Zwickau liegt in Sachsen. Immernoch. Auch nach dem 4. November 2011, als dort die langjährige Wohnung des Terror-Trios Mundlos/Böhnhardt/Zschäpe in Flammen aufging. Ein Trio, das so allein nicht agierte, wie aus den Ermittlungen so langsam an die Öffentlichkeit tröpfelt. Am aufklärungsunwilligsten zeigen sich immer mehr die sächsischen Behörden.

Vielleicht ist es tatsächlich die Tatsache, dass die NPD im sächsischen Landtag sitzt und in allen relevanten Ausschüssen dabei ist, wenn der Minister und seine Ermittler Auskunft zur so genannten Terrorzelle “NSU” geben. Die Informationen landen sofort bei einer Partei, die mit den Netzwerken rund um das Trio eng verbandelt sein könnte. Noch aktive und ehemalige Mitglieder der NPD sind offenbar längst selbst Gegenstand des Interesses. Denn ohne Hilfe bei der Beschaffung von Geld, Waffen, falschen Ausweisen, Bahncards und Wohnungen hätten die drei in Thüringen abgetauchten Bombenbastler weder über zehn Jahre lang in Sachsen untertauchen können noch ihre Morde und Banküberfälle durchführen können. Wer dabei geholfen hat, ist also wichtig und von hohem öffentlichen Interesse.

Zehn Banküberfälle fanden allein im Raum Zwickau / Chemnitz statt. Und ein Unterstützer, der schon frühzeizig ins Zentrum der Ermittlungen geraten war, André E., lebte ebenfalls in Zwickau. Und die sächsischen Behörden wussten über ihn mehr, als der Innenminister und die Verantwortlichen bislang preiszugeben bereit waren.

Im Gegenteil. Der Verdacht macht sich breit, dass Erkenntnisse sogar zurückgehalten werden. Nicht nur die Thüringer Ermittler, die dem Bombenbauer-Trio vor zehn Jahren auf den Fersen waren, hielten sich mit Informationen an die sächsischen Behörden zurück. Auch die Sachsen tun die Behörden bei der Beobachtung des politisch rechts motivierten kriminellen Milieus so, als wären die Grenzen des Freistaats verschlossen und das beobachtete Milieu ein rein regionales Problem.
Und so berichtete die “Frankfurter Rundschau” am Montag, 13. Februar, unter der Überschrift “Gegeneinander statt miteinander” nicht nur über den von der “Bild am Sonntag” registrierte Vorfall, dass Daten vom Handy des Verdächtigen André E. vom BKA gelöscht wurden, sondern auch über die Tatsache, dass der sächsische Verfassungsschutz über André E. mehr wissen muss, als das, was er bislang zugegeben hat. Im November hatte der Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes, Reinhard Boos, demnach auf Nachfrage angegeben, dass André E., dessen Alias von den drei abgetauchten Terroristen gebraucht worden war, “im Informationssystem seines Amtes lediglich als Teilnehmer eines rechtsextremen Konzertes im Mai 2011 in Mecklenburg auftauche.”

Doch mittlerweile soll Boos in den Sitzungen der Parlamentarischen Kontrollkommission, die die Arbeit des Verfassungsschutzes in Sachsen überwachen soll, zugegeben haben, dass man André E. mehrfach versucht habe, als Informant anzuwerben. Vergeblich wohl. Aber schon diese Tatsache wirft ein sehr grelles Licht auf das, was man so landläufig als V-Männer bezeichnet. André E. betrieb in Zwickau auch jahrelang “einen Laden und Versandhandel für szenetypische Kleidungsstücke” und gehörte “der 2000/2001 existierenden Gruppe ‘Weiße Bruderschaft Erzgebirge’ (WBE) an, die den Kern der NSU-Unterstützerszene bildete.”

Da will nicht nur Miro Jennerjahn, demokratiepolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Sächsischen Landtag, wissen, warum die Informationen der sächsischen Ermittler nur tröpfeln und nur dann an die Öffentlichkeit sickern, wenn wieder einmal Journalisten etwas aufgedeckt haben.

“Die behauptete transparente Aufklärung über den ‘Nationalsozialistischen Untergrund’ (NSU) seitens der Staatsregierung und des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) wird immer mehr zur Farce”, stellt er fest. “Quasi täglich sickern über Medien neue Informationen durch. Wenn der Bericht der ‘Frankfurter Rundschau’, dass das LfV Sachsen wesentliche Informationen über einen Tatverdächtigen zurück gehalten hat, der Wahrheit entspricht, wäre dies ein Skandal aller erster Güte.”

Nicht nur LfV-Präsident Reinhard Boos sei nun in der Pflicht, Klarheit zu schaffen, insbesondere auch Innenminister Markus Ulbig (CDU) stehe in unmittelbarer Verantwortung für die Vorgänge im LfV. “Ich erwarte, dass Innenminister Ulbig und LfV-Präsident Boos umgehend nicht nur die Parlamentarische Kontrollkomission, sondern auch die zuständigen Ausschüsse im Sächsischen Landtag über folgende Fragen informieren”, formuliert Jennerjahn. “Welche Erkenntnisse besitzt das LfV über André E.? Wann und auf welchen Wegen hatte das LfV mittelbar oder unmittelbar Kontakt zu André E.? Aus welchen Gründen wurden die zuständigen Gremien des Sächsischen Landtags in der Vergangenheit nicht korrekt informiert?”

Innenminister Ulbig, so Jennerjahn, müsse sich nun entscheiden, welchen Weg er gehen will. “Betrafen die Vorgänge rund um NSU bislang Zeiträume vor seiner Amtszeit, ist nun mit den möglichen Falschaussagen von LfV-Präsident Boos auch unmittelbar der Verantwortungsbereich von Innenminister Ulbig berührt. Will Herr Ulbig zu denjenigen gehören, die vertuschen, oder will er, wie mehrfach öffentlich behauptet, Aufklärung leisten? Dann müsste er seinen Worten endlich Taten folgen lassen.”

Der Beitrag “Gegeneinander statt miteinander” auf der Website der “Frankfurter Rundschau”
www.fr-online.de

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