Leipzig ist schon seit Jahren dabei, jene Merkmale zu verlieren, die ihm vor 20 Jahren mal den Ruf einer besonders innovativen und lebendigen Stadt im Osten eingetragen haben. Dazu gehört der Ruf als eine Stadt der Kunst mit vielen attraktiven Ateliers, spannenden Galerien sowie einer reichen und quirligen Kreativszene. Doch 2017 scheiterte die Linksfraktion im Stadtrat mit ihrem Antrag, endlich ein Atelierprogramm für Leipzig aufzulegen.

Obwohl längst zu besichtigen war, wie Künstlerinnen und Künstler reihenweise ihre Atelierräume verloren, weil all die alten Fabriken und Gewerbegebäude, die sie in den einstigen Industriequartieren der Stadt als Arbeitsort gefunden hatten, gekündigt und in teure Wohn- und Büroflächen verwandelt wurden. Mit den massiv steigenden Mieten in Leipzig sind sie jetzt noch viel stärker von Entmietung und Verdrängung bedroht.

Ein Thema, das im Kulturausschuss immer wieder zur Sprache kam. Aber da sich nun keiner mehr traute, einen neuen Antrag für ein Atelierprogramm vorzulegen, machte sich SPD-Stadtrat Prof. Getu Abraham die Sache einfach zu eigen und beantragte genau das. Motto: Einer muss ja mal den Mut haben. Und außerdem erinnerte er sich in seiner Stadtratsrede am 18. Oktober an die Zeit, als er vor 34 Jahren nach Leipzig kam – und welchen Eindruck die Stadt damals auf ihn machte.

„Ich hatte ganz schnell begriffen und gelernt, dass Leipzig alles hat: Messestadt, Musikstadt, Universitätsstadt, Kulturstadt, Kunststadt, tolle Stadt.“ Das half ihm bei einem Deutschvortrag am Herderinstitut. Aber das bewegt ihn heute immer noch.

2.200 Künstlerinnen und Künstler

„Was die Stadt und die Künstler brauchen, sind Ateliers, also Räume. Wenn meine Recherche stimmt, hat Leipzig pro Einwohner eine Künstlerdichte von rund 0,23 %, ist vergleichbar mit Berlin, dort sind es rund 0,22 %. Derzeit arbeiten also rund 2.200 professionelle bildende Künstler in Leipzig, zählt man das engere Umland dazu, sind es mindestens ca. 2.500. Hinzuzählen muss man jährlich ca. 100 Absolventen aus der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) und mindestens 200 Künstler, die temporär in Leipzig arbeiten“, nannte er am 18. Oktober in seiner Rede die Zahlen.

„Seit Jahren wächst die Bevölkerung in Leipzig, Stadtviertel werden saniert, die Mieten steigen aufgrund der höheren Nachfrage nach Wohnraum und des besseren Sanierungsstandards. Für Künstlerinnen und Künstler stellt sich deshalb die Ateliersuche als immer schwieriger dar. Nicht nur gibt es weniger bezahlbaren Raum in Leipzig, auch werden bestehende Atelierhäuser saniert und im besten Fall mit deutlich höheren Mietpreisen neu an Künstler vermietet.

Viele Künstler verlieren so ihre Ateliers oder teilen sie sich gruppenweise zu kleinsten Arbeitsplätzen, da sie die neuen, gestiegenen Mieten nicht mehr zahlen können.“

Berlin habe zum Beispiel ein Atelierprogramm und versuche auch mit gemischten Quartieren, die Künstler in der Stadt zu halten.

„Deshalb fordern wir mit unserem Antrag, dass die ‚gemischten Quartiere‘ in Leipzig erhalten bleiben sollen, also, Bestandsschutz für bestehende Atelierräume. Bei Neubauten sollen Ateliers mit geplant werden … Eine lebendige und kulturell attraktive Stadt braucht bildende Künstler“, sagte Abraham.

Und übernahm gleich noch die Änderungsanträge von Linken und Grünen in den SPD-Antrag. Denn die zielten in dieselbe Richtung.

Die Stadt kann auch jetzt schon aktiv werden

Die Linksfraktion hatte gleich eine kleine Liste zusammengestellt, mit Gebäuden, bei denen die Stadt den Erhalt bzw. die Umwandlung zu Atelierräumen prüfen könnte. Gleichzeitig machte Linke-Stadträtin Mandy Gehrt darauf aufmerksam, wie prekär die Lage für Künstlerinnen und Künstler jetzt schon ist. Bei einer aktuell noch laufenden Umfrage meldeten 123 Kunstschaffende Bedarf an Atelierräumen an.

Und die Stadt hat schlicht keinen Pool von Ateliers, die sie an die anfragenden Künstlerinnen und Künstler vermitteln kann. Der „Kulturtanker“ in der Lindenthaler Straße, der noch bis 2029 angemietet ist, ist mit 70 Mietparteien voll ausgebucht.

Die Grünen hatten gleich noch beantragt, für den „Kulturtanker“ in der Lindenthaler Straße ein Konzept für die Zeit nach 2029 vorzulegen.

Nicht nur Berlin macht vor, wie man Künstlerateliers auch in Quartieren mit gemischter Bebauung erhalten kann. Auch Leipzigs Partnerstadt Krakow habe längst ein Atelierprogramm, mahnte Mandy Gehrt.

Und diesmal passierte nicht dasselbe wie 2017, denn mit SPD, Linken und Grünen standen gleich drei Fraktionen hinter dem Antrag, der nun als Paket beschlossen wurde, und erreichten für das Gesamtpaket eine deutliche Mehrheit von 35:19 Stimmen bei zwei Enthaltungen.

Sodass die Verwaltung jetzt einen klaren Arbeitsauftrag hat, wie er gleich im ersten Punkt des SPD-Antrags formuliert ist: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, bis Ende des vierten Quartals 2024 ein Atelierprogramm zu erarbeiten. Parallel zum Freiraummanagement soll gemeinsam mit erfahrenen Partnern wie dem Bund Bildender Künstlerinnen und Künstler e. V. ein Konzept zum Erhalt und Neuschaffung von Atelierräumen für bildende Künstler:innen ausgearbeitet werden.“

Denn wenn Leipzig den Ruf einer Stadt der Kunst bewahren will, muss sich die Stadt auch um die Leute kümmern, die hier einen Ort gefunden haben, an dem sie künstlerisch tätig sein wollen.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar