Wie bekommt man heraus, wie viele Wohnungen in Leipzig tatsächlich zur Verfügung stehen? Augenscheinlich ist das ein fast unmögliches Ding. Es sei denn, man stellt alle vorgelegten Statistiken in Frage. Angefangen vom Ergebnis des "Zensus 2011", den die Stadt Leipzig so hinnahm wie ein göttliches Menetekel. Obwohl hunderte Kommunen die ermittelten Zahlen in Frage stellen. Wohl zu recht. Hat es wirklich den gewaltigen Wohnungszuwachs gegeben wie es ihn nach dem Zensusergebnis gab?

“Zum Stichtag am 9.5.2011 standen in Leipzig 39.800 Wohnungen leer”, heißt so ein Satz, den das Stadtplanungsamt aus der Zensus-Statistik in seinen “Monitoringbericht Wohnen 2013/2014” übernommen hat, der am Mittwoch, 25. Juni, vorgelegt wurde. “Parallel zum Zensus wurde 2011 eine Kompletterhebung des Gebäude- und Wohnungsbestandes vorgenommen. Daher lassen sich für den Stichtag 9.5.2011 vergleichsweise umfangreiche Auswertungen zum Gebäude- und Wohnungsbestand vornehmen”, heißt es im Bericht. “Zugleich ist zu berücksichtigen, dass es sich um vorläufige Ergebnisse handelt und nachträgliche Korrekturen möglich sind. Zum Stichtag 9.5.2011 betrug der Wohnungsbestand in Leipzig insgesamt 328.889 Wohnungen in Wohn- und Nichtwohngebäuden (ohne Wohnheime). Vor der Veröffentlichung der Erhebungsergebnisse wurde der Wohnungsbestand für 2011 mit 316.643 Wohnungen angegeben. Daraus folgt, dass der Wohnungsbestand in den Vorjahren um fast 12.000 Wohnungen untererfasst war.”

Weiter heißt es zur Fehlerdiskussion: “Im Schätzmodell war 2008 bereits eine Korrektur des Wohnungsbestands um 5.000 Wohnungen (im Altbau) vorgenommen worden. Anhand der GWZ ist festzustellen, dass der Wohnungsbestand 2010 um weitere ca. 7.000 Wohnungen unterschätzt war, was die Abweichung der geschätzten Zahl leer stehender Wohnungen von der Zählung 2011 erklärt.”

Aber Leerstand ist nicht gleich Leerstand. Und auch darauf geht der Monitoringbericht ein. Mit den 39.800 leer stehenden Wohnungen kann man gar nicht rechnen. Auch nicht mit den 27.000, die das Stadtplanungsamt nun für 2012 ausgerechnet hat. Zwei Drittel stehen dem Markt aktuell gar nicht zur Verfügung. Oder wie im Monitoringbericht zu lesen ist: “2012 waren 60 % der Leerstände auf Vermietungsschwierigkeiten zurückzuführen; das heißt, diese Wohnungen standen mehr als drei Monate leer, ohne dass Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt wurden oder sie wegen eines bevorstehenden Abrisses nicht erneut vermietet wurden.” Weitere 8 Prozent standen zum Abriss, 1 Prozent galt als unvermietbar.

Wirklich zur Verfügung standen nur 25 Prozent, zu denen noch 6 Prozent kamen, die gerade modernisiert wurden. Das kann sich wirklich jeder selbst ausrechnen: Nur 8.370 Wohnungen standen dem Wohnungsmarkt als Reserve zur Verfügung. Auf die 329.559 Wohnungen für 2012 errechneten Wohnungen berechnet also nicht einmal 3 Prozent. Ein Wert, der sich deutlich von den 11,5 Prozent, die das Stadtplanungsamt für 2012 ermittelt hat, unterscheidet.

