In Bautzen lebt man ruhig. In Bautzen gibt es keinen Flughafen. In Bautzen gibt es keinen Frachtflugverkehr und keine Militärtransporter, die nachts über den schlafenden Bürgern ihre Start- und Landanflüge nehmen. Den Richtern des Oberverwaltungsgerichts in Bautzen fiel es leicht, am Mittwoch, 4. Juli, die Klagen von zwei Hallenser Einwohnern abzuweisen, die dummerweise unter den Flugrouten des Flughafens Leipzig/Halle wohnen, obwohl sie vor dem Einzug in ihr Haus extra gefragt hatten.

Das Urteil ist typisch für den Umgang der sächsischen Verwaltung mit dem Flughafen Leipzig/Halle und den im Planfeststellungsverfahren nicht festgelegten Flugrouten. Als die Unterlagen zum Bau der neuen Start- und Landebahn Süd ausgelegt wurden, die erst den Weg öffnete zum Ausbau des Airports zum Frachtflughafen und zum nächtlichen Frachtflugbetrieb, waren die geplanten Flugrouten wohlweislich ausgespart. Den Bürgern, die die Gelegenheit zur Einsichtnahme nutzten, wurden Unterlagen präsentiert, in denen die Wohngebiete der beiden Großstädte Leipzig und Halle bei den suggerierten An- und Abflugrouten unberührt schienen. Wer fragte, dem wurde von allen betrauten Instanzen erklärt: Die Stadtgebiete werden nicht überflogen.

So erging es auch den beiden Hallensern, die jetzt gegen den Überflug ihres teuer erworbenen Eigenheims klagten.

Das Sächsische Oberverwaltungsgericht in Bautzen hat die Klagen gegen zwei Abflugverfahren vom Flughafen Leipzig/Halle abgewiesen. Das Urteil nebst Begründung wurde der Rechtsanwaltskanzlei Baumann Rechtsanwälte am Mittwoch, 4. Juli, übermittelt.

Grund für die Klagen war, dass im Planfeststellungsverfahren für den Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle davon ausgegangen worden war, dass die Stadtgebiete von Halle von Fluglärm entlastet werden sollen. Die damals angenommenen Flugrouten ließen eine Betroffenheit von Hallenser Gebieten nicht erkennen, betonen die Rechtsanwälte noch einmal.Auch der Stadt Halle war vom Flughafen versprochen worden, dass über Halle nie geflogen würde. Die beiden Klägerinnen hatten im Vertrauen hierauf ihren Wohnort in Halle-Ost gewählt und zwar in einer Gegend, in der die Stadt Halle das so genannte 1.000-Häuser-Programm initiiert hatte, das sich gerade an Familien mit Kindern richtete und diesen vergünstigte Möglichkeiten des Eigentumserwerbes in Halle-Ost bot. Für die Klägerinnen war deshalb nicht akzeptabel, dass eine Neufestsetzung der Flugrouten ihren Wunsch von einem Familienleben in einem ruhigen Gebiet vereiteln und die hierfür getätigten Investitionen entwerten sollte.

Das Oberverwaltungsgericht in Bautzen hat nun mit dem Urteil vom 4. Juli die Hoffnungen der Hallenser Bürger zunichte gemacht, die für sie nur schwer erträgliche Lärmsituation rückgängig zu machen. Womit es den Hallensern nun genauso ergeht, wie es schon mehreren Leipzigern erging, die gegen die nachträglich eingeführten Flugrouten geklagt hatten.

Das Gericht hat die Abweisung der Klage im Wesentlichen darauf gestützt, dass die Festlegung der Abflugverfahren nur einer Überprüfung auf Einhaltung der “Willkürgrenze” unterliege und deshalb ein plausibler Grund für die Einführung der Flugroute ausreichend sei.Zudem nahm das Gericht – wenig überzeugend nach Ansicht der Rechtsanwälte der Klägerinnen – an, dass ein bloßer “Verteilungsfall” von Fluglärm vorliege, da angeblich jegliche denkbaren Routenvarianten zu vergleichbaren Lärmbelastungen führen würden und es deshalb nur noch darum ginge, wer im Ergebnis die Lärmbelastung zu tragen habe. Es ist dieselbe Argumentation, mit der die Deutsche Flugsicherung ihre neuen Routen-Varianten plausibel zu machen versuchte.

