Die Zukunft der ländlichen Räume in Deutschland wird in hohem Maße von den dort lebenden Jugendlichen bestimmt. Wenn sie noch da leben und leben wollen. Schon die simplen Erfahrungen in Freizeit und Schule stellen wichtige Weichen für die Entscheidung, ob sich die Jugendlichen für einen Lebensentwurf in Dorf oder Kleinstadt entscheiden. Zum Beispiel in Grimma.

Der Frage ging das Johann Heinrich von Thünen-Institut nach und befragte in den letzten Jahren 2.600 Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren in sechs verschiedenen ländlichen Regionen in ganz Deutschland. Im Mittelpunkt der Studie “Jugend in ländlichen Räumen – zwischen Bleiben und Abwandern – Lebenssituation und Zukunftspläne von Jugendlichen” stehen die Möglichkeiten und die Schwierigkeiten, wie sie die Jugendlichen selbst wahrnehmen und die sie für ihre eigene Zukunft in ihrer Region sehen.

Zu den Untersuchungsregionen, drei in Ostdeutschland und drei in Westdeutschland, gehört auch die Region Grimma. Die Bereiche wurden aufgrund der Bedingungen vor Ort in drei Regionaltypen gegliedert:

  • strukturschwach, schrumpfend: Friedland (Mecklenburg-Vorpommern) und Krummhörn (Niedersachsen)
  • wirtschaftlich stabil, wachsende Bevölkerung: Grimma (Sachsen) und Furth (Bayern)
  • wirtschaftlich und demografisch unauffällig, (alt)industrielles Umfeld: Königssee (Thüringen) und Meßkirch (Baden-Württemberg)

Was der Stadt Grimma als Ergebnis wichtig war:

Dazu wurden allgemeinbildende Schulen unterschiedlicher Typen und Berufsschulen in die Untersuchung einbezogen. Im Raum Grimma beteiligten sich die Oberschule Grimma-Böhlen, die Oberschule Trebsen, das Gymnasium St. Augustin, das Gymnasium Brandis und das Berufliche Schulzentrum Grimma an den Befragungen. Unter anderem wurde den Schülern die Frage nach der Bedeutung einer guten Schule gestellt. Die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler in den allgemeinbildenden Schulen sind mit dem Angebot “überwiegend und völlig zufrieden”.Lange Schulwege gelten vielfach als Nachteil. Laut Studie benötigen 76 Prozent der Grimmaer Jugendlichen weniger als 30 Minuten für den Weg von Zuhause zur Schule. Auch Schüler aus Dörfern mit weniger als 500 Einwohnern benötigen nach eigenen Angaben keineswegs durchgängig mehr Zeit für den Schulweg als Jugendliche aus größeren Wohnorten.

Für 89 bis 94 Prozent aller deutschlandweit Befragten stehen Freundschaften und “Etwas mit Freunden in der Freizeit zu unternehmen” an oberster Stelle der Freizeitbeschäftigung. Die Grimmaer stechen dabei heraus, dass 80 Prozent der Befragten angaben, einen besten Freund oder eine beste Freundin an der Schule zu haben – führend in der Tabelle. Zum Vergleich in Mecklenburg-Vorpommern haben nur 58 Prozent aller Befragten eine enge freundschaftliche Verbindung mit den Mitschülern. Neben dem “Abhängen mit den Freunden” steht das “Surfen und Chatten im Internet” an der zweiten Stelle der beliebtesten Freizeitaktivitäten. Über zwei Drittel der Grimmaer Jugendlichen sind mit ihrem eigenen Zugang zum Internet zufrieden. Ganz hoch im Kurs der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen stehen die sportlichen Aktivitäten. Die Grimmaer zeigen das größte Interesse im Vergleich. Für 65 Prozent ist das Angebot an Sportstätten sehr wichtig.

Die unterschiedlich bewertete Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV) wird an der stärkeren Inanspruchnahme in Grimma sichtbar: Hier nutzen 72 Prozent aller befragten Schüler öffentliche Verkehrsmittel. Die Anbindung an Leipzig aus Brandis, Trebsen oder Grimma gilt als sehr gut. Dem gegenüber stehen nur 48 Prozent ÖPNV-Nutzer in den untersuchten Orten in Baden-Württemberg und Bayern. Die Zufriedenheit mit 44 Prozent ist in Grimma ausgesprochen hoch, stellt das Thünen-Institut fest.