Das zeigt zwar, welche Sanierungsreserve noch da ist. Aber es bestätigt das Gefühl, das viele Leipziger längst haben: Dass in einigen Segmenten und Stadtteilen kaum noch ein bezahlbares Angebot zu finden ist. 3 bis 4 Prozent sind tatsächlich nur noch die notwendige Reserve, damit Umzüge in einer Stadt wie Leipzig möglich sind.

Natürlich bringt das Immobilienbesitzer in Zugzwang. Aber gleichzeitig haben munter drauflosbeschließende Politiker das Sanieren und Bauen von Wohnraum in Deutschland gnadenlos teuer gemacht. Darauf gingen am Mittwoch, 25. Juni, die Sächsischen Immobilienverbände ein, die extra ein Positionspapier verabschiedeten. Eine Mietpreisbremse ist nur ein Placebo, wenn Immobilienunternehmen nur noch so teuer bauen und sanieren dürfen, dass am Ende Quadratmeterpreise Richtung 10 Euro herauskommen.Deswegen wird in Leipzig derzeit fast ausschließlich im hochpreisigen Segment gebaut und saniert. Einen sozialen Wohnungsbau gibt es praktisch nicht.

Das Stadtplanungsamt findet die Entwicklung erst einmal erfreulich: “In Leipzig entstehen wieder mehr neue Wohnungen durch den Neubau von Mehrfamilienhäusern als in den Vorjahren. “

Im Jahr 2012 überwog die Zahl der im Geschosswohnungsbau neu errichteten Wohnungen erstmals seit zehn Jahren wieder die der neu in Bestandsgebäuden geschaffenen Wohnungen, obschon die Bautätigkeit mit 1.066 Wohnungen auf dem Niveau der Vorjahre verblieb, was auch für den Ein- und Zweifamilienhausbau gilt.

So weit so gut. Aber dann begibt sich das Stadtplanungsamt auf ein ganz vages Feld: “Infolge der dynamischen Einwohnerentwicklung bei gleichzeitig moderater Bautätigkeit ist der Anteil leerstehender Wohnungen im Jahr 2012 auf schätzungsweise acht Prozent (ca. 27.000 Wohnungen) zurückgegangen.” Eine Zahl, die jetzt wohl wieder eifrig kolportiert werden wird, ohne zu bedenken, das der größte Teil dem Wohnungsmarkt nicht zur Verfügung steht.

Die Einwohnerzahl Leipzigs wuchs 2013 im dritten Jahr in Folge um etwa 10.000 Einwohner. Dabei sind es vor allem junge Erwachsene zwischen 18 und 35 Jahren, die nach Leipzig ziehen. Die größten Einwohnergewinne verzeichneten die Ortsteile östlich und nordöstlich des Zentrums und im Leipziger Westen. Diese Zuwanderung sowie steigende Geburtenzahlen bewirken, dass das Durchschnittsalter seit 2010 von 44,0 Jahre auf 43,6 Jahre gesunken ist.

Die durchschnittliche Nettokaltmiete im Bestand betrug 2013 laut Kommunaler Bürgerumfrage 5,08 Euro/m² und ist in den letzten zehn Jahren um rund 6 Prozent angestiegen. Etwas stärker, nämlich um mehr als 10 Prozent, stieg die durchschnittliche Gesamtmiete, da sich die darin enthaltenen Heizungs- und sonstigen Mietnebenkosten in den letzten Jahren verteuerten.Bei der Wieder- und Neuvermietung liegen die durchschnittlichen Mietpreise, die der Immobilienverband Deutschland ermittelt, höher als im Bestand. Dabei treten deutliche Preisunterschiede zwischen den einzelnen Segmenten auf. So variieren die durchschnittlichen Preise im Altbau 2013 je nach Wohnwert zwischen 4,35 Euro/m² und 8,50 Euro/m², im nach 1990 errichteten Neubau zwischen 6,50 Euro/m² und 10,00 Euro/m².

