Man mag ja kalauern, Kunst käme von Können und nicht von Wollen, sonst hieße sie Wunst. Der Sachse spricht es seit jeher eher "Gunst" aus. Diese war es wohl unter anderem, die dem damaligen Neuintendanten Sebastian Hartmann 2008 zum designierten Leipziger Schauspiel-Intendanten machte. Im April 2009 nach persönlichen OBM-Gesprächen und einer Wahl im Stadtrat übte er das Amt bis Mitte 2013 aus.

Seine Kunst sollte mehr Zuschauer in das Haus an der Bosestraße locken, doch diese blieben eher aus. Mit finanziellen Folgen, welche mit seinem Weggang 2013 durch die Stadt Leipzig auf 476.000 Euro Minus aufsummiert wurden. Die Prüfung des sächsischen Rechnungshofes (SRH) kommt nun wohl letztmalig in den Stadtrat zurück – da wo die Dinge 2009 ihren Anfang nahmen.

Sebastian Hartmann machte seither sein Theater, umstritten, geliebt und gehasst. Auch dass soll Kunst – in Leipzig führten die Aufführungen zu Debatten, aber eben auch zu rückläufigen Besucherzahlen. Inwieweit sich Kunst in Zahlen fassen, in Messbarkeiten pressen lässt, wird noch heute gern und ausgiebig debattiert, wenn der Name Hartmann fällt. An Häusern, welche auch derjenige mitbezahlt, der nicht mehr hingeht, ist es immer auch eine Frage nach den eingesetzten Mitteln.

Das Publikum von Vorgänger-Intendant Wolfgang Engel verließ scharenweise das in “Centraltheater” umbenannte Haus. Andere, weniger strömten hinein und riefen Heureka! Oft ging der Blick von der Bosestraße Richtung Feuilleton, vielleicht auch, um sich vom halbleeren Haus abwenden zu können und ein wenig Freude zu erhaschen. Es sei allen gegönnt, welche noch heute in Hartmanns Intendanz das moderne Theater entdeckten, doch das Gönnen können ist den Prüfern vom Sächsischen Rechnungshof (SRH) eher fremd. Nach ihrer Prüfung landet das finanzielle Fazit nun “zur Kenntnisnahme” am 16. Juli 2014 im Leipziger Stadtrat. Garniert mit Anmerkungen der Stadtverwaltung und auszugsweisen Gegenreden von Hartmann und seines Verwaltungsdirektors Volker Ballweg.

Das finanzielle Abbild der Arbeit der beiden Führungspersonen ist erwartungsgemäß kein Gutes, nimmt man die nackten Zahlen zur Grundlage. Der Landesrechnungshof zur Entwicklung von 2008 bis Ende 2011: “Der erhebliche Anstieg der Gesamtaufwendungen konnte nicht durch steigende Umsatzerlöse kompensiert werden. Notwendige Zuschusserhöhungen bei sinkenden Besucherzahlen führten im Zeitraum von 2006/2007 bis 2010/2011 zu einer Erhöhung des Zuschusses je Besucher von 99 Euro auf 136 Euro.” In den veröffentlichten Einwendungen Hartmanns und Ballwegs dazu kein Wort, die Stadt Leipzig stimmt der Einschätzung zu. In schwieriger baulicher Lage im Haus hatte man einst jedoch am “Centraltheater” versucht, weitere Spielstätten, wie das “Weiße Haus” und dem neu eröffneten “Spinnwerk” zur Steigerung der Zahlen zu nutzen – die Bemühungen scheiterten weitgehend in der Amtszeit Hartmanns, das Spinnwerk jedoch hat bis heute Bestand.

Das Ergebnis für den Steuerzahler – jede Eintrittskarte sponserte er also mit 37 Euro mehr als noch in den Jahren zuvor. Darin ebenfalls enthalten, ein Zuschuss in Höhe von 14.000 Euro an Sebastian Hartmann für den Status seiner Wohnung als teilweiligen Dienstwohnsitz, was laut Stadt Leipzig so auch seitens Kulturbürgermeister Michael Faber zugesagt worden war. Auf die Zeit gerechnet, 233 Euro pro Monat – über den Daumen.
Ein Grund für den rasanten Fehlbetrag von 476.000 Euro zum Dienstende Hartmanns 2013 – von ihm in der Schuld juristisch bestritten, von der Stadt durch zwei Prüfungen auf seine Hausführung angerechnet und teilweise gestützt durch den Rechnungshof – könnte in einer weiteren Feststellung des SRH versteckt sein: “Im Zeitraum der Spielzeiten 2007/2008 bis 2011/2012 erhöhte sich die Anzahl der eintrittsgeldfreien Vorstellungen von jährlich 7 auf 122. Der Anteil der nicht zahlenden Besucher hat sich im selben Zeitraum versechsfacht.” Da bleibt der Stadt Leipzig nur noch einmal zu betonen, dass im wieder unter “Schauspiel Leipzig” firmierenden Haus im Gottsched-Viertel zukünftig andere Preismodelle gelten werden.

