Hinter den Kulissen knirscht und knackt es. Geradezu bissig kommentierte Hagen Husgen, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, den Besuch des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich in den Dienststellen der Polizei. Es war die erste Dankeschön-Tour des MP für die Einsatzbereitschaft der Polizistinnen und Polizisten. Aber das Dankeschön kann die Schadensbilanz der "Polizeireform" nicht mehr übertünchen.

Die Polizistinnen und Polizisten im Freistaat leiden schon seit längerem unter den jährlichen Kürzungsrunden im Polizeietat. Manchmal wird dergleichen als “Privatisierung” verkauft, dann wieder als Verschlankung der Strukturen oder gar der Minimierung von obskuren “Schonbereichen” in der Verwaltung. Nicht nur sind hunderte Polizistenstellen seit Jahren schon nicht besetzt, mit der “Polizeireform” wird der Zustand noch verschärft, werden Dienststellen im ganzen Land geschlossen, erhöhen sich Interventionszeiten. Mit dem Sparkurs ist der Freistaat nicht einmal mehr in der Lage, die eigenen Versprechen einzuhalten.

Mit großem Tamtam wurde 2012 die Gründung des “Operativen Abwehrzentrums” (OAZ) als neues, schlagkräftiges Allheilmittel gegen die rechtsextreme Gewalt im Land angepriesen. Dem braven Bürger kam es wie eine Revolution vor, die Schaffung eines wundersamen neuen Instrumentes, das es vorher nicht gab.

Aber das OAZ ist auch im Frühjahr 2013 noch nicht voll handlungsfähig. Das stellt nun mit neuer Enttäuschung die innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, Sabine Friedel, zum Tillich-Besuch im OAZ in Leipzig fest: “Der schleppende Aufbau des Operativen Abwehrzentrums (OAZ) war bereits Anfang dieses Jahres ersichtlich. Von insgesamt 126 Beamtinnen und Beamten sollten nach einer Aufbauphase 100 Beschäftigte am 1. Januar 2013 ihre Arbeit gegen Rechts aufgenommen haben. Tatsächlich waren mit Stand vom 4. Januar 2013 jedoch erst 88 Beschäftigte im OAZ angekommen. Über zwei Monate später sind noch immer erst 98 der geplanten 126 Stellen besetzt. Und entgegen den ersten vollmundigen Ankündigungen der Staatsregierung soll das OAZ nicht nur gegen rechtsextreme Kriminalität kämpfen, sondern auch gegen Linksextremismus. Diese Ausdehnung des Aufgabengebiets führt nunmehr dazu, dass sich nur ein Teil der Beamtinnen und Beamten des Zentrums dem Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit widmen wird.”

Und nicht nur das. Die Polizistinnen und Polizisten im OAZ kommen ja nicht aus irgendwelchen “überflüssigen” Bereichen des Polizeiapparates – sie waren auch schon vorher mit der Bekämpfung politischer Kriminalität beschäftigt. Nur halt nicht zentral, sondern auf die diversen Polizeidirektionen verteilt. Und noch vor einem Jahr waren das insgesamt immerhin 141 Polizisten, die dieser Arbeit nachgingen.

Aber nicht nur Polizisten fehlen im OAZ, sondern auch die von ihnen dringend benötigten Einsatzmittel.

“Wenn der frühere Landespolizeipräsident Bernd Merbitz nunmehr zugeben muss, dass 18 Autos für die regionalen Ermittlergruppen fehlen, ist das ein Armutszeugnis für die ganze Staatsregierung! Ich fordere die Staatsregierung und insbesondere Staatsminister Markus Ulbig (CDU) auf, die notwendigen Einsatzfahrzeuge umgehend zu beschaffen. Denn sonst stehen die Polizeibeamtinnen und -beamten des OAZ nicht den Rechtsextremisten auf den Füßen, sondern sich die Beine in den Bauch.”Einen Tag vor Tillichs medienwirksamem Besuch im OAZ in Leipzig veröffentlichte das Innenministerium die Kriminalitätszahlen für Sachsen im Jahr 2012. Und auch da hatte Sabine Friedel schon ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt gesehen. Denn wer die Polizei über Jahre so schwächt, wie es die sächsische Landesregierung schon vor der “Polizeireform 2020” getan hat, der schafft Freiräume für Kriminelle. Und wenn das gleichzeitig mit dem Abbau sozialer Programme im Haushalt des Landes passiert, hat das direkte Folgen. Insbesondere im Bereich der so genannten Straßenkriminalität.

“Die Zahlen zeigen”, stellte denn auch Friedel fest, nachdem Innenminister Markus Ulbig noch um den heißen Brei herumgemurmelt hatte: “In den vergangenen Jahren hatte sich die Kriminalität sowohl in den einzelnen Deliktbereichen als auch regional immer wieder unterschiedlich entwickelt. Dominierten noch vor Jahren landesweit die Kraftfahrzeugdiebstähle, Firmeneinbrüche oder Buntmetalldiebstähle das Kriminalitätslagebild, so sind es aktuell Fahrraddiebstähle, Kellereinbrüche, Diebstähle aus Kraftfahrzeugen oder die Rauschgiftkriminalität. Dies bedeutet für die Polizei jeden Tag die Lage neu zu bewerten und flexibel auf diese Entwicklung zu reagieren.”