Im Hinblick auf die Fortschreibung des Wohnungspolitischen Konzepts in diesem Jahr sollen nun vertiefende Untersuchungen einzelner Aspekte der Wohnungsmarktentwicklung vorgenommen werden, etwa zur Leerstandsstruktur sowie zur Aktivierung von Leerstand durch Sanierung, betont das Planungsamt noch. Höchste Zeit ist es, denn relativ stabil sind derzeit nur die Bestandsmieten. Bei Neuvermietungen zieht das Preisniveau an. Vor allem im Zentrum der Stadt. Eine Entwicklung, die fast zwangsläufig eine Entmischung zur Folge haben wird. Unterm Stichwort Mietpreisentwicklung im Monitoringbericht nachzulesen: “Räumlich differenziert betrachtet, bewegten sich die durchschnittlichen Angebotsmieten 2013 in einer Spanne von 4,14 ?/m² in Grünau-Siedlung bis 7,68 ?/m² im Zentrum. In fast allen Ortsteilen des Stadtbezirks Mitte sowie in der Südvorstadt betrugen sie über 6,20 ?/m².”

Für den Monitoringbericht ist die Stadt stets mit den großen Immobilienunternehmen im Austausch. Dabei kommt man sogar zu dem erstaunlichen Fazit, dass derzeit noch keine Gefahr im Verzug sei: “Ende 2012 sah die Hälfte der Befragten nach wie vor ein Überangebot an Wohnungen auf dem Leipziger Wohnungsmarkt. Ein knappes Drittel der befragten Experten schätzte ein, dass sich das Angebot und die Nachfrage nach Wohnungen entsprechen. 19 % der Befragten meinten, dass die Nachfrage nach Wohnungen derzeit das bestehende Angebot übersteigt. Im Vergleich zur letzten Befragung 2010 sank der Anteil der Befragten, die eine Überangebotssituation auf dem Leipziger Wohnungsmarkt sehen, um 14 %. Zugleich nahmen die Anteile derer zu, die eine Ausgewogenheit (+8 %) und die eine Angebotsknappheit (+6 %) auf dem Leipziger Wohnungsmarkt ausmachen.”

Und dann kommt ein Satz, der eher nach Beschwichtigung klingt: “Aus Sicht der Befragten wird sich der Trend des Rückgangs des Wohnungsüberangebots hin zu einem ausgewogenen Angebot-Nachfrage-Verhältnis auch künftig fortsetzen.”

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Und das bei diesen Zahlen? Vielleicht ist es an der Zeit, das Monitoring tatsächlich zu hinterfragen. Zwar schätzt die Mehrzahl der Unternehmen ein, dass es jetzt schon zu wenige Wohnungen im Niedrigpreissegment gibt und ab Angeboten von 7,20 Euro je Quadratmeter schon ein Überangebot. Aber fast alle sagen der Nachfrage nach Neubauwohnungen am Lindenauer Hafen und am Bayrischen Bahnhof gute Chancen voraus. Das widerspricht sich im Grunde. Denn sozialer Wohnungsbau ist dort nicht geplant. Der könnte eher in Bahnhofsnähe entstehen. Aber da tun Leipzigs Immobilienunternehmen so, als sei das unmöglich: “Eine eher geringe Nachfrage sahen sie für ein neues Wohnungsbaugebiet zwischen Hauptbahnhof und Berliner Straße.”

Das Fazit nach Lesen der 60 Seiten: Es ist ein großes Rätselraten und gerade die Immobilienunternehmen sind eher ratlos bis unschlüssig, was sie da nun tun sollen. Und ein Grund dafür sind ganz bestimmt die falschen staatlichen Anreize. Und da dort keine Änderung absehbar ist und die “Mietpreisbremse” gerade erst beschlossen wurde, könnte das bedeuten, dass Leipzig mit voller Geschwindigkeit mitten in eine Situation hineinsteuert, die man ganz sicher nicht haben möchte.

Der “Monitoringbericht Wohnen 2013/2014” ist zu finden unter: www.leipzig.de/bauen-und-wohnen/stadtentwicklung/raumbeobachtung-und-monitoring/monitoring-wohnen

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