Über Fluglärm kann man sich nicht wirklich streiten. Man muss damit umgehen. Und man muss ihn reduzieren. Erst recht, wenn er in der Nacht dafür sorgt, dass Menschen aus dem Schlaf gerissen werden. Die Frage war auch am Montag, 12. November, in der OBM-Kandidatenrunde des BUND: Was kann eigentlich der Leipziger Oberbürgermeister tun gegen den Fluglärm im Norden und Westen?

Schnell wurde klar: Der Flughafen heißt zwar so – Leipzig und Halle sind die Namensgeber – aber die Städte haben keine Regulierungsgewalt über den für 1,5 Milliarden Euro Steuergelder gebauten Flughafen. Auch nicht über ihre Mitgliedschaft in der Mitteldeutschen Flughafen AG. Erst recht nicht über die Fluglärmkommission, in der die staatlichen und privaten Akteure, die ein Interesse am Nachtflug-Frachtbetrieb in Schkeuditz haben, die Mehrheit sind. Und selbst die Kommunen, die hier ihre Vertreter (oder die Vertreter von Vertretern) entsandt haben, ziehen nicht an einem Strang. Städten wie Schkeuditz ist der Flughafen mit seinen über 5.000 Arbeitsplätzen zu wichtig. Und Leipzig – das kritisiert CDU-Stadträtin Sabine Heymann, die in der OB-Kandidatenrunde Horst Wawrzynski vertrat – ist nicht präsent genug in der Runde besetzt. “Da müsste der Oberbürgermeister oder zumindest der Umweltbürgermeister sitzen”, sagt sie.

Manchmal ist es nur die Besetzung eines Postens, die zeigt, wie wichtig eine Stadtverwaltung ein Thema nimmt.

Einig waren sich eigentlich alle, dass die von der Deutschen Luftsicherung 2007 in Eigenregie eingeführte Südabkurvung schleunigst abgeschafft gehört. Für den unabhängigen Kandidaten Dirk Feiertag war die Durchführung des Planverfahrens zur Südstartbahn schlichtweg “Verarsche”. Es wurden in der Bürgerbeteiligung andere wahrscheinliche Flugrouten unterstellt. Eine kurze Südabkurvung über den Leipziger Westen kam nicht vor. Was Bürgern und Umweltverbänden auch die Chance eines Vetos nahm: Was nicht abgebildet wurde, kann man ja nicht ablehnen.

Für den Grünen-Kandidaten Felix Ekardt geht das Problem noch weiter. Er hält das mittlerweile in Deutschland geltende Fluglärmrecht für verfassungswidrig. Es ist eines der vielen Umweltthemen, die der Nachhaltigkeitsforscher auch als Jurist betreut hat. Insbesondere der zugelassene Nachtfluglärm verstoße gegen das Recht der Bundesbürger auf körperliche Unversehrtheit. Es gibt mittlerweile einige Studien, die die gesundheitsschädigenden Folgen von dauerhaft gestörter Nachtruhe belegen.

Aber es ist die Bundesgesetzgebung, die den Flughafenbetreibern Spielräume lässt. Die Konflikte sind zwangsläufig. Was kann man tun? – Die militärische Nutzung untersagen, sagt die Linke-Kandidatin Barbara Höll. Damit könnte man ein Drittel des Fluglärms mindern. – Geht nicht, sagt Holger Mann, der in der Runde OBM Burkhard Jung (SPD) vertritt. Auch das liegt in Bundeshoheit, der sowohl die eigenen Militärtransporte regelt als auch die Transitflüge der US-Streitkräfte.

Was bleibt? – Dialog hört man, sagt auch René Hobusch, Kandidat der FDP, der sich auch deutlich zum Flughafen und zum Nachtflugbetrieb bekennt. Auch der Arbeitsplätze wegen. Ein Punkt, der Dirk Feiertag sichtlich aufregt. Auch er ist Anwalt, vertritt auch öfter Klienten des Jobcenters vor Gericht. Nicht nur in Fragen angemessener Unterkunftskosten, ein Thema, das im Lauf des Abends auch noch kurz aufkocht. Aber wenn in Leipzig über Arbeitsplätze geredet wird, dann wird fast immer die nachhaltige Dimension vergessen. Und einige Tausend der seit 2005 neu entstandenen Arbeitsplätze auch im Umfeld der Leipziger Logistiker sind keine nachhaltigen, vollwertige schon gar nicht. Die Entlohnungen sind oft so niedrig, dass die Arbeitenden dann trotzdem noch beim Jobcenter um Unterstützung nachsuchen müssen, oft sind die Arbeitsverträge befristet, manchmal reine Saisonarbeitsverträge.

“Wir müssen viel mehr darauf achten, dass die Arbeitsplätze, die entstehen, ökologisch und sozial sind”, sagt Feiertag. Und da könne man sich nicht immer nur “auf die paar Großen” fokussieren bei der Wirtschaftsförderung. “Wenn ich OBM bin, werde ich mich darum kümmern, dass Wirtschaftsförderung endlich für den richtigen Mittelstand in Leipzig gemacht wird.”

