Nun sind auch diese Zahlen da. Die Sachsen sind wieder alle beisammen: 4.050.204 Stück an der Zahl, nun ganz offiziell für den 31. Dezember 2012. Die sächsischen Statistiker haben die Zahl in der letzten Woche ausgegeben. Sie basiert auf den Zahlen des Zensus 2011. Dresden verzeichnet die Statistik nun mit 525.105 Einwohnern, Leipzig mit 520.838 für den Finaltag des Jahres 2012.

Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung freute sich trotzdem (obwohl die Zahl ja durch den Zensus deutlich nach unten korrigiert wurde): “Leipzig ist eine wachsende Stadt.” Er setzt gewaltige Hoffnungen darauf. “Denn nur durch Bevölkerungswachstum können wir unsere Probleme lösen”, sagte er am Donnerstag, 20. Juni, als die Expertenkommission ihm ihre Empfehlungen zur “Weiterentwicklung des Organisations- und Personalentwicklungskonzepts” überreichte.

Darin stehen auch die Trends, die die Kommission zusammengetragen hat, welche die Zukunft der Stadt bestimmen. Die Mitglieder dieser aus kompetenten Leipzigern und externen Fachleuten zusammengesetzten Kommission haben die Verwaltungsmodernisierung ja nicht von Verwaltungsseite her gedacht, sondern von außen. “Wie muss eine Verwaltung eigentlich aus unserer Sicht strukturiert sein, damit sie ihre Aufgaben wahrnehmen kann”, formulierte der Kommissionsvorsitzende Dirk Greskowiak den Anspruch. Diese Sicht gehört zu seiner Profession: Er ist Geschäftsbereichsleiter bei der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement.

Und was sind nun die Trends, die die Kommission herausdestilliert hat?

Kommt das von Burkhard Jung gewünschte Wachstum drin vor? – Wenn ja, dann wäre ja zu fragen: Wie erzeugt man es? Oder ist es eher Ergebnis einer ansonsten chaotischen Entwicklung?

Es kommt nicht vor.

Dabei ist sich Burkhard Jung doch so sicher, dass er das Bevölkerungswachstum auch braucht, um die notwendigen Steuereinnahmen zu generieren. Die müssen nämlich bis 2020 so ungefähr verdoppelt werden, sonst bekommt Leipzig ein Problem bei der Finanzierung all dessen, was die Stadt vorhält. Explizit nannte Burkhard Jung die Eigenbetriebe der Kultur.

So recht scheint die Kommission aber nicht der Meinung zu sein, dass eine Stadtverwaltung darauf auch nur den geringsten Einfluss hat. Höchstens indirekt – als Dienstleister. Ein Dienstleister, der mit dem ihm anvertrauten Geld sorgsam umgeht. Das kommt in mehreren Punkten vor.

1. Die globalen Finanzmärkte haben immer mehr Einfluss auf staatliches Handeln.

4. Die Belastungen des sozialen Sicherheitssystems nehmen zu.

8. Die Verteilung von Vermögen entwickelt sich ungleich. Auch in Leipzig.

14. Auch die Energiekosten steigen.

15. Die öffentliche Verschuldung bleibt ein Problem.

Teilweise steckt in jedem Trend auch eine Chance. In jeder Chance aber auch ein Problem. Denn Bevölkerungswachstum bringt erhebliche kommunale Aufgaben mit sich.

9. Die Anforderungen an Wohnen ändern sich. Bezahlbarer Wohnraum auch für Niedrigverdiener wird knapp.

10. Das hat auch Folgen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Neue Arbeitsformen und Arbeitszeitmodelle verlangen Investitionen in Kinderbetreuungsangebote.

Aber die Bevölkerung ändert sich auch in ihrer Zusammensetzung.

5. Die Altersstruktur ändert sich (immer mehr Ältere).

6. Immer mehr Menschen aus anderen Nationalitäten kommen nach Leipzig. An der Stelle muss man wirklich sagen: Das ist richtig so. Denn nur eine attraktive Stadt ist verlockend für solche Zuzügler (übrigens auch solche aus Bayern und Schwaben).

7. Die Familienstrukturen verändern sich. Single-Haushalte werden genannt, aber das ist nur die halbe Wahrheit: Alleinerziehende und Patchwork-Familien sind viel wichtiger. Und verändern die Stadt auch viel mehr.

