Nicht nur die SPD ist sauer. Da strampelt man sich fünf Jahre lang ab, um die ganzen Pläne für Schulneubauten und Schulsanierungen in Leipzig auf die Beine zu bekommen. Doch kurz vor der Kommunalpolitik kommt die CDU aus dem Busch und plakatiert in der ganzen Stadt: Wir waren das. Den Grünen geht es mittlerweile genauso. Im Wahlkampf schnappt ihnen die SPD das Thema Spielplätze weg. "Aber wir waren es, die jedes Jahr einen Antrag dazu geschrieben haben", sagt Katharina Krefft, eine der beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen.

Seit einem Jahr hat auch die Leipziger Grünen-Fraktion ganz im traditionellen Verständnis der Partei eine Doppelspitze. Lange vorbereitet, wie Wolfram Leuze betont, der die Grünen-Fraktion bis 2013 leitete. Bis einer seiner wichtigsten Wünsche als Fraktionschef endlich Wirklichkeit war: ein Bürgermeisteramt für die Grünen – und das auch noch besetzt mit einer kompetenten Frau. Leuze ist sich sicher: Hätten sich die Grünen auf den üblichen Kuhhandel bei der Dezernentenkür eingelassen, wären sie auch diesmal leer ausgegangen, obwohl ihnen nach dem sächsischen Kommunalrecht schon seit Längerem die Besetzung eines Bürgermeisterpostens zusteht. Denn das sieht vor, dass eine Kommunalspitze in Sachsen paritätisch zur Zusammensetzung des Kommunalparlaments zu besetzen ist.

Eigentlich hatten die Grünen den Dienstag, 13. Mai, gedacht als Tag zur Bilanz über die zurückliegende Legislatur. Ein Postkartenheft mit 10 Erfolgs-Blättern haben sie schon seit Wochen an ihren Wahlständen liegen. Ganz erfolglos waren sie nicht. Auch wenn sie sich auch zum Ende dieser fünf Jahre hin noch immer ärgern. Nicht nur über die Eiertänze um die Besetzung von Bürgermeisterposten. Oder über das Schmücken mit fremden Federn, wie es einige Parteien jetzt im Wahlkampf zelebrieren. Wer die ganzen Plakate liest, weiß wirklich nicht mehr, wer eigentlich was gemacht hat im Stadtrat und wer für was steht.

“Ich kann mir die SPD-Plakate angucken und denke mir: Das sind doch alles Grünen-Themen. Da gibt es gar keinen Unterschied mehr”, sagt Katharina Krefft. Dass dieselben Themen dann in Orange auch bei der CDU auftauchen, findet der zweite Fraktionsvorsitzende Norman Volger nur noch dreist. “Die ganzen fünf Jahre waren die nicht zu hören und nun tun sie auf einmal so …”

Dabei ist das eher ein Ärger am Rande für die Grünen, die als erste Fraktion im Leipziger Stadtrat öffentlich das “Leipziger Modell” aufgekündigt haben und seitdem auf Opposition setzen. Da war der Streit über die Frage, ob Leipzig die beiden Stadtwerke-Töchter HL komm und Perdata verkaufen soll oder nicht. Ein Streit, an dessen Ende sich Wolfram Leuze so richtig vorgeführt vorkam, denn er war es, der die Grünen-Stimmen für den Kompromiss zusammentrommelte, der einen Verkauf von 49 Prozent der Anteile beider Unternehmen vorsah. Doch es war am Ende wie so oft: Aus 49 Prozent wurden 100 und OBM Burkhard Jung suchte sich seine Mehrheit woanders zusammen. Selbst SPD-Stadträte, die vorher öffentlich ihre Bauchschmerzen geäußert hatten, stimmten auf einmal für den Verkauf.

“Und das ist nicht der einzige Fall, der mir gezeigt hat, dass das ‘Leipziger Modell’ so nicht mehr funktioniert”, sagt Leuze. Der OBM habe keine klare Linie und mache Politik je nachdem, wie das politische Lüftchen wehe. Leuze nennt das actori-Verfahren als Beispiel, das eine Steilvorlage gewesen wäre, um die Struktur der Eigenbetriebe Kultur wirklich einmal zu ändern. “Aber der erste Gegenwind, und schon war die Sache wieder vom Tisch”, stellt Leuze fest. “So kann man keine Politik machen.”Könnte man vielleicht schon, wenn wenigstens im anderen maßgeblichen Gremium der Stadt eine klare Linie zu erkennen wäre: im Stadtrat. Doch auch hier sucht man dergleichen vergeblich. “Das macht Politik für den Bürger auch unglaubwürdig”, sagt Volger. “Denn für den normalen Leipziger ist nicht mehr erkennbar, wer eigentlich was entschieden hat und wer für was steht.”

