Wieder mal ein Ranking – diesmal als Karriere-Atlas: Kann Leipzig seinen Arbeitsplatzzuwachs auch mal in einen Qualitätssprung ummünzen?

Das Leipziger Wirtschaftsdezernat liebt Rankings. Besonders wenn Leipzig drin vorkommt - und das auch noch möglichst weit oben. Diesmal hat ein Ranking der Internet-Jobbörse Yourfirm die Aufmerksamkeit des Wirtschaftsdezernats erweckt. Und das Wirtschaftsdezernat liest das Zahlenwerk so, als hätte da jemand die Leipziger Zustandsparameter tatsächlich wissenschaftlich gemessen.

„Die Stadt Leipzig punktet beim Karrierecheck der deutschen Großstädte in den Kategorien Wirtschaftswachstum (2. Platz), Arbeitsplatzzuwachs (2. Platz) sowie bei den Mietpreisen (1. Platz).“ Dabei ist sowohl die Auswahl der Städte nur begrenzt aussagekräftig als auch die Wichtung der einzelnen Parameter: „Die Online-Jobbörse Yourfirm.de, die sich insbesondere den Karrierechancen bei mittelständischen Unternehmen und sogenannten Hidden Champions widmet, untersuchte in ihrem jüngsten Städteranking zehn deutsche Großstädte auf ihre Karrieretauglichkeit“, übernimmt das Wirtschaftsdezernat die Selbstbeschreibung.

„Der Wirtschaftsstandort Leipzig wird nicht nur für Investoren, sondern auch als Arbeits- und Wohnstandort immer attraktiver. Dies bestätigt der jüngste Karrierecheck unter den deutschen Großstädten, in welchem Leipzig für die Zukunft ein großes Potenzial bescheinigt wird“, kommentiert Uwe Albrecht, Bürgermeister für Wirtschaft und Arbeit der Stadt Leipzig, das Zahlenwerk. „Schon das Meinungsforschungsinstitut GfK befand in seiner Studie vom Dezember 2013, dass in keiner anderen deutschen Großstadt die Einwohner so zufrieden sind wie in Leipzig. Und nirgendwo in Deutschland ist der Anteil junger Haushalte so hoch wie hier. Die von der Leipziger Wirtschaftsförderung initiierte Befragung im Frühjahr 2014 hatte bei den Leipziger Betrieben eine sehr hohe Standortzufriedenheit sowie sehr gute Entwicklungsperspektiven ergeben. Mit dem Mittelstandförderprogramm können wir diese Entwicklung auch weiter nachhaltig unterstützten.“

Aus Sicht des Dezernats sieht das Ergebnis so aus: Im Karriere-Atlas wird eingeschätzt, dass sich nach der Wende in Leipzig innerhalb von gut 20 Jahren eine neue Wirtschaft entwickelt habe, die immer interessanter für Arbeitnehmer wird. Auch wenn heute das Gehalt noch relativ niedrig und die Arbeitslosigkeit vergleichsweise hoch sei, könne sich dies dank des hohen Wachstums bald ändern. Kulturelle Identität und geringe Lebenskosten wirkten als zusätzlicher Anziehungsfaktor, speziell für junge Arbeitnehmer. Das Fazit der Studie lautet: Leipzig holt mit Riesenschritten auf und wird weiter an Attraktivität gewinnen.

