Die Sächsische Arbeitsagentur veröffentliche ja am 23. Juli eine neue Statistik zu den mittleren Arbeitsentgelten und freute sich dabei bärisch, dass der Median auch in Sachsen gestiegen ist. Für gewöhnlich nimmt Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) die Zahlen der Bundesagentur und jagt sie noch einmal durch seinen Computer.

Denn die Arbeitsagentur versucht bei ihren Meldungen ja in der Regel, sich selbst in ein schönes Licht zu stellen. Sie hat wenig Interesse daran, zu zeigen, dass die meisten Entwicklungen gar nichts mit ihrer tollen Arbeit zu tun haben, dass die meisten Wirtschaftsprozesse auch dann genauso ablaufen würden, wenn die Jobcenter Urlaub machen und die Wirtschaftsminister lieber Blumen gießen würden.

Schröder beschäftigt sich nämlich mit der Frage, warum Menschen eigentlich pendeln und warum die Großstädte immerzu wachsen.

Das bildet sich nämlich im Lohngefälle ebenfalls ab.

In Bremen wird es am deutlichsten. Denn die Hansestadt ist – trotz aller wirtschaftlichen Malaisen – immer noch der Arbeitgeber für eine große Region im Nordwesten von Niedersachsen. Jeden Morgen setzen sich ganze Pulks von Pendlern im Umland in Bewegung, um zur Arbeit nach Bremen zu fahren.

Ablesbar ist das an einem Vergleich, den es in Leipzig vor fünf Jahren noch ganz ähnlich gab.

Hatten die Beschäftigten am Wohnort Bremen im vergangenen Jahr ein mittleres Monatsbruttoentgelt von 3.271, so waren es bei allen Beschäftigten am Arbeitsort Bremen 251 Euro mehr, nämlich 3.522.

Das heißt: Viele Pendler fahren wegen der besseren Löhne nach Bremen zum Arbeiten, wohnen aber im niedersächsischen Umland. In Niedersachsen als Arbeitsort ist übrigens das mittlere Entgelt ebenfalls deutlich niedriger als in Bremen – es lag 2018 bei 3.175 Euro.

Wobei an dieser Stelle noch einmal zu betonen ist: Die Arbeitsagentur erfasst nicht alle Entgelte, sondern nur das „mittlere sozialversicherungspflichtige Bruttomonatsentgelt der sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten der Kerngruppe“. Gerade die oft prekären niedrigeren Einkommen werden hier gar nicht erfasst.

In Hamburg ist der Stadt-Umland-Effekt übrigens fast genauso gut zu erkennen wie in Bremen. Hier beträgt die Differenz 187 Euro.

In Berlin sind es nur 20 Euro. Hier muss man die Sache umdrehen, um zu sehen, dass die Großstadt auf ihr Umland trotzdem ganz ähnlich wirkt. Nur ist natürlich Berlin verglichen mit dem benachbarten Brandenburg ein Riese. Die meisten Berliner Beschäftigten wohnen auch in Berlin, auch wenn trotzdem viele Brandenburger aufgrund des Lohngefälles nach Berlin pendeln.

Das bedeutet dann für den Arbeitsort Brandenburg ein durchschnittlich 197 Euro niedrigeres mittleres Entgelt als für den Wohnort Brandenburg. Wer in Berlin gut verdient, sucht sich also ganz selbstverständlich auch eine Wohnung im näheren Brandenburg.

Wenn man die Großstädte betrachtet, die nicht selbst Bundesländer sind, werden die wichtigsten Pendlerstädte sichtbar, in denen der Bremer Effekt ebenfalls deutlich zu sehen ist: So haben die Menschen, die in Frankfurt wohnen, 337 Euro weniger als mittleres Monatsentgelt als die Menschen, die insgesamt in Frankfurt arbeiten. Dasselbe in der Pendlerstadt Stuttgart (341 Euro), in Duisburg (209), Nürnberg (185) und München (167).

Und dann ist da noch Leipzig, in dem es noch vor fünf Jahren ganz ähnlich aussah wie in Bremen: Die in Leipzig Wohnenden hatten im Schnitt deutlich niedrigere Entgelte als die Bewohner der Landkreise Leipzig und Nordsachsen. Aber diese Schere hat sich in den letzten Jahren geschlossen. Wer gut verdient, versucht auch in Leipzig zu wohnen. Was zum Ergebnis hat, dass zwischen den mittleren Entgelten am Arbeitsort und am Wohnort nur noch eine Differenz von 7 Euro klafft.

Auch hier muss man – wie in Berlin – ins Umland zoomen, um die Rolle der Großstadt als Jobgeber zu erkennen. So lag das mittlere Entgelt am Arbeitsort Landkreis Leipzig im vergangenen Jahr um 280 Euro unter dem Entgelt als Wohnort. Und mit 2.663 lag das Entgelt am Wohnort Landkreis Leipzig auch deutlich unter dem Entgelt am Wohnort Leipzig mit 2.929 Euro. Ein weiterer Hinweis, dass Menschen mit einem besseren Einkommen nicht mehr unbedingt in die Landkreise abwandern, sondern versuchen, in Leipzig zu bleiben.

In Nordsachsen ist die Differenz zwischen Arbeits- und Wohnort mit 23 Euro deutlich geringer. Aber mit 2.516 Euro mittlerem Entgelt lag dieser Wert ebenfalls unter dem der in Leipzig wohnenden Erwerbstätigen. Was eben auch heißt: Es pendeln nicht einmal mehr die, die gut verdienen. Die wohnen lieber selbst in Leipzig. Es pendeln eher die mit den niedrigeren Bruttolöhnen. Was die These bestätigt, dass mehr Menschen, die in Leipzig keine bezahlbare Wohnung mehr finden, auf die beiden Landkreise ausweichen.

Wie sächsische Pendlerzahlen von der modernen Konzentration der Arbeitsplätze erzählen

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