Ursprünglich war der Begriff "Handygate" formuliert worden, um die alle Grenzen sprengende Abfassung von Verbindungsdaten von Bürgern und Demonstrationsteilnehmern im Umfeld der Anti-Nazi-Proteste im Februar 2011 in Dresden zu beschreiben. Ein Vorgang, mit dem die sächsischen Überwachungsbehörden auch verfassungsrechtliche Grenzen überschritten. Dass nun auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein "Handygate" hat, zeigt nur, wie weit Überwachungsbehörden gehen, denen niemand Zügel anlegt. Doch CDU und FDP in Sachsen wollen sogar noch mehr Bürgerausspähung.

Im Schatten von Bundestagswahl und Koalitionsbildung auf Bundesebene haben CDU- und FDP-Fraktion einen Gesetzentwurf zur Änderung des Polizeigesetzes, des Verfassungsschutzgesetzes, des Versammlungsgesetzes sowie zur Änderung weiterer Gesetze (Drs. 5/12799) ohne erste Lesung im Plenum in den Landtag eingebracht. Am 26. September, gleich nach der Bundestagswahl, haben sie das Konvolut ins Verfahren gebracht.

“Ein schnelles Gesetzgebungsverfahren ist offenbar gewünscht, das Gesetz soll noch in diesem Jahr verabschiedet werden”, stellt dazu Johannes Lichdi, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag, fest. Da soll augenscheinlich ein ganzes Ausspäh- und Überwachungspaket im Schweinsgalopp zum Beschluss geprügelt werden. Die Grünen-Fraktion hat deshalb eine Sachverständigenanhörung durchgesetzt, die nun per Mehrheitsentscheidung auf den 14. November angesetzt ist.

“Der vorliegende Gesetzentwurf von CDU und FDP ist ein Angriff auf unsere Privatsphäre und ist verfassungsrechtlich bedenklich”, sagt Lichdi dazu. “Es ist [ein] Treppenwitz, dass ausgerechnet die Versagerbehörde vom Verfassungsschutz weitere Befugnisse zum Zugriff auf Telekommunikationsdaten zur Durchführung von Strukturermittlungen bekommen soll, also fernab von Gefahrenlagen im Einzelfall. Dies beschreibt die beschränkte Reichweite der Liberalen als angebliches Rechtsstaatskorrektiv in dieser CDU-geführten Staatsregierung.”Und nicht nur der Verfassungsschutz soll jetzt Ausspäh-Befugnisse bekommen, die er bislang nicht hatte und die auch durch die sächsische Verfassung nicht gedeckt sind. Auch mit neuen Datensammel-Befugnissen für die Polizei glaubt die sächsische Regierungskoalition, die Löcher stopfen zu können, die sie mit dem rabiaten Personalabbau beim Polizeipersonal erst aufgerissen hat.

“Nach dem Entwurf der Koalition sollen der sächsischen Polizei mit der Befugnis zu Bestandsdatenabfragen (Name und Adresse) zur Erfüllung jeder Art von Aufgaben auch schwere Grundrechtseingriffe erlaubt werden”, stellt Lichdi fest. “Wohin die Reise gehen soll, zeigt die Massenbestandsdatenabfrage nach dem 19. Februar 2011, von der mehr als 55.000 Menschen betroffen waren. Gerade bei der Zuordnung von IP-Adressen hatte das Bundesverfassungsgericht angesichts technischer Entwicklungen und über die Wirkung eines traditionellen Rufnummernregisters hinausgehenden Informationspotentiales darauf hingewiesen, dass die Ermöglichung der Identifizierung von IP-Adressen nur unter engeren Grenzen verfassungsrechtlich zulässig ist. Genau diese Grenzen will die Koalition nicht setzen. Es fehlen qualifizierte Eingriffsschwellen, um die Angemessenheit der heimlichen Datenabfragen sicherzustellen. Ermöglicht werden soll die Auskunft über den Inhaber einer IP-Adresse auch für Zwecke, die weit geringere Bedeutung haben, als die in der Begründung angegebene konkrete Gefahrensituation für Leib und Leben, etwa bei Suizidankündigungen. Dies wäre durch die Beschränkung auf konkrete Gefahren für hochrangige Rechtsgüter gewährleistet, wie etwa in Nordrhein-Westfalen geschehen.”

Hinter dem Gesetzesvorstoß steckt natürlich auch die Erfahrung der Sächsischen Regierung und ihrer ausführenden Organe mit den Datenabfragen von 2011 und ihrem Nicht-Bestehen vor den juristischen Distanzen. Was nicht nur an der Unrechtmäßigkeit der Datenabfragen lag, sondern auch an der Tatsache, dass die vor Gericht Geladenen mit keinerlei belastbaren Beweisen für gemutmaßte Straftaten konfrontiert werden konnten. Die simple Aussage, dass sich ein Funktelefonbesitzer im Umfeld einer Konfliktsituation aufhielt, ist vor Gericht nicht einmal im Ansatz ein Tatbeweis. Doch statt diese auch fachlich sinnlose Verfahrensweise einzustellen, suchen CDU und FDP augenscheinlich nach Wegen, sie durch neue Gesetzesformulierungen irgendwie verfassungskonform zu machen.

Verklausiert heißt das in der Präambel: “Das Gesetzesvorhaben verfolgt das wesentliche Ziel, das Polizeigesetz des Freistaates Sachen (…) und das Gesetz über den Verfassungsschutz im Freistaat Sachsen (…) an die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf Auskunftsverfahren betreffend Telekommunikations-Bestandsdaten anzupassen.” Dabei kapriziert man sich vor allem auf die Aussage des Gerichtes dazu, dass es für solche Auskunftsverlangen spezielle Regelungen im Landesrecht braucht. Aber für Lichdi ist der Gesetzentwurf nichts anderes als der Versuch, genau diese klaren Regelungen zu umgehen und eher Freiraum für größere Abfragen zu schaffen.

Johannes Lichdi: “Diese Defizite können auch nicht durch den Richtervorbehalt kompensiert werden, den die Koalition vorsieht, um dem Gesetzentwurf einen rechtsstaatlichen Anstrich zu geben. Durch die weit gefasste Ermächtigung droht dieser leer zu laufen.”

Das Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen, zur Änderung des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes und zur Änderung des Sächsischen Versammlungsgesetzes sowie zur Änderung weiterer Gesetze (Gesetzentwurf CDU, FDP, 26.09.2013, Drs 5/12799): http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=12799&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=1

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