Indem sich das Ranking auf zehn Großstädte beschränkt, fehlen natürlich ein paar nicht ganz unwichtige Vergleichswerte etwa zu Nürnberg oder Dresden. Aber auch die Zahlen sind nicht neu. Yourfirm hat es dabei ganz ähnlich gemacht wie andere Ranking-Ersteller: Man hat sich die Zahlen aus dem Bundesamt für Statistik und den Landesämtern für Statistik besorgt. Und wenn es dort keine gibt, nutzt man die von anderen Unternehmen, die im Internet eigene Rankings verbreiten. Das betrifft dann just auch die Zahl, die Uwe Albrecht besonders hervorhebenswert fand und die auch Yourfirm für Leipzig hervorhebt: „Nr. 1 bei der Zufriedenheit seiner Einwohner ist Leipzig. Laut GfK-Studie von 2013 sind die Bewohner keiner anderen deutschen Großstadt so glücklich mit ihrem Wohnort.“Verwendet hat man aber keine GfK-Zahlen zur Lebenszufriedenheit, sondern Zahlen aus einem Ranking der Beratungsgesellschaft Service Value von 2012 zur Lebensqualität, die auch dort selbst schon aus einem Sammelsurium von Dingen wie „Leute und Mentalität“, „Sprache und Dialekt“, „Klima und Wetter“, „Sport und Fußball“, „Trend und Lifestyle“ bestand.

Leipzig landete dort auf einem wetterfühligen 5. Platz. Bei Yourfirm wird ein 4. draus, weil Dresden (Platz 4) aus der Wertung fiel. Yourfirm hat zwar zwei Mal die Lebenszufriedenheit für Leipzig gelobt. Aber vordere Plätze gab’s für Leipzig in der Yourfirm-Wertung (die einfach die statistischen Zahlen in Prozente umgerechnet hat) vor allem für das Wirtschaftswachstum von 2,99 Prozent (2006 – 2011), den Arbeitsplatzzuwachs von 2,32 Prozent (2008 bis 2013) und die niedrigen Neuvermietungspreise von 5,77 Euro je Quadratmeter (die man von wohnungsboerse.de / immobilienscout.de hat). Das ist die Tabelle, wo München mit über 15 Euro ganz hinten liegt. Dafür liegt München mit 3.980 Euro durchschnittlichem Monatsgehalt ganz vorne. Das ist dann wieder die Wertung, in der Leipzig mit 2.850 Euro ganz hinten liegt – und das sind auch nur die Bruttomonatsverdienste bei sozialversicherungspflichtigem Vollerwerb. Kein Wort zum dominierenden nichttariflichen und prekären Bereich in Leipzig. Bei der Arbeitslosenquote steht Leipzig zwar mittlerweile besser da als Berlin, Dortmund und Bremen. Nur bringt das keine höhere Lebensqualität, wenn die Durchschnittseinkommen nicht viel höher sind als die simple Lebenssicherung.

Es gibt ja bekanntlich schon diverse Karriere-Rankings, die zumeist – wie eben auch dieses – München an der Spitze sehen. Manchmal auch Frankfurt – das hier erstaunlicherweise hinter Leipzig auf Platz 5 landet. Das wird etwas deutlicher, wenn Yourfirm die Qualitäten der 10 Großstädte benennt: die 2.500 Startups in Berlin etwa, die 200 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung in Frankfurt oder die Ingenieursdichte in Stuttgart. Da wirkt das Lob für die Lebensqualität in Leipzig schon seltsam, denn bei den Fach- und Führungskräften, für die Yourfirm seine Börse betreibt, zählen mit hoher Wahrscheinlichkeit eher harte Fakten: Werden qualifizierte Kräfte gesucht? Wird Forschung betrieben? Werden Gründungen gefördert? Wie stark sind die Zukunftscluster? – Das wird deutlich an den Jobs, die auf Yourfirm gesucht werden. Und das Verblüffende für Leipzig: Während in den anderen Städten Manager, Ingenieure und Berater an der Spitze stehen, sind es in Leipzig Handwerker.

Unübersehbar fehlt hier der starke Mittelstand, der den Motor auf Touren bringt. Zufriedenheit, wie von GfK und Yourfirm gelobt, ist keine gute Tugend, wenn es um wirtschaftliche Attraktivität geht. So eine Stadt muss unzufrieden sein, richtig unzufrieden. Der Rest ist Einlullen und Party. So funktioniert das nicht.