Eigentlich wäre spätestens der Verfassungsschutzbericht für 2012 einer, der eine klare Qualitätsverbesserung hätte zeigen müssen. Wenigstens ein Signal der Behörde, dass man irgendetwas aus der Tatsache gelernt hat, dass die drei Neo-Nazis aus Jena zwölf Jahre lang im Freistaat Sachsen untertauchen und von hier aus ihre Mordserie starten konnten. Aber der Bericht sah genauso aus wie der von 2011, von 2010, 2009 ... Dornröschen ist munterer.

Entsprechend heftig fällt die Kritik der Opposition aus. Darauf, dass die Regierungskoalition tatsächlich einmal einen Grund sieht, die Behörde wirklich umzubauen, ihre Arbeit deutlich transparenter und ihre Beobachtungsergebnisse sinnvoller zu gestalten, braucht man in Sachsen wohl nicht mehr rechnen. Die Staatsregierung agiert nun auch die letzten zwei Jahre nach dem Prinzip: Links gleich Rechts. Und wenn die Schlapphüte nichts melden aus dem Untergrundnetzwerk der gewaltbereiten rechten Szene, dann braucht man auch nichts beleuchten. Wegschauen als Weltverbesserung.

Vorgestellt hat das neue Makulatur-Werk wieder Innenminister Markus Ulbig. Aber auch ihm bescheinigt die Linke-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz eher Reformunwilligkeit. “Wer nach dem Auffliegen des NSU mit tiefgreifenden Änderungen beim sächsischen ?Verfassungsschutz? gerechnet hat, braucht ab jetzt nicht mehr zählen: Der Reformbedarf ist riesig, die Zahl der konkreten Schritte liegt aber bei Null und der neue Jahresbericht spricht für die Reformunfähigkeit dieser Behörde. Bei Vorstellung des Berichtes erwähnte Ulbig ?Forderungen nach einer Neuausrichtung der Sicherheitsarchitektur? – zugleich verweist er aber auf ?Experten?-Gremien, die ein Festhalten am Geheimdienst-Unfug fordern”, wird sie sehr deutlich in ihrer Kritik.

Und setzt noch eins drauf: “Ulbig vergisst zu sagen, dass er so ein Gremium selbst eingesetzt hatte. Wenn das der vielzitierte ?Philosophiewechsel? sein soll, dann gute Nacht. Verantwortlich für den neuen Bericht ist Gordian Meyer-Plath, der das LfV bisher kommissarisch leitet und zum 1. August zum Präsident berufen werden soll. Der neue Bericht war sein Einstand – und er hat ihn besonders gründlich verrissen. Diese Personalie ist nur eine weitere Episode in der Serie fataler Fehlentscheidungen im Landesamt. Offenbar kehrt nicht jeder neue Besen gut.”

Stur werde das alte Schubladendenken fortgesetzt. “Die ?Terror Crew Muldental? beispielsweise, gegen die wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt wird, gilt schlicht als ?subkulturell?. Wichtige Entwicklungen wie etwa den Aufschwung der so genannten ?Reichsbürger? würdigt der Bericht fast gar nicht. Er wird der Personenverteilung so genannter ?Extremisten? insgesamt auch nicht gerecht, widmet er doch so genannten ?Linksextremisten? einen überproportional großen Anteil”, stellt sie fest. “Ulbig und Meyer-Plath haben zwar mehr ?Analysefähigkeit? versprochen. Der Bericht zeigt aber, dass sie so eine Fähigkeit ganz einfach nicht haben. Andernfalls würden sie erkennen, dass die Gefahr im Freistaat Sachsen von der extremen Rechten ausgeht. Menschen, die das nach dem NSU noch immer nicht begriffen haben, ist nicht zu helfen. Dass solche Menschen Innenminister sind oder ?Verfassungsschutz?-Chef werden, ist Teil des Problems.”Wie frustrierend die Vorstellung insgesamt wirkte, merkt man schon an der Verwendung der Formel vom neuen Besen auch in der Kritik von Eva Jähnigen, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen: “Auch der ‘neue Besen’ kehrt nicht besser: Die vom Verfassungsschutzpräsidenten Gordian Meyer-Plath angekündigte Verbesserung der Analysefähigkeit des Verfassungsschutzes zur Einschätzung des Gefährdungspotentials der Neonazis in Sachsen ist nicht zu erkennen. Der Bericht bleibt wieder nur beschreibend. Ein klare Analyse der Gefahrenlage fehlt.”

