

Es tauchen also neue Fragen auf.

Wobei damals fast vergessen wurde, dass Leipzig sich die Gewinne der Stadtwerke nach einem Verkauf mit dem privaten Partner hätte teilen müssen. Die Querfinanzierung der LVB wäre also höchst problematisch geworden.

Und so richtig geklärt ist die Finanzierung der LVB bis heute nicht. Die Stadt hat sich mit der Profilierung der Stadtholding zwar die Steuerung gesichert – aber das Zukunftskonzept für die LVB fehlt. Über ein weiteres Gleis am Hauptbahnhof wird diskutiert, eine U-Bahn hält man sogar für machbar, wenn Leipzig weiter so wächst.

Und das APRIL-Netzwerk lädt anlässlich des 10. Jahrestages des Leipziger Bürgerentscheids „Stoppt den Ausverkauf unserer Stadt“ jetzt zu einer Tagung ein.

Der Bürgerentscheid von 2008

Am 27. Januar 2008 sprachen sich die Leipzigerinnen und Leipziger in einem Bürgerentscheid für ein umfassendes Privatisierungsverbot für Bereiche der Daseinsvorsorge aus. Mit dem Ziel der Reduzierung der Schulden der Stadt Leipzig sollten damals nach dem Willen des Oberbürgermeisters und der Mehrheit des Stadtrates in einem ersten Schritt 49,9 % der Anteile der Stadtwerke an private Käufer – im konkreten Fall an Gaz de France – veräußert werden. Dem sollte später eine Teilprivatisierung der Kommunalen Holding LVV folgen.

Für die LWB sollte der Bürgschaftsrahmen drastisch reduziert werden. Für den Eigenbetrieb Stadtreinigung sollte eine Rechtsformänderung und mögliche Privatisierung geprüft werden. Vorausgegangen waren u. a. bereits Privatisierungsdebatten um die städtische Wohnungsbaugesellschaft LWB und die Kommunalen Wasserwerke.

Daraufhin organisierte sich aus der Leipziger Zivilgesellschaft Widerstand. Die Initiative „Stoppt den Ausverkauf unserer Stadt“ setzte einen Bürgerentscheid durch. Knapp 180.000 Leipzigerinnen und Leipziger nahmen an der Abstimmung teil und vereitelten die Privatisierungspläne. Das Votum machte deutlich, dass den Menschen kommunale Daseinsvorsorge wichtig ist und Gemeinwohlorientierung Vorrang vor privater Gewinnerzielung haben muss. Bis dato ist der Bürgerentscheid von 2008 leider der einzige erfolgreiche Bürgerentscheid in der Messestadt. Die Durchführung eines weiteren Bürgerentscheids zur Einführung einer „Privatisierungsbremse“ wurde 2013 durch eine Stadtratsmehrheit von CDU, SPD, Grünen und FDP verhindert.

Die Tagung

Anlässlich des 10. Jahrestages des Entscheids lädt das Netzwerk alle Interessierten ins Volkshaus (ver.di, Erich-Schilling-Saal, 5. Etage, Karl-Liebknecht-Straße 30-32) ein.

Die Fragestellungen um die es an dem Wochenende gehen soll:

– Welches waren die Interessenslagen, kommunalpolitischen Rahmenbedingungen und Argumentationslinien vor 10 Jahren? Was war die Absicht und die Begründung der Privatisierungsbefürworter, welche Argumente wurden dagegen angeführt?

– Was ist aus den kommunalen Unternehmen und Betrieben geworden? Wie haben sie sich entwickelt? Gab es weitere Privatisierungen und welche Folgen hatten diese?

– Wie haben sich die Stadt Leipzig und ihre finanzielle Situation entwickelt?

– Was bedeutete der Bürgerentscheid für die Zivilgesellschaft in Leipzig und welche Entwicklung hat sie seitdem genommen?

– Wie hat sich die Auseinandersetzung um Privatisierung öffentlichen Eigentums seitdem entwickelt? Welche Fragen werden heute im Zusammenhang mit öffentlichem Eigentum diskutiert – auf kommunaler Ebene und darüber hinaus?

Der Tagungsablauf am 27. & 28. Januar 2018

Wem gehört die Stadt? – Zehn Jahre Bürgerentscheid für kommunales Eigentum, Sa. 27. Januar, Beginn: 15 Uhr im Gewerkschaftshaus, Volkshaus, Karl-Liebknecht-Str. 30.

15 Uhr, Teil 1: Rückblick Bürgerentscheid 2008, APRIL-Netzwerk, Input & kurze Diskussion

16 Uhr, Teil 2: Wo stehen die kommunalen Unternehmen & Betriebe heute– – Input durch Geschäftsführer LVV & Vertreter des Konzernbetriebsrates, im moderierten Dialog.

16:30 Uhr: Kaffeepause

18 Uhr, Teil 3: Öffentliches Eigentum, Privatisierung & PPP – aktuelle Entwicklungen in Bund, Ländern und Kommunen, Input & Diskussion

19:30: Abendimbiss

20 Uhr, Teil 4: Film: „Wem gehören unsere Städte?“ (2015), mit anschließender Diskussion: Wie weiter?

Sonntag, 28.01.2018, Vernetzungstreffen – Gemeingut in BürgerInnenhand

Im Nachgang des Bürgerentscheids gründete sich 2008 ein bundesweites loses Netzwerk lokaler Bürgerinitiativen welche sich für den Erhalt der Daseinsvorsorge und für Rekommunalisierungen einsetzen. Daraus entstand u. a. die Initiative „Gemeingut in BürgerInnenhand“ (GiB).

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