In manchen Statistiken der Stadt Leipzig sieht es einfach berauschend schön aus, wie die Haushaltseinkommen in den vergangenen Jahren gewachsen sind. Aber dem schönen Schein wollte Linke-Stadtrat Steffen Wehmannn nicht trauen. Denn oft wird der Zuwachs ja schon durch die Inflation aufgefressen. Also fragte er im Februar nach, wie die Einkommensentwicklung eigentlich real verlief, mit eingerechneter Inflation. Und im März gleich noch mal.

Denn mit der ersten Antwort war Wehmann so richtig nicht zufrieden. Sie bestätigte zwar, was er sich als Finanzexperte schon denken konnte, dass die Leipziger in den ersten 17 Jahren des neuen Jahrhunderts real überhaupt keine Einkommenszuwächse hatten, jahrelang hatten sie sogar – was ihre Kaufkraft betrifft – weniger in der Börse als noch im Jahr 2000. Das bekannte sächsische Dreifach-Sparpaket bei den Einkommen hat bei den meisten Leipzigern richtig zugeschlagen.

Dieses Sparpaket umfasst ja bekanntlich die Einführung von „Hartz IV“ (das besonders bei den untersten Einkommen drastische Verluste bedeutete), die forcierte Niedriglohnpolitik der Sächsischen Regierung, die bei den mittleren Einkommen satten Lohnverzicht bedeutete, und die Verwandlung Sachsens in das Haupt-Experimentierfeld prekärer Arbeitsmodelle. Sachsen und insbesondere Leipzig waren über Jahre die Region mit dem höchsten Anteil an Zeitarbeit.

Reale Einkommen der Leipziger nach Einkommensquelle. Grafik: Stadt Leipzig
Reale Einkommen der Leipziger nach Einkommensquelle. Grafik: Stadt Leipzig

Es gab ja bekanntlich noch ein paar mehr „Instrumente“, mit denen das Lohnniveau in Sachsen gedrückt wurde – und viele sind heute noch spürbar, trotz Fachkräftemangels in einigen Branchen.

Aber Wehmann wollte es eben doch genauer wissen, steht doch auch immer wieder die Behauptung im Raum, der Osten sei von massiven Transfers im Sozialsystem abhängig. Das ist er auch in Teilen. Aber einer wie Wehmann weiß, dass das seine Gründe hat – und zwar zuallererst in der über Jahre forcierten Niedriglohnpolitik.

Und die neue Antwort, die er aus dem Amt für Statistik und Wahlen bekommen hat, bestätigt seine Vermutung.

„Leider ist das reale Haushaltsnettoeinkommen der Leipzigerinnen und Leipziger in den letzten 17 Jahren fast nicht gestiegen. Es beträgt durchschnittlich 1.631 Euro, d. h. nur ganze 42 Euro monatlich mehr stehen den Haushalten in Leipzig im Durchschnitt an Kaufkraft seit 2000 mehr zur Verfügung. Zum Vergleich: In Dresden beträgt das reale Haushaltsnettoeinkommen 1.809 Euro, in Chemnitz 1.768 Euro monatlich. Das zeigt auch, dass die bessere wirtschaftliche Entwicklung Leipzigs der letzen Jahre bei vielen Leipzigerinnen und Leipzigern leider nicht im Geldbeutel ankommt. Leipzig boomt, allerdings gewiss beim realen Einkommen nicht“, kann Wehmann feststellen.

Wobei der Blick auf Dresden und Chemnitz zeigt: Auch dort sind die mittleren realen Haushaltseinkommen seit 2000 praktisch nicht gestiegen. In Dresden gab es gerade nur einen lütten Zuwachs von 24 Euro an Kaufkraft, in Chemnitz einen von 12 Euro. Das heißt: Das schon im Jahr 2000 spürbar höhere Einkommen in den beiden Städten hat sich erhalten, ist aber auch nicht weiter gewachsen.

Entwicklung der Leipziger Einkommen nach Haushaltstyp. Grafik: Stadt Leipzig
Entwicklung der Leipziger Einkommen nach Haushaltstyp. Grafik: Stadt Leipzig

Der komplette Freistaat ist also durch das Tal der Tränen marschiert, ablesbar insbesondere an den Einkommen aus Erwerbstätigkeit, deren Median schon ab 2006 sank, dann mit Beginn der Finanzkrise noch einmal absackte und dann bis 2012 regelrecht stagnierte. Erst ab 2012 gab es wieder reale Lohnzuwächse in Leipzig. Und erst 2017 wurde wieder die Kaufkraft des Jahres 2000 erreicht.

Scheinbar im Widerspruch dazu steht die Tabelle, in der die Entwicklung des realen Haushaltseinkommens nach Haushaltstyp aufgeführt wird. Die weist nun für jeden Haushaltstyp eine deutliche Steigerung auf. Nur bei den Rentnerpaaren ist hier die Kurve mit den realen Einkommensverlusten zwischen 2005 und 2017 sichtbar. Woran liegt das?

An einer Entwicklung, die sich quasi hinter der Einkommensentwicklung der mehrköpfigen Haushalte versteckt. Denn in der Zeit ist auch die Arbeitslosigkeit gesunken, die Erwerbstätigenquote stieg. Und zumindest für den abgebildeten Zeitraum gilt, dass die meisten neuen Arbeitsplätze anfangs in der Zeitarbeit entstanden und – ab 2012 verstärkt – im Bereich der Teilzeitarbeit, in dem besonders viele Frauen landen. Das heißt: Mehr Leipziger/-innen waren in Arbeit, viele konnten mit einem relativ niedrigen Zuverdienst in Teilzeit das Familienbudget aufstocken, womit die Einkommen der Familienhaushalte ebenfalls stiegen, wenn auch pro Kopf die Nettoeinkommen im Durchschnitt erst fielen und erst 2017 wieder den Stand von 2000 erreichten.

Die Leipziger haben 17 Jahre mit echten Einkommenseinbußen hinter sich

Die Leipziger haben 17 Jahre mit echten Einkommenseinbußen hinter sich

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