Leipzig hat in der kommenden Bundestagswahl wieder zwei Direktmandate zu vergeben: eines im Norden (Wahlkreis 152) und eines im Süden (Wahlkreis 153). Um diese bewerben sich zwölf Kandidaten der etablierten Parteien. Im Interview erzählen diese, warum sie gewählt werden möchten, wie sie die Stadt sehen und was sie im Falle eines Wahlsiegs in Angriff nehmen wollen. In der vierten Folge äußert sich Daniela Kolbe, stellvertretende Vorsitzende der SPD Leipzig und ordentliches Mitglied des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie des Innenausschusses im Bundestag.

Wie viel haben Sie zuletzt für eine Straßenbahnfahrt bezahlt?

2,30 Euro aber ich nehme häufiger die Vier-Fahrten-Karte. Bei schönem Wetter und wenn es nicht so weite Strecken sind, bin ich mit dem Fahrrad unterwegs und ergänze das über den öffentlichen Nahverkehr, mitunter auch mit Carsharing. Und da ich viel mit der Bahn Richtung Berlin fahre, ist das für mich so optimal.

Was hat Sie in der vergangenen Legislaturperiode am meisten geärgert?

Mich hat viel geärgert in der letzten Legislatur, weil ich den Eindruck habe, dass viele wichtige Dinge liegengeblieben sind: Der Mindestlohn ist nicht eingeführt worden. Es gibt immer noch sehr viele Menschen, die für ihre Arbeit extrem wenig Geld bekommen und zum Teil sogar aufstocken müssen obwohl sie Vollzeit arbeiten. Es ist nicht gelungen, die Leiharbeit zu regulieren, Europa steht aus meiner Sicht nicht gut da beziehungsweise Deutschland hätte eine bessere Rolle spielen können.

Und wenn sich etwas getan hat, dann ist es oft in eine Richtung gegangen, die ich nicht gut finde. Wenn ich an die Energiewende denke – Frau Merkel hat da eine Pirouette gedreht, also erst rein in die Atomenergie und dann Atomausstieg. Den Ausstieg finde ich in Ordnung. Aber wenn ich sehe, wie die Energiewende gemanagt wird, ärgere ich mich maßlos. Dieses großartige Projekt wird durch die Regierung diskreditiert, weil es einfach schlecht gemacht ist.

Und der letzte große Aufreger ist für mich das Betreuungsgeld, welches am 1. August eingeführt wurde. Das führt zurück in die 50er Jahre und nicht zu einer Modernisierung dieses Landes.

Und was hat Sie in der vergangenen Legislaturperiode am meisten gefreut?

Da muss ich tatsächlich mal nachdenken. Man freut sich ja meist über die Kleinigkeiten (lacht). Ich hätte mich natürlich sehr gefreut, wenn die SPD mit in der Regierung gewesen wäre um mitzugestalten. Über manche Sachen freut man sich dann aber doch, zum Beispiel dass es jetzt ein Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz gibt. Das hatte die SPD in der großen Koalition mit eingeführt, das finde ich gut und richtig. Wir müssen uns in Leipzig noch ein bisschen mehr anstrengen, um den Ausbau zu erfüllen.

Für mich persönlich war es auch eine große Freude und Herausforderung gleich in der ersten Amtszeit als Abgeordnete im Deutschen Bundestag eine Enquete-Kommission leiten zu dürfen. Ich freue mich, dass Deutschland momentan wirtschaftlich so gut dasteht. Dass das so bleibt, ist aber nicht ausgemacht, das hat mir gerade die intensive Beschäftigung mit den ökologischen und sozialen Grenzen unserer Art des Wirtschaftens gezeigt.
Welche Projekte werden Sie für Leipzig in Angriff nehmen, wenn Sie gewählt werden?

