Noch ist es kein fertiger Jahresabschluss, was Finanzbürgermeister Torsten Bonew am 15. Januar vorgelegt hat, sondern erst einmal nur der Finanzbericht zum Stand 30. September. Aber zwei Dinge zeichnen sich schon deutlich ab. Erstens wird Leipzig auch das Jahr 2019 mit einem kleinen Überschuss von 11 Millionen Euro abschließen. Und zweitens wird es der Stadt genauso ergehen wie Bund und Land: Auch Leipzig bekommt seine Investitionen einfach nicht am Markt platziert.

Dass Leipzig den sowieso geplanten Überschuss für 2019 sogar noch leicht übertrifft, hat natürlich auch mit einer Mischung aus etwas weniger Sozialkosten, etwas mehr Personalkosten an der einen Stelle, unbesetzten Arbeitsplätzen an anderer Stelle und sehr strengem Finanzregime zu tun. Was schon einiges heißen will. Denn bei fast 1,9 Milliarden Euro Haushaltsgröße sind 11 Millionen Euro im Plus eine echte Punktlandung.

In seinem Finanzbericht formuliert es der Finanzbürgermeister so: „Mit dem Haushaltsplan 2019/2020 wurde für das Haushaltsjahr 2019 ein Ergebnishaushalt mit einem Volumen von rd. 1,881 Mrd. EUR bei einem Überschuss von rd. 6,5 Mio. EUR beschlossen.“

Dieses Ergebnis wird leicht übertroffen: „Nach der aktuellen Hochrechnung zum Stichtag 30.09.2019 wird eingeschätzt, dass im Ergebnishaushalt ein Überschuss in Höhe von 13,4 Mio. EUR und im Finanzhaushalt ein Defizit in Höhe von 133,7 Mio. EUR zu verzeichnen sein wird.“

Aber das beschreibt eben nur die strenge Haushaltsführung der Stadt.

An anderer Stelle aber zeigt sich ein Phänomen, das mittlerweile auch der Bundesfinanzminister hat. Man könnte es als die Folge einer über Jahre praktizierten „Schwarze Null“-Politik bezeichnen, die dazu geführt hat, dass ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, an dem auch der Bund endlich wieder Spielräume sieht, die über Jahre vernachlässigten Investitionen aufzuholen, die entsprechenden Bauprojekte einfach nicht mehr zu platzieren sind, worüber am 15. Januar zum Beispiel die „Zeit“ berichtete.

Und auch beim Bund sind es in beeindruckendem Ausmaß die Kommunen, die ihre Fördergelder entweder nicht beantragen oder nicht abrufen (können). Die „Zeit“: „Es geht um Finanztöpfe wie den Kommunalen Investitionsfonds für Infrastrukturprojekte in Städten und Gemeinden. Der ist sieben Milliarden Euro schwer, davon sind bislang 5,7 Milliarden verplant worden und lediglich zwei Milliarden abgeflossen.“

„Die Gründe für solche Verzögerungen sind fast immer dieselben: Engpässe bei den Baufirmen, nicht genug Planer in den Genehmigungsämtern, bürokratische Regeln für die Vergabe von Aufträgen“, liest man weiter.

Und dann schaut man in die Bilanz des Sächsischen Finanzministers, und siehe da: Er hat denselben Investitionsstau aufgebaut. Auch hier sind es zum Großteil die Kommunen, die die vom Land bereitgestellten Fördergelder nicht abrufen (können). Zu den fehlenden Baufirmen und den über Jahre eingesparten Planern kommen meist noch die fehlenden Eigenmittel, die eine Co-Finanzierung wichtiger Infrastrukturprojekte oft unmöglich machen.

Leipzig hat sich zwar in den vergangenen 14 Jahren aus der Schuldenklemme und der Not, ausgeglichene Haushalte aufzustellen, herausgearbeitet. Aber seit Oberbürgermeister Burkhard Jung sich über gewachsene Spielräume freut, endlich mehr Geld in Straßen und Schulen stecken zu können, scheitern immer öfter Ausschreibungen, weil sich kein sinnvolles Angebot findet, weil die Baufirmen ausgelastet sind bis zur letzten Schraube.

Und die Baufirmen erweitern ihre Kapazitäten auch nicht mehr, weil sie fast alle mittlerweile kaum noch neues Personal finden.

