Der Leipziger Arbeitsmarkt ist festgefroren. Es ist Winter. Und das Orakel zu Nürnberg verkündet: "Der deutsche Arbeitsmarkt scheint die schwache wirtschaftliche Entwicklung der letzten Monate gut zu verkraften und zeigt sich insgesamt weiter robust. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit im Februar hat jahreszeitliche Gründe."

So formulierte zumindest der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-J. Weise, das, was er nicht weiß. Bis auf den kleinen Satz da hinten: “Der Anstieg der Arbeitslosigkeit im Februar hat jahreszeitliche Gründe.” Der Rest ist Hokuspokus. Ein Arbeitsmarkt verkraftet alles. Er ist nur ein Markt, auf dem Arbeitskraft gegen Anstellung verhandelt wird. Mal mehr, mal weniger. Die Bundesagentur für Arbeit ist nicht der Arzt eines leidenden Organismus. Und schon gar kein Handelsbeteiligter. Tut aber gern so, weil auch ein paar Politiker im Land glauben, sie hätten da ein Steuerungsinstrument geschaffen. Haben sie nicht.

Bestenfalls ist es eine Zählmaschine, die registriert, wer ein bezahltes Plätzchen gefunden hat – und wer wieder raus ist und sucht. Nicht einmal die Schalter, an denen man seine Arbeitskraft feil bieten könnte, funktionieren richtig. Es sitzt ein Ordnungshüter dahinter, der erst Zensuren verteilt – und dann nach Belieben sanktioniert.

Das Gebilde gehört gründlich reformiert. Auch damit ein paar Schönredner nicht mehr behaupten könnten, sie täten was für den “deutschen Arbeitsmarkt”. Für die Arbeitsuchenden schon gar nicht.

Was sagen die Sachwalter in Leipzig?

“Der leichte Anstieg der Arbeitslosenzahlen war aus saisonalen Gründen zu erwarten und ist typisch für die Wintermonate. In langfristiger Perspektive stimmt die Richtung allerdings, denn im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der arbeitslosen Arbeitslosengeld II-Bezieher um 1.900 Personen zurückgegangen. Mit Beginn des Frühjahres ist mit einer Belebung am Arbeitsmarkt und mit einem Rückgang der Arbeitslosigkeit zu rechnen”, sagt Dr. Michael Lange, stellvertretender Geschäftsführer des Jobcenters Leipzig.

Und die Kollegin aus dem Nachbarhaus, wo man die Arbeitsuchenden aus der glücklicheren Klasse betreut: “Auch im Februar stieg die Zahl der Arbeitslosen an, aber das nur leicht mit + 81. Vor einem Jahr war der Anstieg von Januar auf Februar sehr viel größer (+ 1.126). Trotz des weiteren Anstiegs der Arbeitslosigkeit gab es im Agenturbezirk Leipzig im Februar 2013 fast 1.500 arbeitslose Menschen weniger als im Februar 2012”, meint die Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Leipzig Elke Griese.

Ist doch ein schönes Gefühl: Früher war alles schlimmer.

Was heißt das nun in Zahlen?

Insgesamt waren 32.091 Männer und Frauen im Agenturbezirk Leipzig arbeitslos gemeldet. 7.476 davon im Rechtskreis des SGB III (oder zu neudeutsch Arbeitslosengeld-I-Empfänger) und 24.615 im Rechtskreis SGB II.
Insgesamt gab’s also 81 arbeitslos Gemeldete mehr als im Januar, die Zahl der arbeitslosen Arbeitslosengeld II-Empfänger ist um 116 Personen gestiegen (auf 24.615). Was dann freilich auch einen Anstieg der Leistungsempfänger nach ALG II auf 72.071 bedeutete. Das waren dann schon einmal 659 Personen mehr als im Vormonat. Die Zahl der Bedarfsgemeinschaften stieg auf 43.375 (+ 452 gegenüber Vormonat).

Man merkt: Da steckt keine systematische Arbeit dahinter, kein wirklich ehrgeiziges Ziel. Den Arbeitsmarkt, wenn man schon das Wort benutzt, schaffen andere. Unternehmen wie Porsche, das gerade eine große Personalsuche gestartet hat für die Produktion des neuen Autos. Oder die diversen Logistiker, die sich niederlassen.

