Regelmäßig ertönt ja vor allem aus konservativen Politikerkreisen das Gejammer darüber, dass die Deutschen immer früher in Rente gehen und dabei doch bitteschön länger arbeiten sollten. Ein Gerede, das mit der Wirklichkeit am Arbeitsmarkt nicht das Geringste zu tun hat, wie Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) mit einer neuen Grafik zeigt. Denn immer mehr Ältere arbeiten immer länger.

Das hat nicht nur damit zu tun, dass das gesetzliche Rentenalter Jahr um Jahr immer weiter angehoben wird, sondern vor allem damit, dass immer mehr Arbeitnehmer mit einer Rente rechnen müssen, die zum Leben nicht reicht. Und die meisten sind nicht bereit, ihren Lebensabend damit zu verbringen, bei den Ämtern um die Grundsicherung anzustehen, die all jenen gewährt wird, die trotz eines langen Arbeitslebens keine ausreichenden Rentenbezüge angesammelt haben.

Rentensystem vs. Lebenswirklichkeit

Und das ist in vielen Berufen längst das Normale, gerade in vielen Regionen Ostdeutschlands, wo es keine Tarifbindung gibt und viele Berufstätige eine lange Transformationszeit mit gebrochenen Berufskarrieren und prekären Beschäftigungsverhältnissen erlebt haben.

Das deutsche Rentensystem ist fĂĽr sie nicht ausgelegt, sondern geht von Gutverdienern in festen Jobs aus, die deutlich ĂĽber den Durchschnittseinkommen liegen. Sie werden im Grunde dafĂĽr belohnt, dass sie auch ein Leben lang gut verdient haben.

Während gerade Menschen, die mit prekären Arbeitsverhältnissen konfrontiert wurden, mit dem heranrückenden Rentenalter vor dem Dilemma stehen, lieber noch ein paar Jahre weiterzuarbeiten, um nicht betteln zu müssen. Oder dann auf die karge Altersrente noch etwas aufzusatteln, indem sie Teilzeitjobs annehmen.

Die zunehmende Berufstätigkeit in den höheren Alterskohorten in Deutschland. Grafik: BIAJ
Zunehmende Berufstätigkeit in den höheren Alterskohorten in Deutschland. Grafik: BIAJ

Und genau das bildet sich in der von Paul M. Schröder erarbeiteten Grafik ab, die nicht nur zeigt, wie die Beschäftigungsquoten der Frauen und Männer zwischen 55 und 60 Jahren von 51,6 Prozent im Jahr 2014 auf 65,5 Prozent im Jahr 2023 angestiegen sind, ein sicheres Zeichen dafür, dass immer weniger Beschäftigte in den Vorruhestand gehen.

Sie zeigt eben auch, wie die Beschäftigungsquote der 60- bis 67-Jährigen im selben Zeitraum von 21,4 auf 41,3 Prozent anstieg, weil eben auch viele Ältere immer länger arbeiten. Die einen, um nicht zu viele Abschläge bei den Altersbezügen hinnehmen zu müssen, die anderen, um überhaupt möglichst lange mit einem einigermaßen auskömmlichen Einkommen und selbstständig das Leben fristen zu können.

Blinder Fleck konservativer Politik

Was dann eben auch den Effekt hat, dass deutlich weniger Menschen in der Grundsicherung landen, als dort eigentlich zu erwarten wären. Denn wer ein Leben lang gearbeitet hat, nimmt den Canossagang zum Sozialamt so lange nicht in Kauf, wie er sich das durch eigene Erwerbstätigkeit ersparen kann.

Aber diese arbeitsamen und stolzen Menschen hat gerade der konservative Teil der Politik augenscheinlich überhaupt nicht im Blick, wenn er weiterhin längere Lebensarbeitszeiten fordert und über zu viele Berufstätige lamentiert, die vorzeitig in Rente gehen. Oft gehen müssen, weil der Körper nach 40 Jahren Schinderei wirklich nicht mehr mitmacht. Denn für Menschen, die wirklich hart körperlich arbeiten müssen, ist das Rentensystem erst recht nicht gemacht.

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In meinem Freundes/ Bekannten und Kundenkreis(ca.500 Betriebe) geht fast jeder sobald es möglich ist (selbst mit Abzügen) sofort in Rente/Vorruhestand. Ist ein interessanter Artikel, sollte man Regionen mal eruieren (Stadt/Land-Ost/West). Ich jedenfalls habe einen vollkommen anderen Eindruck.

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