Warmlaufen für den Oberbürgermeisterwahlkampf und Buhlen um Piratenstimmen. In etwa darum ging es am Donnerstagabend in der "Villa" beim Basistreffen der Piraten. Denn die Stimmenräuber in Orange diskutierten mit den Oberbürgermeisterkandidaten der anderen Parteien. Ob die Piraten selbst antreten, entscheiden sie am 3. Mai 2012.

Die Bundesregierung plant die Ausweitung des Pirateneinsatzes. Mitte Mai soll der Bundestag entscheiden, ob das Mandat der deutschen Soldaten vor Somalia ausgeweitet und erneut verlängert wird.

Einen Pirateneinsatz der anderen Art absolvierten am Donnerstagabend, 19. April, im Soziokulturellen Zentrum “Die Villa” in der Lessingstraße die örtlichen Vertreter der etablierten Parteien. Denn die Digitaltruppe, die gerade mit Wucht die deutsche Parteilandschaft entert, lud die Oberbürgermeisterkandidaten der anderen Parteien zur “Vorstellungsrunde” beim Basistreffen in Orange.

Diese Gelegenheit wollten sich die bereits nominierten Oberbürgermeisterkandidaten Dr. Barbara Höll (Die Linke) und Professor Felix Ekardt (Bündnis 90/Die Grünen) nicht entgehen lassen. Schließlich etablieren sich die Piraten gerade als neue Protestpartei. Das geht wahrnehmungsseitig natürlich – selbst in Zeiten von Finanzkrise und Klimawandel – zu Lasten von Linken und Grünen. Und in bundesweiten Umfragen befinden sich die Piraten schon seit Monaten mit diesen beiden Wettbewerbern annähernd auf Augenhöhe.
Mit Blick auf die Leipziger Oberbürgermeisterwahl interessiert natürlich die Öffentlichkeit, ob die Piraten einen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken. Und mancher Parteistratege dürfte schon durchgespielt haben, wie sehr ein Korsar auf den Stimmzettel das Wahlergebnis Ende Januar 2013 beeinflussen würde. In dieser Gemengelage muss Piratenunterstützung für die bereits nominierten Bewerber nicht abträglich sein. Schwarz-grüne Bemühungen um einen gemeinsamen Herausforderer von Amtsinhaber Burkhard Jung (SPD) scheiterten ja bekanntermaßen.

“Ob die Piraten Leipzig einen eigenen OBM-Kandidaten stellen werden, wird auf dem Kreisparteitag am 3. Mai entschieden”, betont Thomas Walther von den Leipziger Piraten nach der Podiumsdiskussion gegenüber L-IZ noch einmal. Diese Grundsatzentscheidung werde “in aller Öffentlichkeit” getroffen und alle seien eingeladen, daran teilzunehmen.

Den Abend in der Villa verbucht Walther schon mal als Erfolg. “Dieser Abend ist der Anfang eines Versuches, die etablierten Parteien zu einem überparteilichen konstruktiven Dialog zu bringen”, findet der Mann mit dem Jackett in der Parteifarbe orange. “Gleichwohl ist dies ein steiniger Weg, wie auch die Statements der Vertreter der andern Parteien gezeigt haben”, meint Walther.
Weil die Piraten in Leipzig aktuell einen Kapitän mit dem Patent zur Außendarstellung haben, beschrieben also Barbara Höll von den Linken, der Grüne Felix Ekardt und Detlef Schubert von der CDU ihre Sicht auf die Leipziger Herausforderungen. Mit dem amtierenden Leipziger Oberpiraten Matthias Jung stellten die Gastgeber lediglich den Moderator.

Detlef Schubert ist bekanntermaßen kein OBM-Kandidat und betonte noch einmal, dass er das auch nicht werden wolle. Da die CDU erst “zu gegebener Zeit”, so Schubert, einen Kandidaten aufstellen wolle, muss er einstweilen selbst ran, um die christdemokratischen Prämissen zu erklären. Eine lautet: Leipzig müsse durch weitere Unternehmensansiedlungen seine überregionalen Sektoren stärken, damit die regionale Prozesse wachsen können. “Letztendlich kommt es auf die Operationalisierung der Prozesse an”, sagte der CDU-Vormann. In Wahlkampfdeutsch: Leipzig brauche aus CDU-Sicht an der Stadtspitze endlich einen Entscheider und Macher.

Auch Barbara Höll hob Leipzigs “wesentlich schlechtere Wirtschaftsparameter” im Vergleich mit Dresden und Chemnitz hervor. Zugleich habe sich aus Hölls Sicht der “Politikstil in den letzten Jahren negativ entwickelt”. Deshalb will die linke Frontfrau sich für mehr politische Beteiligung stark machen. Dabei schließt sie ausdrücklich auch jene ein, die weniger gut betucht und weniger artikulationsmächtig sind als andere.
Felix Ekardt hat ein “großes Unbehangen an der Berufspolitik, wie sie sich darstellt”, ausgemacht. Somit empfahl er sich als Seiteneinsteiger. Der Nachhaltigkeitsforscher plädierte für mehr Ungeschminktheit und Ehrlichkeit in der Politik. Und dafür, dabei Zielkonflikte zu benennen und in Leipzig Partizipation der Bürger künftig von Anfang zu ermöglichen. Ekardt glaubt mit Blick auf die Haushaltslage der Stadt nicht an schnelle Besserung, weshalb aus seiner Sicht an mancher Stelle auch der Gürtel enger geschnallt werden müsse. Doch mit dieser Art Transparenz ist Ekardt auf dem Podium allein.

Nun macht so ein Diskurs über die Stadtpolitik eigentlich erst dann Sinn, wenn auch die Sicht des auf seine Wiederwahl drängenden Amtsinhabers zur Sprache kommt. Etwa eine dreiviertel Stunde nach Veranstaltungsbeginn erweiterten die Piraten das Kapitänsdeck um einen weiteren Stuhl. Auf diesem nahm für die SPD der örtliche Landtagsabgeordnete Holger Mann Platz.

Da die drei Chefs nicht könnten, habe er die Vertretung der SPD übernommen, so Mann. Mann sieht die Stadt Leipzig insgesamt auf einem guten Weg. Er führte den Rückgang der Arbeitslosigkeit und den Abbau der städtischen Verschuldung in den letzten Jahren an. Zudem mahnte der Landtagsabgeordnete mit Blick auf Leipzig eine gerechte Verteilung der Fördermittel des Freistaates Sachsen an.

Ein wichtiges Anliegen der Polit-Piraten ist Transparenz. Deshalb drängen sie auf eine “gläserne Verwaltung”. Das soll in einer Transparenzsatzung geregelt sein, für die sie einen eigenen Entwurf erarbeitet haben. Nach den Erfahrungen des Diskussionsabends werde man den anwesenden Personen die Thematik erneut und gesondert vorstellen und um substantiierte Stellungnahme bitten, so Pirat Walther nach der Veranstaltung.

Leipzigs Grünen-Chef Jürgen Kasek sieht seine Partei an dieser Stelle “komplett” bei den Piraten. Ihn freut zudem, dass durch den zusätzlichen öffentlichen Druck durch die neue Partei die grünen Stadtrats-Vorstöße für eine Informationsfreiheits- und Transparenzsatzung einen weiteren Schub erhalten. Darüber hinaus sieht Kasek etwa beim ÖPNV weitere inhaltliche Überschneidungen mit den Piraten.

Die Podiumsdiskussion selbst nennt Jürgen Kasek “das erste Scharmützel im Wahlkampf”, bei dem sich die Bewerber gegenseitig inhaltlich ausgetestet hätten.

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