Herausstechend auch die Bilanz der Konzerte im Haus laut SRH, welche bereits während der damaligen Neueinführung kritisch gesehen wurden. Ob dies nicht durch andere Häuser Leipzigs bereits abgedeckt sei, war nur eine der Fragen, ob man damit zudem die Gagenpreise in Leipzig nach oben treiben würde, eine andere. Nun das Fazit der offensichtlich im Konzertbusiness doch nicht so bewanderten Mitarbeiter des Hauses: 130.000 Euro Minus pro Jahr laut Landesrechnungshof in der Sparte für moderne Musik im Haus. Auch hier gelobt die Stadt in ihren Ausführungen Besserung und betont, dass die Preise für Vermietungen in Abstimmung mit Oper und Gewandhaus überarbeitet würden. “Dabei werden Kalkulationen beachtet”, so die Stadt.

Was fast schon klingt, als ob die einstigen Konzertmacher unter Musikkurator Christoph Gurk an der Bosestraße darauf gänzlich verzichteten. Vielleicht zur Freude der durchaus teils zahlreichen Besucher der Konzerte, welche wohl hätten mehr zahlen müssen oder zur Freude der Künstler, welche sonst geringere oder gar keine Gagen erhalten hätten. Oder eben des Mitarbeiters am Hause, der einen Arbeitsplatz hatte. Vielleicht hätte aber auch aufgrund der örtlichen Gegebenheiten die ganze Idee so nie stattfinden können? Für die damalige Hausleitung sah man sich jedenfalls auch bei den Einmietungspreisen in einer Konkurrenzsituation in Leipzig, welcher man hätte folgen müssen.

Die wahren Gründe für den finanziellen Fehlbetrag im Nachgang noch zu eruieren, dürfte schwer bis unmöglich sein. Doch die Kalkulation selbst hätte laut der SRH-Zahlen jedes andere nichtstaatliche Haus schlicht ruiniert oder zu sofortigen Änderungen gezwungen.

Häuser sicherlich, in welchen ganz andere Tarife an die Mitarbeiter gezahlt werden, als in den städtischen Eigenbetrieben Kultur. Weshalb sich auch die schriftliche Rede und Gegenrede zwischen Stadt und ehemaliger Hausführung um die personelle Ausstattung und die Aufgabengebiete dabei dreht. Auch hier hatte Sebastian Hartmann das Haus quasi von unten nach oben gekehrt, was jedenfalls innerhalb der Kulturszenerie Leipzigs nicht nur zu Jubelstürmen Anlass gab.

Der ehemalige Hausphilosoph wird gestreift, das Debattenformat wird hier nur noch 58.000 Euro Jahresdefizit genannt. Die Überbezahlung eines weiteren Mitarbeiters scheint hingegen vom Tisch, er hatte wohl als Assistenz der Intendanz nur schlicht zu viele Aufgaben in seinem erweiterten Arbeitsbereich.

Und irgendwie scheint zudem das eine oder andere Sponsoringgeschäft schlicht an den Prüfinstanzen der Stadt zeitweilig vorbeigegangen zu sein. Eine Hose, welche sich offenkundig nun auch die Stadt selbst anziehen darf. Das Prüfungsergebnis des SRH: “Die Theaterleitung des Schauspiels schloss entgegen satzungsrechtlicher Bestimmung Sponsoring-Verträge ohne die erforderliche Zustimmung der Stadt. Das Schauspiel gewährte den Sponsoren als Gegenleistung in erheblichem Umfang Freikarten und führte `exklusive` Vorstellungen für Mitarbeiter, Kinder und Gäste der Sponsoren durch.”

In der Stellungnahme der Stadt Leipzig heißt es dazu: “Die Feststellung ist zutreffend. Die Prüfung von Sponsoringverträgen erfolgt generell im Zusammenhang mit der örtlichen Prüfung nach § 105 SächsGemO der jeweiligen Wirtschaftsjahre durch das Rechnungsprüfungsamt der Stadt Leipzig. Regelungen zum Sponsoring unter Beachtung der Prüfungsfeststellungen werden Bestandteil der zu überarbeitenden Eigenbetriebssatzung des Schauspiels Leipzig sein.”

Im Stadtrat wird am 16. Juli erst einmal die Sachstanddarstellung abgenickt und zur Kenntnis genommen werden. Ob sich das bis ins Jahr 2014 verlängerte Ende vom Ende der Intendanz noch einmal vor Gericht drehen wird, ist nach wie vor offen. Sebastian Hartmann hatte wegen der Vorwürfe gegen ihn Anzeige gegen Unbekannt erstattet, die Stadt Leipzig formuliert, Regressansprüche wegen unzulässiger Personalbestellungen nur noch gegenüber Volker Ballweg geltend machen zu wollen.

Eines jedoch steht bereits fest. Die immerhin durch Sebastian Hartmann beanspruchten zusätzlichen Mehrkosten von 1,3 Millionen Euro zum Beginn seines Wirkens am Schauspiel hat Nachfolger Enrico Lübbe mit rund 500.000 Euro bereits wesentlich unterboten. Und die Zuschauerzahlen am alten, neuen Schauspiel Leipzig steigen unter seiner Intendanz bereits wieder. An der Bosestraße heißt es seit letztem Jahr wieder: Weniger Feuilleton, mehr Leipziger Theater.

Prüfung des Kulturraumes Stadt Leipzig Haushalts- und W-irtschaftsführung des Schauspiel Leipzig
http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/7C1D6405AF08783AC1257C5C00287B9A/$FILE/V-ds-3551-text.pdf

Anlagen A und B – Auszüge aus den Stellungnahmen von Sebastian Hartmann und Volker Ballweg
http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/7C1D6405AF08783AC1257C5C00287B9A/$FILE/V-ds-3551-Anlagen%20A+B.pdf

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