Kann ein Amt überhaupt den professionellen Vermittler spielen? Wäre das nicht wirklich sinnvollerweise eine Aufgabe für richtige Arbeitsvermittler? Man könnte das integrieren. Das war – bevor die Hartz-Truppe ihr “2-Millionen-weniger”-Vorschlagspaket zusammenklempnerte (Sorry an die Klempner!), sogar mal eine diskutierte Idee. Würde aber so etwas wie Transparenz voraussetzen. Und eine richtige Arbeit. Nicht dieses Herumorakeln über einen nebulösen “Arbeitsmarkt”. Würde jeden Monat eine klare Analyse dessen erfordern, was zu einem richtigen Markt gehört. Nachfrage und Angebot.

“Die Wirtschaft und die Verwaltung haben im Februar 1.393, das waren 194 mehr als im davor liegenden Monat (1.199) und 19 weniger als vor einem Jahr, freie Stellen zur Besetzung gemeldet”, heißt so ein Satz im monatlichen Bericht. Aber der Satz verrät auch, dass man nicht wirklich wissen will, wie sich die ganz konkrete Nachfrage vor Ort entwickelt. Nicht die der Arbeit-Suchenden. Die stehen – das wissen sie alle selbst – vor der undankbaren Aufgabe, zu nehmen, was geboten wird.

Aber was wird geboten? Welche Branchen fragen nachhaltig welche Qualifikationen nach? Welche Nachfragen sind dauerhaft da – welche nur sporadisch. Was “geht immer”? fragt sich selbst der kleine Kioskbetreiber. Und legt es in die Auslage.

Erst dann, wenn die Agenturen und Jobcenter melden, welche Qualifikationen Monat für Monat bei ihnen nachgefragt sind. Und was auch perspektivisch nachgefragt sein wird, wenn sie also wirklich einmal wissen sollten, was nachgefragt wird auf dem Leipziger Arbeitsmarkt, dann beginnen sie als Vermittler zu funktionieren. Doch dann würden ein gut Teil der immer so gern besungenen Instrumente nicht mehr funktionieren.

Dann würden nämlich auch die Besteller – die Unternehmen in der Region – zu recht nachfragen dürfen: Warum bildet ihr haufenweise Gabelstaplerfahrer aus, die wir gar nicht brauchen? (Klar, ein paar nehmen sie trotzdem – und schmeißen sie nach der Probezeit wieder raus.) Warum schleift ihr die Leute durch Computerkurse und Bastelwerkstätten, wenn wir Packer brauchen? Und die Suchenden dürfen (mit Recht) fragen: Wie passgenau für die Nachfragen sind eigentlich die Qualifizierungsmaßnahmen? Lohnt es sich, dort mitzumachen? Wie hoch ist die Übernahmesicherheit?

Ist ja nicht so, das der Leipziger Arbeitsmarkt mit ein paar realistischeren Herangehensweisen auch besser funktionieren könnte. Die Stadt ist ja nicht aus der Welt. Tatsächlich könnte sie längst wieder eine “Boom”-Stadt sein. 12 Prozent registrierte Arbeitslosigkeit (die auch nur ein fiktiver Wert sind), sind für eine Stadt mit diesen Voraussetzung viel zu viel. Trotz all der Billigheimer, die sich auf Kosten der Bedürftigkeit in den letzten Jahren goldene Nasen verdienten. Da wäre mehr drin.

Aber dazu müssten ein paar Weichen von passiv auf aktiv umgestellt werden, von Fordern auf Fördern. Qualifiziertes Fördern. Aber wer evaluiert eigentlich die Verwalter der Arbeitslosigkeit? Unabhängig. Mit dem kritischen Blick dessen, der von keiner der verwaltenden Institutionen beeinflusst werden kann?

Bis jetzt niemand.

Und so lebt das Orakel in Nürnberg. Und selbst der Abreisskalender verrät: Demnächst beginnt der Frühling. Elke Griese: “Für den nächsten Monat erwarte ich einen Rückgang der Arbeitslosenzahl. Das Frühjahr steht vor der Tür und das wird auch die positive Wende am Arbeitsmarkt mit sich bringen.”

Das wollen wir doch hoffen. Auf den Frühling war bislang immer Verlass.

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