Ich habe in der jetzigen Legislatur im Innenausschuss gearbeitet und es ging insbesondere um die Frage der Bedrohung durch Rechtsextremismus. Durch die Entdeckung des NSU ist das Thema auch stärker in die Öffentlichkeit gekommen. Im Bundestag selbst werde ich mich dafür einsetzen, dass die Programme gegen Rechtsextremismus gestärkt werden, da ist viel zu tun. Da hat die Regierung bisher einiges verschlafen, beziehungsweise einige Dinge haben sich in die falsche Richtung entwickelt. Zum Beispiel müssen Menschen, die sich gegen Rechts engagieren, derzeit eine Extremismusklausel unterschreiben, sie werden damit in eine merkwürdige Ecke geschoben und unter Generalverdacht gestellt. Das werden wir wieder abschaffen.

Für Leipzig selber, über meine Ausschussarbeit hinaus, ist aus meiner Sicht das wichtigste Thema die Frage nach der Qualität von Arbeit. Es schmerzt mich sehr, wie viele Leute in Leipzig geringverdienend und prekär beschäftigt sind. Hier muss die Politik dringend ran. Der Mindestlohn ist nur ein Punkt, aber der ist sehr wichtig und das ist nur der erste Schritt, wir brauchen auch eine Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen. Und die Niedriglöhne haben Konsequenzen. Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, denen stellt sich dann die Frage nach den Renten. Auch da müssen wir ran. Wir wollen eine Solidarrente einführen für Menschen, die lange gearbeitet haben, so dass sie mindestens 850 Euro pro Monat bekommen. Und wir wollen die Renten Ost und West endlich angleichen.

Warum sollten die Leipziger Sie wählen?

Na, die Leipziger haben an mir eine Abgeordnete, die nicht viel Getöse um das macht, was sie tut, sondern lieber arbeitet und anpackt. Mein Bürgerbüro ist immer offen und ich habe auch bei kleinen Problemen versucht, den Bürgern zu helfen, ihnen Ansprechpartner zu nennen oder auch selbst Dinge in Angriff zu nehmen und nochmal nachzuhorchen bei Behörden oder Ministerien. Das will ich auch weiter tun. Ich bin jemand, der zuhört, der dorthin geht, wo die Politik regelt. Vor kurzem war ich in einem Leiharbeitsunternehmen, um mir das mal anzuschauen. Ich gehe mit einem Verein in Familien, die ambulant betreut werden, denen es nicht so gut geht und die Hilfe zur Erziehung benötigen. Um mir auch anzuschauen wie es Menschen ergeht, die es nicht so gut getroffen haben. Ich werde auch im Jobcenter noch mal hospitieren. Das sind alles Bereiche, wo die Politik stark eingreift. Und ich finde, dass ich mir das als Politikerin, mir auch anschauen sollte, wie das unten an der Basis ankommt. Nur so kann man verstehen und begreifen, wo der Schuh drückt und das dann in Angriff nehmen. Das ist mein Verständnis von Abgeordnetensein und ansonsten bin ich überzeugte Sozialdemokratin. Mir ist soziale Gerechtigkeit ein ganz wichtiges Thema. Und vielleicht noch ein letzter Grund – ich bin 33 Jahre alt und damit noch relativ jung. Es tut dem Parlament gut, eine Mischung von jung und alt zu haben.

Was planen Sie, falls Sie den Einzug nicht schaffen?

Dann würde ich was anderes machen. Ich weiß noch nicht was, aber ich bin ein sehr optimistischer Mensch. Für mich gehört es zu meiner grundlegenden Auffassung dass ein Mandat immer auf Zeit ist und jeder, der sich auf Zeit wählen lässt, muss damit klarkommen, wenn das Votum anders ausfällt. Dann geht das Leben weiter und ich will mir die Leichtigkeit bewahren, dass ich mich dann umorientiere. Ich würde jedenfalls nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern weiter ein politischer Mensch sein, der sich einmischt. Aber jetzt kämpfe ich natürlich dafür in den Bundestag einzuziehen und der 22. September ist im Fokus.

Was sind Leipzigs drängendste drei Probleme?

