Kaum ist die eine Sau durchs Dorf gejagt, wird in Berlin über die nächste beraten. Da hat man eben die Rentenbeitragssätze gesenkt, denkt über eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters nach, tut so, als könne man durch Sparen und Deckeln den Leuten so etwas wie eine auskömmliche Rente sichern. Doch jede Reform der letzten Jahre hat das Rentensystem nur weiter ausgehöhlt. Und die "Arbeitsmarktreformen" haben immer mehr Beitragszahler aus dem Rennen gekickt. Gerade in Sachsen.

Dr. Dietmar Pellmann, der Landtagsabgeordnete der Linken, kommt in dieser Legislatur schon auf 522 Anfragen an die sächsische Staatsregierung. Irgendwann könnte er noch eine Doktorarbeit schreiben, so viel Material hat er gesammelt. Titel könnte sein: “Wieviele ‘Reformschritte’ brauche ich, um aus Leuten, die ihr ganzes Leben lang rackern, sich plagen und Beiträge zahlen, dauerhaft Almosenempfänger des Staates zu machen?”.

Es können nicht allzu viele sein. Aber das Ergebnis spürt jeder, wenn er nach einer zuletzt immer löcherigen Beitragszahlerkarriere bei der Rentenkasse seinen Kontostand abfragt. Denn die Sätze, die dort berechnet werden, richten sich ja nicht nur nach den miserablen Einkommen, die in Sachsen seit Jahren als politische Maxime gelten, sondern auch nach der Dauer der Beitragszahlung. Und wer immer wieder in irgendwelchen Aufwärmrunden des Jobcenters landet und am Ende gar mehr oder weniger genötigt wird, sich spätestens mit 60 aus dem Arbeitsmarkt zu entfernen, der kann ziemlich sicher den Bettelgang zum Sozialamt der Stadt anschließen.

Denn von den irgendwo mal angedachten 45 Jahren, in denen man sich seine Rente erwirbt, bleibt immer weniger übrig. Mit wirklich beängstigendem Sachverstand hat eine weise Regierung einfach mal die Ausbildungszeiten aus der Anrechnung herausgenommen. Bei den einen sind es drei Jahre Lehre, bei den anderen fünf Jahre Studium. Es sind diese kleinen, gnadenlosen Schnitte, mit denen die Kürzmeister zeigen, was sie eigentlich von der Bildung in Deutschland halten – nämlich nichts.

Dass sich der Arbeitsmarkt in den letzten 20 Jahren deutschlandweit drastisch verändert hat, findet nicht mal ansatzweise Berücksichtigung in der Rentengesetzgebung. Sichtbares Ergebnis: Die Zahl der anrechenbaren Arbeitsjahre für Männer, die in Sachsen in Rente gehen, sinkt. “Eckrentner” sind mittlerweile eine aussterbende Spezies.

“Als so genannte Eckrentner gelten in der offiziellen Statistik all jene, die 45 Beitragsjahre aufzuweisen haben”, erklärt der sozialpolitische Sprecher der Fraktion Die Linke, Dr. Dietmar Pellmann. “Diese Eckrentner gehören in Sachsen allerdings immer mehr der Vergangenheit an. Denn 2011 kamen Neurentner im Freistaat im Durchschnitt nur noch auf 39,78 und Neurentnerinnen gar nur auf 38,46 Beitragsjahre.”

Die Ursachen für diese Trendwende seien vielfältig. “Neben unterbrochenen Erwerbsbiografien zeigt etwa die unter der rot-grünen Bundesregierung eingeführte Streichung von Ausbildungsjahren die entsprechende negative Wirkung. Kamen männliche Neurentner im Jahr 2000 immerhin noch auf 41,53 Beitragsjahre, so waren es im vergangenen Jahr 4,3 Prozent weniger. Zu dieser Entwicklung hat freilich auch beigetragen, dass in Sachsen 2011 81 Prozent der Neurentnerinnen und Neurentner vor Vollendung des 65. Lebensjahres in den Ruhestand gingen – viele davon durchaus nicht freiwillig.”