Diese Lärmbelastung, so das Gericht, überschreite nicht die Schwelle der Zumutbarkeit und sei deshalb von den Anwohnern hinzunehmen, obwohl die Flugbewegungen vor allem in der Kernzeit der Nacht stattfinden.

Das OVG ging sogar noch weiter: Soweit von den Klägerinnen geltend gemacht wurde, dass im Ausbauverfahren für den Flughafen die Entlastung der Stadtgebiete von Halle ein wesentliches Planungsziel war, könnten sie sich hierauf nicht berufen, weil ihre Grundstücke östlich vom Zentrum in Halle lägen und nicht so stark besiedelt seien wie das Zentrum und der Norden bzw. der Süden von Halle.

Nicht gewürdigt habe das Gericht zudem, so die Rechtsanwälte, dass im Verfahren der Fluglärmkommission gegenüber behauptet worden war, bei den Routen über Halle handele es sich um bloße “Notabflugrouten”, wodurch die Vertreter der Stadt Halle in der Fluglärmkommission getäuscht wurden.

Rechtsanwältin Franziska Heß von der Kanzlei Baumann Rechtsanwälte ist von der Entscheidung enttäuscht: “Das Gericht hat aus meiner Sicht die Bindung, welche der Planfeststellungsbeschluss auch bei der Flugroutenfestsetzung erzeugt, nicht hinreichend gewürdigt. Auch die Annahme, das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung habe einen so weiten Entscheidungsspielraum, dass das Gericht im Ergebnis nur eine Willkürkontrolle vorzunehmen habe, halte ich angesichts der für die Hallenser Bürger im Planfeststellungsverfahren nicht erkennbaren Betroffenheit durch Fluglärm für verfehlt. Schließlich mutet die Behauptung, Halle-Ost solle nicht von dem Ziel der Planfeststellung, die Hallenser Stadtgebiete von Fluglärm zu entlasten, profitieren, schon fast zynisch an.”

Rechtsanwalt Wolfgang Baumann zieht Parallelen zu dem Flugrouten-Streit in Berlin: “Es ist an allen Flughafenstandorten das gleiche unwürdige Spiel. Die Behörden und der Flughafen erklären während des Planfeststellungsverfahrens unisono, dass am Wohnort der späteren Betroffenen kein Fluglärm zu erwarten sei, da dort Flugrouten nicht vorbeiführen werden. Nach Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses und der Inbetriebnahme des neuen oder erweiterten Flughafens sind ganz andere Personen lärmbetroffen, als vorher angegeben wurde. Die Gerichtsbarkeit nimmt sich dieses Konfliktes bisher nur völlig unzureichend an: Im Planfeststellungsbeschlusses ist keine Regelung für Flugrouten gesetzlich vorgesehen, sodass der Fehler nur bei der Flugroutenregelung liegen kann. Die Festlegung der Flugrouten wird fast ausnahmslos rechtmäßig sein, weil Gerichte nur überprüfen, ob die geregelten Flugrouten nach völlig unsinnigen und willkürlichen Kriterien festgesetzt worden sind. Damit haben die Kläger gegen Flugrouten keine Chance. Das ist ein rechtlicher Missstand. Nachdem die Gerichtsbarkeit entweder nicht willig oder nicht in der Lage ist, diese für die Lärmbetroffenen fatale Situation erträglich zu regeln, ist der Deutsche Bundestag aufgerufen, eine vernünftige gesetzliche Regelung zu schaffen.”

Die Kanzlei Baumann Rechtsanwälte will das Urteil dennoch nun ausführlich prüfen und gemeinsam mit den Mandanten entscheiden, ob gegen die Entscheidung Nichtzulassungsbeschwerde mit dem Ziel einer Überprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht einlegt wird.

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