Die Jugendlichen in den Untersuchungsregionen sind mit ihrem Leben insgesamt in einem hohen Maß zufrieden. So gaben 69 bis 82 Prozent der befragten Jugendlichen in allgemeinbildenden Schulen an, sie seien mit ihrem Leben überwiegend oder völlig zufrieden. Die Grimmaer Schüler fühlen sich dabei statistisch am wohlsten. Auch die Frage zu den Möglichkeiten, das eigene Leben selbst zu gestalten? – erreichte in Grimma die größte Zustimmung. Drei Viertel der Befragten sind mit den Gestaltungsmöglichkeiten zufrieden. Eine weitere Frage bezog sich auf die politische Einflussnahme. Dabei ist das politische Interesse in Grimma am stärksten von Bedeutung. Zehn Prozent der Befragten interessieren sich sehr für Politik und 23 Prozent der Schülerinnen und Schüler aus dem Raum Grimma gaben an, dass sie mit der politischen Einflussnahme zufrieden sind. Der Beitrag enthält zusammengefasste Auszüge aus dem Thünen Report 12 “Jugend in ländlichen Räumen zwischen Bleiben und Abwandern”.So weit die Meldung der Stadt Grimma zur Studie des Thünen-Instituts. Und der Rest? Auf den es ankommt?

Zum Beispiel die eigentlich wichtige Frage, ob die Jugendlichen glauben, später in der Region auch Arbeit zu finden (S. 78) ? – Da liegt Grimma eher wie Krummhörn in Niedersachsen, Königsee in Thüringen und Friedland in Mecklenburg-Vorpommern in der Gruppe der Orte, in denen die Hälfte der jungen Leute keine berufliche Zukunft in ihrem Heimatort sieht. Was übrigens der Hauptgrund dafür ist, wenn sich die Ströme der Schulabgänger in Bewegung setzen.

50 Prozent der jungen Grimmaer würden da bleiben – auch wenn’s weniger Geld für die Arbeit gibt.

42 Prozent der jungen Grimmaer glauben nicht, dass sie ihre Zukunftsvorstellungen in der Region verwirklichen können. Damit sind sie ebenso skeptisch wie die jungen Leute aus Königsee und Friedland. Nur 30 Prozent glauben, dass es klappen könnte.

Womit die Hauptthese der Stadt Grimma – “Die Zukunft der ländlichen Räume in Deutschland wird in hohem Maße von den dort lebenden Jugendlichen bestimmt.” – widerlegt ist. Nicht die jungen Leute bestimmen die Zukunft der ländlichen Räume, sondern die alten, die nämlich, die dort Angebote für einen sinnvollen Berufs- und Lebensstart schaffen. Wenn es diese Angebote nicht gibt, packen die jungen Leute ihre Siebensachen und sind weg.

Was auch mit den Lebenszielen der jungen Leute zu tun hat. 93 Prozent der Befragten setzen den Anspruch “Mich selbst verwirklichen” ganz an die Spitze ihrer Prioritäten.

Das gibt auch dem zum BUND gehörenden Thünen-Institut zu denken. Denn dergleichen erfordert Infrastrukturen, nicht bloß ein schönes Heimatgefühl.

Genau dieselbe Wertigkeit hat der Punkt “Eine gute Bildung erreichen”. Womit das Hauptmotiv des Weggehens benannt ist: der nächste Bildungsschritt zum Studium oder zu einer aussichtsreichen Berufsausbildung. (S. 85). In der Studie hat das Thünen-Institut diese Tatsache sehr klar benannt: “Die Lebensziele von Jugendlichen sind so vielfältig wie diese selbst. Sie setzen sich in jedem Einzelfall aus einer Vielzahl subjektiv bewerteter Aspekte zusammen. Bei Lebenszielen fragen die Jugendlichen vielfach nicht in erster Linie nach dem, was sich vor Ort umsetzen lässt, sondern suchen auch nach jenen regionalen Bedingungen, die den eigenen Vorstellungen am nächsten kommen. Die Bedingungen vor Ort sind dabei ein Faktor unter mehreren. Was im Umkehrschluss auch bedeutet: Entscheiden die Jugendlichen über ihre Zukunft, stellen sie unweigerlich den aktuellen Wohnort und die Region zur Disposition.”

64 Prozent der jungen Grimmaer spielen mit dem Gedanken, nach Schule oder Ausbildung wegzugehen. (S. 92) Höher ist dieser Anteil nur noch in Friedland.

Und noch eine Schreckensnachricht für Grimmas Oberbürgermeister Matthias Berger: Mädchen spielen noch stärker mit dem Gedanken wegzuziehen, als Jungen. Grimma ist also sehr typisch für die ländlichen Räume um Leipzig.

In Grimma oder Umgebung bleiben wollen nur rund 30 Prozent der jungen Leute. In den anderen untersuchten Kommunen ist es nicht viel anders. Es ist ein deutschlandweites Phänomen, dass die jungen Schulabgänger in den ländlichen Räumen zu einem großen Teil sofort ihre Sachen packen und wegziehen – vorzugsweise in eine Großstadt oder deren Umgebung.

Was dann auch für die Wanderbewegung in Sachsen heißt: Es geht munter so weiter wie bisher.

Das Thünen-Institut: www.ti.bund.de

Stadt Grimma: www.grimma.de

Die Studie als PDF zum Download.

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