Mittelabfluss für Investitionen nach Quartalen 2019. Grafik: Stadt Leipzig, Finanzbericht
Mittelabfluss für Investitionen nach Quartalen 2019. Grafik: Stadt Leipzig, Finanzbericht

Das Ergebnis: Der schöne Traum des OBM, den er vor einem Jahr bei einer Pressekonferenz im Zoo verkündete, im Jahr 2019 eine fette Milliarde Euro zu investieren, ist geplatzt. Mehr als 400 Millionen davon sollten die Kommunalbetriebe beisteuern, was sie auch zum größten Teil getan haben.

Aber erstmals sollte allein die Stadt 657 Millionen Euro für Investitionen ausgeben, doppelt so viel wie in den Vorjahren geplant.

Doch schon in den Vorjahren konnte die Stadt die geplanten 300 Millionen nie ausgeben. Immer wieder blieben wichtige Investitionsvorhaben in der Schleife hängen, mussten vertagt werden und erhöhten damit die Ausgabereste im Haushalt.

Schon im Juni hatte sich abgezeichnet, dass die Stadt nicht mal die Hälfte der geplanten 657 Millionen Euro würde ausgeben können. Dieser Trend hat sich im September 2019 bestätigt.

„Zum jetzigen Stand würden sich aus 2019 rechnerisch investive Reste in Höhe von ca. 92,4 Mio. EUR ergeben, die nach 2020 zu übertragen wären“, heißt es im Finanzbericht. „Summiert man diese mit den Resten aus den Vorjahren, ergibt sich für 2020 ein neuer Restestand in Höhe von ca. 422,1 Mio. EUR. Hierbei nicht betrachtet sind eventuelle Nichtübertragungen von Resten, da diese Daten zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vorliegen.“

Wobei das Phänomen nicht ganz neu ist

Schon 2011 hatten sich Ausgabereste in Höhe von 112,6 Millionen Euro aufgehäuft. 2016 erreichte der Berg erstmals 222,6 Millionen Euro. Die 300-Millionen-Euro-Marke wurde 2017 mit 309,3 Millionen Euro überschritten. Ins Jahr 2019 wurden dann schon 329,7 Millionen Euro übertragen, die natürlich Teil der 656,7 Millionen Euro sind, die Leipzigs Verwaltung 2019 gern investieren wollte.

Bis zum September aber waren erst 190 Millionen abfinanziert, also fast die Summe, mit der das Jahr 2018 abgeschlossen worden war (196,5 Millionen Euro). Da noch drei Monate offen waren, ist anzunehmen, dass Leipzigs Planer wirklich besser geworden sind und am Ende mehr als 200 Millionen Euro auch wirklich in Neubau umgesetzt haben. Vielleicht sogar die 273,2 Millionen, die sich ergeben, wenn auch noch die angemeldeten Investitionen fürs letzte Quartal gekommen sein sollten, sodass noch 383,6 Millionen Euro übrig bleiben.

Die 383,6 Millionen Euro sind nun der Investitionsberg, den die Stadt ins Jahr 2020 mitnimmt. Mitgenommen haben wird. Der Baumarkt hat sich freilich nicht entspannt, was man auch an den weiter steigenden Baupreisen sieht, über die das Statistische Landesamt am 14. Januar berichtete.

Denn das wirklich weltfremde Denken in „Schwarzen Nullen“ hat auf allen Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – dazu geführt, dass die Infrastrukturen jahrelang vernachlässigt wurden und jetzt ein enormer Nachholbedarf besteht (allein im Kommunalbereich sind es über 50 Milliarden Euro), der mit den vorhandenen Baukapazitäten gar nicht abgearbeitet werden kann.

Städte, Kreise, Länder und Bundesunternehmen sind praktisch alle gleichzeitig in einen Wettbewerb geschickt worden, ihren Investitionsstau wieder abzuarbeiten, und rangeln logischerweise alle um dieselben Kapazitäten.

Was für Leipzig eigentlich heißt: Die Stadt kann froh sein, wenn sie die tatsächlich in Neubau umgesetzten Gelder weiter steigern kann. Aber 657 Millionen Euro sind ein Traum, der auf dem gegenwärtigen Markt schlicht nicht umzusetzen ist. Und das bremst eben auch viele Projekte, die eigentlich schnell fertig werden müssen – die geplanten 40 neuen Schulen ganz vornedran.

Leipzig kann nicht mal die Hälfte der geplanten Investitionen umsetzen, Ausgabereste steigen auf 364 Millionen Euro

Leipzig kann nicht mal die Hälfte der geplanten Investitionen umsetzen, Ausgabereste steigen auf 364 Millionen Euro

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