Am Dienstag, 17. Dezember, waren sich die Fraktionen von CDU und FDP ganz sicher, dass sie auf dem richtigen Weg waren, als sie die Änderungen im Sächsischen Polizeigesetz und im Verfassungsschutzgesetz beschlossen. Auf dem richtigen Weg beim staatlichen Umgang mit Telekommunikations-Daten. Trotz all der Bedenken, die nach "Handygate" und NSA-Skandal öffentlich wurden. Ist doch nur eine Novellierung, oder? So einfach ist es nicht, sagen die Linken.

Mit der Gesetzesinitiative zur Änderung des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen, zur Änderung des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes und zur Änderung des Sächsischen Versammlungsgesetzes käme der Gesetzgeber doch schlicht einer vom Bundesverfassungsgericht geforderten Novellierung der Rechtslage auf Bundes- und Länderebene nach, die die Eingriffsbefugnisse von Polizei und Verfassungsschutz neu regeln, heißt es aus der CDU-Fraktion.

Mit den beschlossenen Gesetzesänderungen sollen insbesondere zwei sensible Datenschutzthemen behandelt werden: Die Bestandsdatenauskunft der Sicherheitsbehörden bei Telekommunikationsunternehmen sowie die einsatzleitende Bildübertragung bei Versammlungen und Veranstaltungen.

Aber so ganz Unrecht hat Sachsens Datenschutzbeauftragter Andreas Schurig wohl nicht, wenn er den Freistaat auf dem direkten Weg in einen Präventivstaat sieht. Das Denken, das einem derart von Misstrauen geprägten Staat zugrunde legt, entsteht schon in den Köpfen von Politikern, die glauben mit Datensammeln und ausgeweiteter Überwachung mögliche Gefahren im Gemeinwesen erkennen und – präventiv – beseitigen zu können.

“Wir erwarten von unserer Polizei, den Bürger zu schützen und vom Verfassungsschutz, ein sensibles Frühwarnsystem für Gefährdungen unserer Demokratie zu sein. Dafür müssen wir den Sicherheitsbehörden auch die notwendigen Werkzeuge in die Hand geben”, erklärt Christian Hartmann, amtierender Vorsitzender des Arbeitskreises Innenpolitik in der CDU-Landtagsfraktion, seine Sicht auf die Dinge, die eindeutig von diesem Glauben getragen ist. Stichwort: “Frühwarnsystem”.

Mit dem eingebrachten Gesetzentwurf sei “nach intensiver rechtlicher Prüfung und Abwägung kollidierender Interessen ein Regelwerk entwickelt” worden, “das sowohl den Erfordernissen der Praxis wie den fachpolitischen Notwendigkeiten gerecht” werde.

Die Auskunft der Telekommunikationsunternehmen zu Bestandsdaten musste im Nachgang einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes bundesweit neu geordnet werden. Der Bund hatte Mitte des Jahres die Rahmenbedingungen geschaffen. Der Freistaat knüpft nun daran mit einer Landesregelung an, die von einem Höchstmaß an Transparenz geprägt sei, so die CDU-Fraktion. Besondere Verfahren würden “einen effektiven Schutz der Persönlichkeitsrechte des Einzelnen” sichern.
“Wo mit Augenmaß gearbeitet wird, ist der Respekt vor den Freiheitsrechten der Bürger und eine konsequente Sicherheitspolitik kein Widerspruch”, glaubt Hartmann. “Ich glaube, dafür haben wir nun eine gute Grundlage.” Der Innenpolitiker betont auch, dass keine Neuregelungen aufgenommen worden seien, sondern lediglich den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts nachgekommen wurde.

“Ich halte eine Evaluierung der Gesetzesnovelle in drei Jahren für vernünftig, um die praktische Erfahrung zu prüfen. Nur so könnten gegebenenfalls sinnvolle Anpassungen vorgenommen werden”, sagt er noch.

Aber kommt das wirklich so? Ist das Interesse der beiden aktuellen sächsischen Regierungsparteien an einem staatlichen Überwachungssystem nicht viel zu groß? Auch die FDP spielt die Karte vom “sicheren Staat”.

