Der CDU-Abgeordnete Rolf Seidel ist schon eine ganz besondere Marke. Seit 1994 sitzt der Engelsdorfer im Sächsischen Landtag. Auch 2009 gewann er das Direktmandat im Wahlkreis 31. Ein Wahlkreis, den es in dieser Form statistisch gar nicht geben dürfte. Mit einem Bein steht Seidel im Landkreis Nordsachsen, mit einem im Leipziger Norden.

Der Wahlkreis 31, den Seidel 2009 für die CDU gewann, umfasst nicht nur den Leipziger Norden, sondern auch wesentliche Teile des Landkreises Nordsachsen – mit Schkeuditz und Taucha. Spätestens 1999/2000, als Leipzig mehrere Kommunen im Umkreis eingemeindete – darunter auch Seidels Wohnort Engelsdorf, hätten die Wahlkreise im Leipziger Raum neu zugeschnitten werden müssen. In den Folgejahren hat sich das Problem noch verschärft. Denn während Leipzig deutlich an Bevölkerung hinzugewann, verloren die ländlichen Räume.

Was auch das Stimmengewicht in Sachsen deutlich verschob. Während Direktmandate in den Landkreisen mit immer weniger Stimmen zu gewinnen waren, stieg das nötige Quorum in den Großstädten und auch in Leipzig deutlich an. 2009 kamen auf ein Direktmandat statistisch rund 55.000 Wahlberechtigte. Wären die Grenzen der Wahlbezirke angepasst gewesen, hätte das für Leipzig nicht nur 6,5 Direktwahlbezirke bedeutet, sondern 7,5. Ein volles Direktmandat mehr, als die Stadt bekam. Rolf Seidel hätte nicht auf Schkeuditzer und Tauchaer Plakaten geprangt. Er hätte seine Stimmen allein im Leipziger Stadtgebiet gesammelt.

Und er hätte vielleicht etwas früher auch in der Messestadt Flagge gezeigt. Er hat es jüngst getan, als er sich deutlich für eine Beibehaltung des Status Quo bei den Finanzausgleichsmitteln im Freistaat aussprach. Das ist ihm hoch anzurechnen, denn in der Vergangenheit war er fast ausschließlich im Sinne seiner Landkreis-Wähler unterwegs. Die große Messestadt tangierte ihn in seiner Politik nur am Rande.

Nur so ist es wohl auch zu verstehen, dass er sich jetzt trotzdem wieder gegen eine deutlich verbesserte Fördermittelzuteilung für Leipzig aussprach. “Natürlich müssen wir alles daran setzen, den riesigen Investitionsstau an den Leipziger Schulen schnellstmöglich abzubauen – selbstverständlich auch mit Hilfe des Freistaates Sachsen. Aber um Ross und Reiter eindeutig zu benennen: Schulhausbau ist eine kommunale Aufgabe”, sagte er am 10. Februar. Nachzulesen auf der Website der Leipziger CDU.Insbesondere SPD- und Linke-Abgeordnete hatten eine bessere Fördermittelzuweisung für Leipzig gefordert, nachdem – durch die Anfrage eines Chemnitzer CDU-Abgeordneten – bekannt geworden war, dass Leipzig satte 600 Millionen Euro weniger an Fördermitteln erhalten hatte als die gleichgroße Landeshauptstadt Dresden. Seidel: “Die Verantwortung für den Zustand ihrer Schulen liegt einzig und allein bei der Stadt Leipzig. Manchmal frage ich mich, womit sich die Oberbürgermeister und die für die Schulen zuständigen Leipziger Sozialbürgermeister, allesamt von der SPD, in den letzten 15 Jahren beschäftigt haben – jedenfalls nicht mit den Leipziger Schulen. Vielleicht sollte die Stadtspitze mal einen Betriebsausflug in irgendeine der Leipziger Umlandkommunen unternehmen. Dort kann man sich anschauen wie Schulen aussehen können – wenn man nur will.”

Wie Leipzig sich das Geld beschaffen soll, das es vom Freistaat nicht bekommt, ist für ihn ganz einfach: “Das eigentliche Problem ist die Stadtratsfraktion der Linken, die unter anderem durch die Ablehnung des Verkaufes stadteigener Firmen verhindert, dass sich die Haushaltslage der Stadt Leipzig spürbar verbessert. Entweder sorgen die Linken endlich mit dafür, dass Leipzig Geld in die Kasse bekommt, oder sie müssen die Verantwortung dafür übernehmen, wenn Leipzig weiterhin Fördermittel an den Freistaat Sachsen zurückgeben muss.”

Wie die Fördermittelvergabe in Dresden funktioniert, scheint ihn da nicht weiter zu interessieren. Entsprechend geharnischt kritisiert ihn Margitta Hollick, die schulpolitische Sprecherin der Leipziger Linksfraktion: “Seit über 20 Jahren ist Herr Seidel Landtagsabgeordneter und mit der Eingemeindung von Engelsdorf auch Leipziger Bürger. Aber er scheint die politische Situation weder im Land noch in der Stadt bewusst wahrzunehmen. – Die Rolle des Sächsischen Finanzministeriums bei der Fördermittelschwerpunktsetzung und -vergabe sowie die Rolle der CDU-Bürgermeister bei der Festsetzung investiver Schwerpunkte müssten ihm bekannt sein. Wenn nicht, gebe ich gern Nachhilfe.”
Immer mehr Aufgaben übertrage der Freistaat an die Kommunen, ohne ausreichend gegenzufinanzieren. “Noch skandalöser ist, dass EU- und Bundesmittel nicht vollständig an die Kommunen weitergereicht werden”, kritisiert Hollick. “Ich habe keine öffentliche Kritik dazu von Herrn Seidel vernommen. Natürlich tragen die Kommunen die Hauptverantwortung für den baulichen Zustand der Schulen, aber investive Fördermittel vergibt das Land.”