Die Verringerung der Zahl der Beitragsjahre habe freilich schon heute Auswirkungen auf die Rentenhöhe. Bei Rentnern sank der monatliche Zahlbetrag der gesetzlichen Rente 2011 im Vergleich zum Jahr 2000 um 86 Euro; bei Frauen waren es bei insgesamt wesentlich niedrigeren Renten 9 Euro. Bei Neurentnern betrug die Senkung sogar 9 und bei Neurentnerinnen 2,5 Prozent.”Diese Fakten belegen eindeutig: Im Gegensatz zu den jüngsten Beschwichtigungen aus dem FDP-geführten Bundeswirtschaftsministerium ist Altersarmut bereits gegenwärtig ein keineswegs zu vernachlässigendes Problem”, sagt Pellmann. Das Ministerium hatte sich von seinem Wissenschaftlichen Beirat ein Gutachten zuarbeiten lassen, das am 30. November vorgelegt und am 18. Dezember öffentlich vorgestellt wurde. Darin rechneten die Gutachter vor, wie ein lebenslang fleißiger Arbeiter ruckzuck in die Bedürftigkeit im Rentenalter rutscht: “Um die Höhe dieses Risikos abzuschätzen, sei das folgende Zahlenbeispiel betrachtet: Der aktuelle Rentenwert, also der Wert eines Entgeltpunkts, beträgt in Ostdeutschland seit dem 1.7.2012 24,92 Euro. Der so genannte Eckrentner arbeitet 45 Jahre lang zum Durchschnittslohn und erhält daher 45 Entgeltpunkte, die einer Rente von 1121 Euro pro Monat entsprechen.

Erhält diese Person nur 75 Prozent des Durchschnittseinkommens, sinken die Entgeltpunkte auf 33,75 und die monatliche Rente auf 841 Euro. Hat sie dagegen nur 40 Jahre lang zu 75 Prozent des Durchschnittseinkommens gearbeitet, hat sie 30 Entgeltpunkte gesammelt und kommt somit auf eine Monatsrente von 747,60 Euro.”

Heißt also logischerweise: Wer ein Leben lang mies bezahlt wird, landet unter Garantie in der Bedürftigkeit. Er zahlt also doppelt drauf.

Die Gutachter gehen davon aus, dass – aufgrund der höheren Beschäftigung – das Renteneintrittsalter künftig um vier Jahre steigt. Und dass die Bedürftigen den Rest, der ihnen an der künftigen Rente fehlt, durch fleißiges Riestern aufbessern.

Wer das Gutachten der beauftragten Professoren lesen will, findet den Link unterm Text. Das Fazit ist so seltsam, dass man es mehrmals lesen muss, um den Unsinn zu begreifen: “Der Beirat erkennt an, dass es der Akzeptanz der Gesetzlichen Rentenversicherung schadet, wenn Menschen, die ein Leben lang für einen relativ niedrigen Lohn gearbeitet haben, nur genauso viel oder unwesentlich mehr Rente beziehen als diejenigen, die die Grundsicherung im Alter erhalten. Der Beirat verweist jedoch auf das grundsätzliche Dilemma von Einkommenstransfers, bei denen sich immer diejenigen Menschen benachteiligt fühlen, die gerade über den entsprechenden Zuwendungsschwellenwerten liegen.”

Was ja übersetzt schlichtweg heißt: Wer sein Leben lang gezwungen ist, für einen Elendslohn zu arbeiten, bekommt trotzdem keine auskömmliche Rente, weil das diejenigen neidisch machen könnte, die ein paar Euro mehr verdient haben als sie. Oder andersherum: Die, die ihr Erwerbsleben lang entsprechend ihrer Einkommen in die Rentenvorsorge eingezahlt haben, bekommen letztendlich nur ein kleines bisschen mehr als die anderen, die dann gezwungenermaßen von den Leistungen des Amtes abhängig sind. Das ist übrigens keine wissenschaftliche Wertung, auch wenn die Gutachter alle einen hübschen Professorentitel tragen, sondern eine psychologische. Aber ein Psychologe ist in der ganzen Gutachterrunde nicht zu finden.

Es ist also Küchen-Psychologie. Das, mit dem heuer Wirtschaftstheorien gekocht werden.

Was aus dem ganzen Papier logischerweise ein Gefälligkeitsgutachten macht für ein Ministerium, das an der Lage eigentlich nichts ändern will.

Und auf das Beispiel Ostdeutschland heruntergebrochen: Die Gutachter finden es in Ordnung, wenn der niedrigentlohnte Osten im Alter Almosenempfänger bleibt. Für Pellmann also eine Bestätigung, dass die Armutsrente im Osten politisch gewollt ist.

“Sie wird allerdings gerade in den neuen Bundesländern zur Massenerscheinung werden, wenn nicht endlich politisch gegengesteuert wird. Ein entsprechendes Signal müsste daher endlich auch von der sächsischen Staatsregierung ausgehen”, sagt der Landtagsabgeordnete aus Leipzig. “Alternative Lösungsvorschläge wie armutsfester gesetzlicher Mindestlohn, Rücknahme aller seit 2000 eingeführten Rentenabsenkungsfaktoren oder die Einführung einer Mindestrente liegen seit langem auf dem Tisch.”

Die Antwort von Sozialministerin Christine Clauß auf Pellmanns Anfrage: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=10627&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=2

Die Pressemitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums vom 18. Dezember: www.bmwi.de/DE/Presse/pressemitteilungen,did=543098.html

Das Gutachten des “Wissenschaftlichen Beirates”: www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/Publikationen/Studien/gutachttext-wissenschaftlicher-beirat-altersarmut,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf

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