“Der CDU/FDP-Koalition ist es mit den Neuregelungen im Polizeigesetz, im Verfassungsschutzgesetz und im Versammlungsgesetz gelungen, das Sicherheitsinteresse des Staates und das Interesse einer größtmöglichen Wahrung von Freiheits- und Bürgerrechten gut auszutarieren”, versucht Carsten Biesok, rechtspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag, den verbalen Spagat zwischen Bürgerfreiheit und Staatsraison.

“Aus liberaler Sicht sind die Stärkung der Bürgerrechte bei Versammlungen und die Präzisierungen bei den Vorschriften zur Löschung und zur Vernichtung von Akten beim Landesamt für Verfassungsschutz und die strikten Regelungen bei der sogenannten Bestandsdatenabfrage hervorzuheben”, versucht er die Zugeständnisse an das demokratische Recht auf Selbstbestimmung herauszustreichen. “Teilnehmer einer Demonstration dürfen künftig nur noch gefilmt werden, wenn von dieser Person erhebliche Gefahr ausgeht. Die Aufnahmen müssen offen und nicht verdeckt angefertigt werden. Lediglich bei großen und unübersichtlichen Versammlungen dürfen zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes sogenannte Übersichtsbildübertragungen in das Lagezentrum übertragen werden. Diese Bilder dürfen nicht gespeichert werden. Eine Identifikation von Personen findet dabei nicht statt. Heimliches, verstecktes Filmen von friedlichen Demonstranten gehört der Vergangenheit an.”

Nach den Diskussionen um die Vernichtung von Akten beim Landesamt für Verfassungsschutz im Zusammenhang mit dem NSU-Skandal wurde eine Neuregelung zur Löschung von personenbezogenen Daten und Dokumentation vorgenommen. Die Koalition von CDU und FDP habe hier den Vorschlag des Sächsischen Datenschutzbeauftragten eins zu eins übernommen, so Biesok.

Aber der eigentliche Knackpunkt war ja auch im Vorfeld des Beschlusses die Diskussion um die Datensammelei. Carsten Biesok: “Die Polizei darf künftig zur Gefahrenabwehr wieder auf sogenannte Bestandsdaten von Telekommunikationsanbieter zugreifen. Dies sind Name und Anschrift eines Anschlussinhabers. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts musste hier eine zusätzliche landesrechtliche Grundlage geschaffen werden. Durch enge Voraussetzungen für eine Abfrage und durch Verfahrensregelungen wurden die Rechte der Betroffenen angemessen berücksichtigt. So ist für ein Auskunftsersuchen eine im konkreten Fall vorliegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung erforderlich. Die Polizei hat dabei immer die Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die betroffene Person ist zu benachrichtigen.”

Was erstaunlich ist. War dann das “Handygate” der Versuch auszuprobieren, wie weit man gehen kann, ohne diese “Verhältnismäßigkeit” einzuhalten?

Klaus Bartl, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke, hält die neuen Formulierungen für viel zu schwammig, um das zu gewährleisten, was sich Biesok verspricht. “Wir prüfen eine mögliche Normenkontrollklage gegen die heute von der CDU/FDP-Koalition beschlossene Änderung des Polizei- und Verfassungsschutzgesetzes”, erklärt er. “Die viel zu unbestimmten Voraussetzungen für eine Bestandsdatenabfrage öffnen künftigen “Handygates” Tür und Tor. Aus der exzessiven und bundesweit kritisierten Massenausspähung vom Februar 2011 in Dresden sind nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen worden – im Gegenteil: Polizisten oder Verfassungsschützer werden geradezu verführt, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis auch für die Aufklärung von Taten zu verletzen, die weitab von einer Gefahr für Leib und Leben liegen.”

Er bezweifelt, dass das novellierte Gesetz tatsächlich nur bei schwerwiegenden Gefahren zur Grundlage genommen wird. Dazu war selbst die Diskussion zu “skurril”. Bartl: “Das von der CDU gewählte skurrile Beispiel vom drohenden Punkkonzert im Naturschutzgebiet als Ermächtigungsfall für Bestandsdatenerhebung spricht Bände.”

Der Gesetzentwurf von CDU und FDP:
http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=12799&dok_art=Drs&leg_per=5

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