Seit Jahren seien die Fördermittel überzeichnet und auch Leipzig bekommt regelmäßig Absagen, weil keine Gelder mehr im Fördertopf seien. So wurden die Gelder für die Sanierung der Schule “Am Adler” mehrfach verschoben und dann abgelehnt. Die Fördermittel für die 3. Grundschule wurden erst im Dezember 2011 zugesagt. “Wir haben sie noch nicht”, betont Hollick. “Leipzig hat in den ersten 15 Jahren seit 1990 sicher Fehler in der Schulpolitik gemacht. Diese konnten in den vergangenen fünf Jahren mit Prof. Fabian nicht aufgeholt werden. Das ist wahr. Aber Fördermittelanträge für Schulbauten hat Leipzig ausreichend gestellt, doch keine oder ablehnende Reaktionen aus Dresden erhalten.”

Sie hat sogar noch eine besondere Aufgabe für Rolf Seidel. “Wir wissen immer noch nicht, ob und wie viele Fördermittel wir für 2012 erhalten”, sagt sie. “Hier könnte er sich verdient machen. Schuldzuweisung in der gegenwärtigen Situation zeugt von Hilflosigkeit. Landtagesabgeordnete und Stadträte sollten vor allem im Interesse der Kinder an einem Strang ziehen.”

Und auch von SPD-Abgeordneten aus Leipzig gibt’s heftige Kritik für den Grenzwanderer. “Offensichtlich hat sich Herr Seidel mit der Problematik Schulinvestitionsförderung nicht einmal oberflächlich befasst. Ihm wäre sonst aufgefallen, dass geplante Investitionen in Schulen im Leipziger Haushalt stets mit Eigenmitteln untersetzt waren”, kommentiert der SPD-Landtagsabgeordnete Dirk Panter das, was Rolf Seidel offensichtlich nicht weiß. “Trotzdem zählte für das zuständige Ministerium scheinbar nicht Klasse sondern Masse. Die Vergabe von Fördermitteln anhand der Anzahl eingereichter Anträge – wie vom Ministerium vorgeschoben – ist ein Armutszeugnis sondergleichen und soll nur die politische Ungleichbehandlung sächsischer Regionen kaschieren. Noch deutlicher wird die politische Präferenz in Sachsen, führt man sich folgenden Vergleich vor Augen: In Dresden waren im Zeitraum 2006 bis 2011 53 Prozent, in Leipzig jedoch nur 39 Prozent der Gesamtinvestitionen für Schulhausbau Fördermittel. Herr Seidel soll sich also lieber für die Gleichbehandlung Leipzigs einsetzen anstatt Luftblasen zu produzieren.”

Auch der SPD-Abgeordnete Holger Mann sieht das Problem in der ungeklärten Zuordnung des Abgeordneten Rolf Seidel: “Seidel fühlt sich als Abgeordneter scheinbar nur dem ländlichen Raum verpflichtet. Anders lässt sich nicht erklären, warum es ihn nicht stört, dass es in Nordsachsen zwischen 2005 und 2011 1.783 Euro Investitionsförderung pro Schüler vom Land gab, für Leipzig aber nur 958 Euro. Für mich folgt daraus nur eins: Wir brauchen endlich eine gerechtere und transparentere Förderpolitik, bei der alle Schülerinnen und Schüler in Sachsen gleich viel wert sind. Im Übrigen: Wenn der Freistaat nur die Kosten zur Sanierung bzw. Wiedereröffnung der Schulen übernehmen würde, die Leipzig auf sein Betreiben (Mitwirkungsentzug) schließen musste, wären wir ein ganzes Stück weiter.”

Panter und Mann in einem gemeinsamen Statement: “Darüber hinaus sollte Herr Seidel als Schulpolitiker wissen, dass es sich beim Schulhausbau zwar um eine Pflichtaufgabe der Kommune handelt. Da diese jedoch per Gesetz vom Freistaat auf die Kommune übertragen wurde, impliziert dies auch eine entsprechende finanzielle Ausstattung der Kommunen vom Land. Dieser wird nicht nachgekommen, das Gegenteil ist der Fall, gekürzt wird zuerst bei den Kommunen.”

Aber so recht als Abgeordneter für seine Kommune scheint sich Rolf Seidel doch noch nicht verstehen zu wollen. Sollte er aber eigentlich. Denn eigentlich sitzen nicht nur die Abgeordneten der Oppositionsparteien im Landtag, um für Leipzig zu arbeiten. Auch die der Regierungskoalition tun’s. Oder sollten es tun. Auch wenn sie erst seit zwölf Jahren als Leipziger Bürger gemeldet sind.

Das Statement von Rolf Seidel zur Leipziger Schulbau-Misere: www.cdu-leipzig.de

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