Ein großes Thema, das da auf Leipzig zurollt. Im D-Zug-Tempo, hätte man früher gesagt. Das Wortspiel funktioniert mit ICE leider nicht.Aber wo eben schon beim Fluglärm der Konflikt auftauchte, den jeder mit sich austrägt – Felix Ekardt wies darauf hin -, welche Art Mobilität jeder für sich für jeden einzelnen Weg wählt, wird das beim Stadtverkehr selbst zum Grundkonflikt. Während Felix Ekardt, der nicht nur über Nachhaltigkeit doziert, sondern auch versucht, sie zu leben, auf das Automobil und das Flugzeug selbst bei europaweiten Vortragsreisen verzichtet, sieht René Hobusch schon bei der täglichen Familien-Logistik in Leipzig das Problem, dass ohne Auto nichts zu machen ist.

Ich schaffe das ohne Auto, sagt Eckart.

Ja, Sie mit ihrer Lofft-Terrasse in Schleußig, sagt Hobusch.

Und weil Ekardt gerade nicht dran ist mit seinen zwei Rede-Minuten, kann er nur den Kopf schütteln. Eine Lofft-Wohnung hat er nicht. So schnell kommt es zu Missverständnissen.

Wird es auch kommen, wenn Leipzig wirklich ernsthaft daran geht, den Verkehr in der Stadt neu zu organisieren. Denn die meisten Kandidaten an diesem Abend sind sich eigentlich einig, dass der so genannte Umwelt-Verbund gestärkt werden muss. Das kostet aber Geld. Erst recht, wenn man akzeptiert, dass der ÖPNV künftig das Rückgrat des Stadtverkehrs sein soll. Vielleicht gar fahrscheinlos, wie es Dirk Feiertag fordert, der zumindest weiß, das auch das nicht kostenlos ist. Die Stadtgesellschaft muss die Kosten der LVB ja trotzdem aufbringen. Doch die würden sogar sinken – nämlich um die Kosten des Vertriebs – bis hin zu den Kontrollen in den Bahnen.

“Jeder zehnte Fahrkartenautomat ist doch sowieso kaputt”, sagt Feiertag. “Auch diesen Ärger kann man sich sparen.”

Positiver Effekt wäre: Das Umsteigen vom Auto in die Straßenbahn fällt leichter. Denn nur so macht ja Werbung für den Umweltverbund Sinn.

Was auch einschließt: Der Wagenpark der LVB muss modern sein, die Taktzeiten müssen dicht sein. “60 neue Bahnen braucht Leipzig”, sagt Barbara Höll von den Linken. “Und die Taktzeiten müssen sich auf 10-Minuten-Takt verbessern.” So sieht es auch Sabine Heymann: Der Umstieg vom Auto in die Straßenbahn funktioniert nur, wenn das Angebot komfortabel ist. Für Ekardt heißt das: Die Stadtgesellschaft muss ihre Prioritäten neu verteilen. “ÖPNV oder Wohngebiet am Lindenauer Hafen, Radwege oder Straßenbau.”

Man ahnt: Auch in Zukunft wird jedes einzelne Zukunftsthema ausgehandelt und im Stadtrat mit Argumenten ausgekämpft werden müssen.

Ein Reizwort sagt Ekardt noch: Parkraumbewirtschaftung. Ein Thema, das dann in einer eigenen Publikumsfrage noch einmal auftaucht: Wie will Leipzig sein Parkraumproblem lösen?

“Mit mehr ÖPNV und Radverkehr”, sagt Holger Mann.

“In Richtung Umweltverbund lenken”, sagt Ekardt. Und meint damit dasselbe. Aber wie tun? Ein Großteil der Leipziger ist – so wie die meisten Kandidaten – mit allen Verkehrsmitteln unterwegs, selbst René Hobusch, der neben dem Auto auch die Straßenbahn und das Rad nutzt oder auch zu Fuß geht. “Gern tu ich das”, sagt er.

Der Radfahrer ist nicht nur der Radfahrer, sondern – wie Dirk Feiertag es plastisch darlegt – beim nächsten Mal selbst Autofahrer oder Fußgänger. Er sieht die Lösung des Parkraumproblems im Stadtviertel: Die Einwohner sollen es gemeinsam abstimmen. Wurde ja in Schleußig schon einmal versucht und brachte kein Ergebnis. Aber wäre ein Parkhaus die Lösung? Oder doch besser Carsharing und mehr Park & Ride, wie es Barbara Höll und Sabine Heymann ansprechen?

Man ahnt, wie viel noch gar nicht zu Ende gedacht ist, wie viel noch in der Schwebe ist. Und dass die “Stadt der kurzen Wege”, wo man “alles auf engstem Raum” findet, wie Barbara Höll es formuliert, zwar irgendwie existiert – aber in wesentlichen Teilen sogar bedroht ist. Nicht nur durch Gewerbeansiedlungen am Stadtrand, sondern auch durch die zunehmende Gentrifizierung, die jene Leipziger aus der Innenstadt zu verdrängen droht, die sich die steigenden Mieten in einigen beliebten Quartieren nicht mehr leisten können.

Die Antworten der OBM-Kandidaten auf alle Fragen des BUND Leipzig findet man ab Donnerstag, 14. November, auf dessen Website:

www.bund-leipzig.de

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