Und sie warnt noch einmal deutlich: “Ein ‘weiter so’ ist aber in Anbetracht der beträchtlichen Gefahr, die von den freien Kräften in Sachsen ausgeht, nicht akzeptabel. Ich erwarte klare, für alle verständlichen Analysen der Gefahrenlage durch Rechtsextreme. So lange dies nicht geschieht, kann Innenminister Markus Ulbig (CDU) lange nach dem Schalter für sein ‘Fernlicht’ suchen.” Denn dass derzeit in München gegen Beate Zschäpe und weitere Mitwirkende der “NSU”-Affäre verhandelt wird, heißt ja nicht, dass die gewaltbereite rechte Szene in Deutschland nun auf einmal verschwindet. Sie ist weiterhin gut vernetzt, organisiert sich immer wieder neu und kennt keine Skrupel, gegen Andersdenkende und ihr Missliebige gewalttätig vorzugehen.

“Die seit dem Jahr 2008 nahezu gleichbleibende Anzahl der ‘freien Kräfte’ in der rechtsextremistischen Szene darf eben so wenig beruhigen wie die geringeren Aktivitäten im Internet oder bei Demonstrationen”, stellt Jähnigen fest. “Die gleichbleibend hohe Affinität zu Waffen muss angesichts der NSU-Morde alle Alarmglocken klingeln lassen. Eine solche Einschätzung fehlt dem Bericht. Daran ändern auch die erstmals vorgestellten Lageberichte aus den Landkreisen nichts.”

Und sie registriert, dass auch 2012 eine Aufarbeitung der Fehler im Zusammenhang mit dem “NSU” in Sachsen fehlt: “Bemerkenswert ist, dass sich die Auseinandersetzung des Verfassungsschutzberichts mit der Terrorgruppe NSU nur auf die Beschreibung erstreckt, wie die rechte, linke oder salafistische Szene darauf reagiert hat. Ich vermisse die Aufarbeitung der Frage, wie der NSU sich vom Verfassungsschutz unbemerkt über zwölf Jahre in Sachsen aufhalten und von hier aus agieren konnte. Offenbar ist der Verfassungsschutz nicht in der Lage, seine Versäumnisse zu analysieren und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.”

Und auch die SPD ist durch den Bericht eher alarmiert als beruhigt. Alarmiert, weil augenscheinlich die staatlichen Ermittler die existierenden Gefahren durch ihr Links-Rechts-Ausländer-Geklapper wieder nur zulärmen, aber nicht erhellen.

Sabine Friedel, Sprecherin für Innen- und Rechtspolitik der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag: “Es gibt keine Entwarnung. Die Zahl der Neonazis ist in Sachsen anhaltend hoch. Hier reicht das Verbot der eher unbedeutenden Gruppierung ‘Nationale Sozialisten Döbeln’ nicht aus. Dass nur vier von 26 Neonazi-Konzerten von der Polizei aufgelöst wurden, ist absolut unzureichend. – Die Erweiterung des Berichtes um regionale Lagebilder ist eine erste kleine Verbesserung. Doch damit die erforderliche Neuaufstellung des Landesamtes als erledigt anzusehen, wäre fatal. Für einen richtigen Neuanfang braucht es mehr: Ein neues Verfassungsschutzgesetz, einen öffentlich tagenden Kontrollausschuss, den Verzicht auf V-Leute und nicht zuletzt überzeugendes neues Personal. Wenn das Amt einhundert Meter laufen muss, um gut zu werden, dann hat es bisher lediglich den ersten Meter hinter sich gebracht.”

Und Henning Homann, Sprecher für demokratische Kultur und bürgerschaftliches Engagement der SPD-Fraktion: “Wir brauchen mehr ressortübergreifende Zusammenarbeit. Der Kampf gegen Menschen- und Demokratiefeindlichkeit erfordert einen langen Atem und ein ganzheitliches Konzept. Dazu gehört insbesondere der Wiederaufbau der 2010 massiv gekürzten Jugendarbeit, die kontinuierliche Förderung der Zivilgesellschaft durch das Landesprogramm ?Weltoffenes Sachsen? sowie dauerhaft leistungsfähige Polizeistrukturen. Der Stellenabbau bei der Polizei, die Ausweitung der Extremismus-Klausel sowie die Verfolgung von Menschen, die sich gegen neonazistische Umtriebe engagieren, zeigen den dringenden Handlungsbedarf. Der Verfassungsschutz alleine wird die Probleme nicht lösen.”

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