Als erstes die Frage nach der Qualität von Arbeit, als zweites die Frage der Renten. Mir begegnen immer mehr Rentner, die ihr Leben lang gearbeitet haben und davon nicht gut leben können und das ist erst die Spitze des Eisberges. Viele von ihnen sind oft zu stolz zu sagen, ich geh jetzt zum Amt und hol mir Grundsicherung im Alter. Das kann ich gut nachempfinden und es schmerzt mich sehr.

Leipzigs nächste Herausforderung, ich umschreibe es groß als Frage des Bildungssystems: Dafür zu sorgen, dass jedes Kind seine Chancen nutzen kann und jene Potentiale, die mit ihm mitgegeben wurden, zu entfalten. Und das fängt an bei einer guten Kita-Betreuung, geht über eine gute Ganztagsschulbetreuung bis hin zu vernünftiger Berufsausbildung. Da sehe ich in Deutschland noch Potentiale und ich sehe sie auch in Leipzig. Viele junge Leute verlassen die Schule ohne Abschluss. Das darf uns nicht ruhig lassen, da müssen wir ran.

Beamen Sie sich gedanklich ins Jahr 2030. Wie hat sich die Stadt verändert?

Ich liebe diese Stadt, weil sie riesiges Potential hat. Das spürt man schon, wenn man durch die Straßen geht. Die Leute sind stolz, sie wollen was bewegen. Sie stecken nicht den Kopf in den Sand, sondern wollen gemeinsam nach vorne blicken und eine kluge Politik nutzt das. Ich denke im Jahr 2030 wird diese Stadt größer sein als sie jetzt ist. Sie wird wirtschaftlich stärker sein, weil die Ansiedlungen, die derzeit vorgenommen werden, den Grundstein legen für die weitere Entwicklung. Und ich hoffe sehr, dass sie deutlich grüner und ökologischer sein wird. Ökologische Nachhaltigkeit – damit könnte Leipzig noch stärker wuchern: Wir haben den Auenwald, wir haben die ideale Größe für Fahrradverkehr, das erste echte Elektroauto wird hier gefertigt. Ich denke, dass wir 2030 die grünste, ökologischste und sozialste Stadt Deutschlands sind. Ich hoffe aber auch sehr, dass dann die Einkommen höher sind und vor allen Dingen, dass die Kinder, die hier geboren werden, ihre Chancen nutzen können.

Wie stehen Sie zum Vorschlag, ein Großbundesland Mitteldeutschland zu schaffen?

Es steht nicht unmittelbar auf der Agenda aber ich stehe dem offen gegenüber und vielleicht ist es ja 2030 soweit. Warum nicht? Möglicherweise spart man damit Geld und stärkt die Bedeutung der Region, indem man sich zusammenschließt. Ich bin in Thüringen geboren, lebe in Sachsen und finde Sachsen-Anhalt auch ganz wunderbar. Wer sich ansieht, was es an touristischen Attraktionen zu bieten hat, sieht, dass es eine gute Kombination ist.

Würden Sie Ihren Kindern den Job als Bundestagsabgeordnete empfehlen?

Ich würde das empfehlen, allerdings würde ich ein paar Ratschläge dazu geben. Es ist ein sehr intensiver und anstrengender Job. Man muss es wirklich wollen. Das macht auch kein Kollege nur um Geld zu verdienen. Man muss mit Herzblut dabei sein, sonst macht der Job nicht wirklich Spaß. Aber da ich mit Herzblut dabei bin, ist es die großartigste Tätigkeit, die ich mir vorstellen kann. Ich mag daran, dass ich etwas bewegen kann. Ich kann die Weichen stellen für zukünftige Generationen, ich kann mich für eine bestimmte Form von Zusammenleben einsetzen und vor allem kann ich konkret Dinge für konkrete Menschen verbessern, wie den Mindestlohn zum Beispiel. Das würde in Leipzig für weit mehr als ein Viertel der Menschen Lohnerhöhungen bedeuten.

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