12. Das Gesundheitsbewusstsein ändert sich. Das wollen viele Leipziger auch im Alltag leben können.

Bestimmt ist das alles nicht vollständig. Aber die Kommission sieht in schöner Klarheit: Das hat Folgen. Und zwar nicht zuerst für Verwaltungshandeln, sondern für Verwaltungsdenken. – Die Punkte sind alle schön bunt durcheinander gemixt, aber man merkt, dass die Mitglieder der Kommission sich alle schon länger mit dem Problem beschäftigen, dass Leipzigs Verwaltung (oder die anderer Kommunen) sich gegenüber vielen notwendigen Veränderung sperrt.Das hier sind die Felder, wo Veränderung in der Kommune schon längst sichtbar sind:

2. Ist eher ein zweideutiger Punkt – hier wird die “regionale Identität” vermixt mit der überall sichtbar gewordenen notwendigen Vernetzung der Akteure. Man könnte als Stichworte die “Cluster” nennen, aber auch die Foren in Leipziger Fördergebieten oder die Metropolregion Mitteldeutschland, die einfach nicht funktionieren will. Woran liegt es? – Vielleicht daran, dass Verwaltung in vernetzten Strukturen nicht denken kann. Und auch die möglichen Effekte nicht sieht.

11. Das trifft auch auf das Thema Bildung zu. Hier ist die Stadt zwar aktiv – dafür mauert der wichtige Akteur Freistaat.

13. Umweltbewusstsein. Die Kommission sieht die zunehmend prekäre Situation bei Klima und Energie zwar als Gefahr – aber ein Großteil der Stadtgesellschaft ist für eine andere Umwelt- und Energiepolitik sensibilisiert.

16. Auch die Sache mit der Informationstechnik sieht die Kommission eher als Gefahr – für die Teilhabe insbesondere der älteren Bürger. Aber das kann auch täuschen. Denn die entsprechenden Erhebungen zeigen, dass auch die engagierten Älteren längst mit den Neuen Medien agieren – nur nicht unbedingt in den Mode-Netzwerken der so genannten “social media”.

17. Das wäre ein erstaunlicher Punkt, wenn da nicht stünde, die Probleme zur “Überwindung von Entfernungen” würden abnehmen, weil heute Vieles mit Internet geht, was früher eine Fahrt zum Rathaus nötig machte. Auch das könnte ein Irrtum sein. Denn siehe Verkehrspolitik der Stadt (und des Freistaates usw.): Die Probleme zur Überwindung von Entfernungen haben für viele Menschen zugenommen. Denen hilft auch ein Netzzugang nicht immer, denn einen Arzt kann man so wenig via Internet konsultieren wie den nächsten Laden oder den Kindergarten.

18. Mehr Dienstleistungsqualität fordert dieser Punkt.

19. Bürgerschaftliches Engagement nimmt zu.

20. Aber mit gutem Recht können mündige Bürger mehr Partizipationsmöglichkeiten verlangen. Mitgestalten ist das Thema.

Was dann wieder mit der verfügbaren Informationstechnik zu tun hat. Eine Verwaltung kann in einer modernen Gesellschaft nicht den Gralshüter des Wissens spielen. Das Wort “Netzwerk” ist nicht ohne Grund gefallen: Der mündige Bürger kommt nicht mehr als Bittsteller in irgendein Amt – kommt er schon noch, aber das ist nicht mehr die einzige Begegnungsform von Verwaltung und Bürgerschaft. Die Stadtgesellschaft will kommunizieren. Technisch ist sie längst vernetzt. Nur die Kommunikation mit der Stadtverwaltung läuft oft noch auf sehr mühsamen Bahnen. Oder sehr seltsamen, wenn man einige der städtischen “Beteiligungsmodelle” sieht. Das muss sich ändern. Es ist ein Lernprozess. Mit dem sich auch Verwaltung schwer tut.

In den 152 Einzelvorschlägen wird Vieles dazu sehr detailliert. Wie geht man zum Beispiel mit dem angesammelten Wissen der Verwaltung und ihrer Mitarbeiter um? Wie sorgt man dafür, dass es nicht verloren geht? – Wie sorgt man dafür, dass Abteilungen nicht abdriften, weil sie keine Einbindung in die ablaufenden Prozesse mehr haben? Da fällt so ein schönes Wort wie “Prozessbibliothek”.

Jetzt wird es interessant, was die Verwaltung für sich als Projektbausteine aus dieser Vorschlagsliste herausnimmt.

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