Man merkt, wie sich das wirtschaftsdeutsche Kauderwelsch mittlerweile bis in Bereiche vorgetastet hat, wo es nicht hingehört. Völlig unterbesetzte Polizeidienststellen können nicht mehr flexibel reagieren oder gar irgendwelche Kräfte den “Entwicklungen anpassen”. Sie sind sogar per Gesetz dazu verpflichtet, sofort zu handeln, wenn Gefahr im Verzug ist. Egal wie die Besetzung und die technische Ausstattung sind. Was mittlerweile auch schon heftig in den Krankenstand der sächsischen Polizei durchschlägt.

Nach der letzten Statistik verzeichnete Sachsens Polizei 2011 schon 320.000 Ausfalltage. Damit war jeder Beamte 2011 im Schnitt über 29 Tage krank geschrieben. 2012 waren es bereits 30,4 Tage. Wenn die Polizei also auch nach Stunden noch nicht am Tatort eintrifft, dann bedeutet das in der Regel: Es ist kein Polizist mehr verfügbar.

Und gleichzeitig, so Sabine Friedel, verschärft sich für einige Regionen in Sachsen die soziale Situation: “Die Straßenkriminalität hat in Sachsen deutlich zugenommen. Dazu zählen alle Straftaten, die im öffentlichen Raum begangen werden – also der Diebstahl von Fahrrädern und Autos sowie von Wertgegenständen aus Fahrzeugen (Anstieg im Vergleich zu 2011: 12,5 Prozent). Außerdem gibt es mehr Rauschgift- und mehr Rohheitsdelikte. Die Ursachen hierfür sind vor allem im sozialen Bereich zu finden. Sachsen muss die Alarmsignale verstehen und frühzeitig bekämpfen. Dazu ist eine umfangreiche Kriminalprävention nötig.”

Die Kriminalitätszahlen sind aus ihrer Sicht die Quittung für eine unsoziale schwarz-gelbe Regierungspolitik: “Mehr als 100.000 Tatverdächtige hat die sächsische Polizei im vergangenen Jahr ermittelt. Hier muss die kriminologische Forschung ansetzen: Warum wurden diese Menschen straffällig? Wer Kriminalität wirkungsvoll eindämmen will, der muss ihre Ursachen verstehen und dort ansetzen. Die sächsische Polizei tut zwar ihr Bestes, um die Folgen falscher Politik durch ihre Arbeit zu kompensieren. Die Problemursachen liegen jedoch außerhalb ihrer Zuständigkeit: Zu wenig Stellen bei der Polizei, eine falsche, zentralistische Struktur der Sicherheitsbehörden und vor allem eine Politik der sozialen Spaltung: Diese Ursachen führen zum Anstieg der Kriminalität in Sachsen. Das ist das Ergebnis schlechter und verantwortungsloser Innen- und Sozialpolitik.”

Die Sparpolitik wird mittlerweile zu einer Politik, die das soziale Gleichgewicht in Sachsen aus dem Lot bringt.

Fünf Forderungen habe die SPD-Fraktion aufgemacht, so Friedel.

1. Die sichtbare Präsenz der Polizei im Straßenraum muss erhöht werden.

2. Gerade in den besonders belasteten Städten braucht es Sicherheitspartnerschaften zwischen der Polizei und den lokalen Ordnungsbehörden.

3. Die Polizei muss die Bevölkerung noch stärker als bisher auf den Schutz gegen Diebstahl aufmerksam machen (robuste Fahrradschlösser, Kfz-Wegfahrsperren).

4. Gemeinsam mit den Kommunen muss für mehr Schutz vor Diebstahl gesorgt werden (mehr Fahrradbügel, ausreichende Beleuchtung von Parkplätzen)

5. Die sozialen Ursachen der zunehmenden Massendelikte (Diebstahl, leichte Körperverletzung, Drogenkonsum) müssen in den Blick genommen und bekämpft werden.

Was sie derzeit sieht, lässt sie eine weitere Verschärfung der Entwicklung befürchten, denn: “Die aktuelle Politik der schwarz-gelben Mehrheit in Sachsen macht jedoch das genaue Gegenteil: Weitere Polizeistellen werden abgebaut, die Struktur ausgedünnt. Im Bereich der Prävention wird gedankenlos gekürzt. Und der soziale Ausgleich ist im sächsischen Sparhaushalt gar keine staatliche Aufgabe mehr.” So werde der steigenden Straßenkriminalität nicht der Boden entzogen – im Gegenteil: Der Anstieg der Kriminalitätszahlen sei die Quittung.

Die Januar-Anfrage von Sabine Friedel: www.spd-fraktion-sachsen.de/sites/default/files/news/downloads/Drs%205_10820.pdf

Der Forderungskatalog der Gewerkschaft der Polizei: www.gdp.de/gdp/gdpsac.nsf/id/DE_PM-38-03-2013

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