Was fehle, sei eindeutig eine Art Koalition im Stadtrat, die wenigstens hier den Auftrag des Wählers wahrnehme, in der Leipziger Politik klare Linien zu setzen. “Und auch wenn es mal harte Entscheidungen sind”, sagt Volger. “Aber wenn man es den Leipzigern erklären kann, warum man es tut, dann akzeptieren sie es auch.”

Ist natürlich die Frage: Gehen dann kleine Fraktionen, die sich nicht an der Koalition beteiligen, mit ihren Anliegen nicht erst recht unter?

“Glaub ich nicht”, sagt Volger. “Man sieht es doch an uns.”

Denn so zerknirscht die Grünen nach den fünf Jahren wirken: Ihre Arbeit ist sichtbar. Oft genug bewirkten gerade sie die großen Diskussionen in Leipzig. Auch weil ihre Positionen klarer waren und den ein oder anderen herausforderten, der es anders sieht. Die Anträge zu einem Gehweginstandsetzungsprogramm, zu mehr Geld für den Radverkehr, zum Fluglärmkoordinator waren Anträge der Grünen. Das Nerven beim Luftreinhalteplan war grünes Nerven. “Die Leipziger haben zwar die Umweltzone verordnet bekommen. Da hat es sich die Stadt ganz einfach gemacht”, sagt Volger. “Aber wenn es um Finanzierung der Maßnahmen aus dem Luftreinhalteplan ging, war’s auf einmal dünne.” Etwa wenn es um Geld zur Pflanzung von 1.000 neuen Straßenbäumen ging.

Zum Klimaschutz gehört auch der Lärmschutz. Dazu trage – so Katharina Krefft – auch das beharrliche Ringen um eine Entschleunigung im Leipziger Verkehr bei. Jüngster Erfolg: das Projekt “Tempo 30” vor Kindergärten und Schulen in Leipzig. Manchmal fallen die Anträge und Vorstöße der Grünen gar nicht mehr auf, weil sie schlicht die Veränderung der Stadt beschreiben. “Um Kindergartenplätze haben wir schon in der Legislaturperiode davor gekämpft, als die Verwaltung noch gar nichts davon hören wollte”, erinnert sich Krefft. “Und als sie dann das mit den fehlenden Kindergärten in den auenwaldnahen Stadtbezirken akzeptiert hat, da wollte sie uns doch tatsächlich einreden, die kinderreichen Familien ziehen einfach an den Stadtrand, bevor die Kinder in die Schule kommen.”

Jetzt werde zwar wie wild gebaut. “Aber es reicht natürlich nicht”, sagt Krefft. “Die Familien sind natürlich nicht an den Stadtrand gezogen. Warum sollten sie auch.”

Ein Thema, das in den vergangenen fünf Jahren immer wieder im grauen Brei stecken blieb, ist das Thema Bürgerbeteiligung. Das “Gläserne Rathaus” ist noch ein Traum. Und langfristige Strategien in der Stadtpolitik stehen zwar mittlerweile in vielen Papieren – doch die werden im Tagesgeschäft zumeist ignoriert.

Aber wie kommt nun eine realistische Linie in die Stadtpolitik? Volger wünscht sich im neuen Stadtrat zumindest Gespräche über eine gemeinsame Linie, auch wenn er noch nicht weiß, wer in welcher Stärke drin sitzen wird und mit wem die Grünen dann reden könnten. Dass die Grünen ihr gutes Ergebnis von 2009 toppen, wagt er nicht zu prophezeien. “Diesmal kann man überhaupt nicht voraussagen, was herauskommen wird”, sagt er. Das “Leipziger Modell” hält er jedenfalls für nicht mehr zukunftsfähig. “Davon müssen wir weg. Wir brauchen klare Absprachen im Stadtrat”, sagt Volger. “Dann wissen auch die Wähler wieder, woran sie sind.”

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