Eine kleine Dienstanweisung genügt, und die umstrittene Extremismusklausel ist zumindest auf Bundesebene vom Tisch. Die neue Bundesfamilienmiminsterin Manuela Schwesig (SPD) hat die diskriminierende Klausel kurzerhand abgeschafft. Was noch nicht heißt, dass auch der Freistaat Sachsen dem folgt. 2010 hatte er die Klausel geradezu mit Begeisterung übernommen.

Entsprechend deutlich waren die Forderungen aus der sächsischen Politik, nachdem die in Chemnitz erscheinende “Freie Presse” am Freitag, 24. Januar, über die Dienstanweisung im Bundesfamilienministerium berichtet hatte. Immerhin werden durch die Klausel ausgerechnet jene Vereine und Initiativen unter Verdacht gestellt, die sich seit Jahren intensiv um die Demokratie und das demokratische Miteinander bemühen.

Welche Auswirkungen die Klausel aber hat, zeigen die beiden Klagen, über die die “Freie Presse” auch berichtete: “Inzwischen sind immerhin zwei Klagen vor dem Verwaltungsgericht Dresden anhängig – eingereicht vom Ökumenischen Informationszentrum (ÖiZ) und von Weiterdenken, der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen. Beiden Vereinen war die inhaltliche Förderfähigkeit der eingereichten Projekte bescheinigt worden. Die – bewusst – verweigerte Unterschrift unter der Demokratieerklärung führte aber in beiden Fällen zur Ablehnung.”

“CDU-Innenminister Markus Ulbig täte gut daran, die Extremismusklausel schnellstmöglich abzuschaffen. Seine Beteuerung, diese Klausel sei keine Misstrauenserklärung gegenüber den gegen Rechtsextremismus engagierten Menschen, wird nicht dadurch wahrer, dass er sie beständig wiederholt”, erklärt dazu Miro Jennerjahn, demokratiepolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion. “Ulbig musste auf meine Mündliche Anfrage hin schon vor langer Zeit vor dem Plenum des Sächsischen Landtag zugeben, dass über das Landesprogramm Weltoffenes Sachsen noch nie ein Projekt gefördert wurde, das aus Sicht der Staatsregierung extremistisch gewesen wäre. Für die Extremismusklausel gibt es damit keinen sachlichen Grund. Sie ist ausschließlich ein beredtes Zeugnis des unterentwickelten Demokratieverständnisses der sächsischen Staatsregierung. Ein solcher Bekenntniszwang ist üblicherweise Kennzeichen autoritärer Regime, nicht von Demokratien.”
Auch die Piratenpartei Sachsen erneuerte am Freitag ihre Forderung nach der sofortigen Abschaffung der bundesweit gescheiterten Klausel. “Während am morgigen Samstag in Schneeberg, Borna und Chemnitz gleich drei rassistische Demonstrationen gegen Asylsuchende in Sachsen stattfinden, bestärkt die Landesregierung diesen Trend, indem sie stur an der Behinderung und Kriminalisierung antifaschistischer und antirassistischer Organisationen durch die völlig überzogene Extremismusklausel festhält”, formulierte dazu am Freitag Marcel Ritschel, Landesvorsitzender der Piraten Sachsen. Und er betonte, das die Piraten die zunehmenden rechten Tendenzen im Freistaat mit großer Sorge sehen. Den von der sächsischen Landesregierung verwendeten Extremismusbegriff und die daraus resultierende Extremismusklausel lehnen sie entschieden ab.

Aber mit diesem eigenartigen Extremismusverständnis war ja die sächsische Regierung in den letzten vier Jahren auf einer Wellenlänge mit der schwarz-gelben Bundesregierung. Das war sowieso schon viel zu lange, findet Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag. “Die Abschaffung dieser Klausel kommt viel zu spät, ist aber ein Schritt in die richtige Richtung”, sagt sie. “Mit der Extremismus-Klausel sind zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich seit Jahren erfolgreich gegen die extreme Rechte, Rassismus und Diskriminierung engagieren, zu Unrecht unter einen Generalverdacht gestellt worden. Das Ergebnis waren Zwietracht, Misstrauen und eine effektive Behinderung des wertvollen Engagements gegen antidemokratische Tendenzen in unserer Gesellschaft.”

Aber war nicht genau das Sinn dieser Klausel? – Zwietracht sehen unter all den Initiativen, die sich oft mit kärglichen Mitteln gegen die wirklichen Extremisten von rechts engagieren? Ein Misstrauen, wie es sich in Sachsen auch gegen die Teilnehmer der im Februar 2011 so gründlich aus den Fugen geratenen Demonstration in Dresden richtet – bis heute – mit Verdächtigungen, Hausdurchsuchungen, Funkzellenabfragen, hunderten Anklagen und Dutzenden Gerichtsprozessen selbst gegen Gewerkschafter, Pfarrer und Politiker. Reicht da die Abschaffung einer Extremismusklausel, um den beabsichtigten Schaden überhaupt zu reparieren?

“Auch nach Abschaffung der Extremismus-Klausel auf Bundesebene wird es lange dauern, den entstandenen Schaden zu reparieren”, sagt Köditz. “In dem Zusammenhang fordere ich die sächsische Landesregierung auf, sich ein Vorbild an Schwesig zu nehmen und die unhaltbare Klausel, die hier auf Landesebene weiter besteht, umgehend und ersatzlos zu streichen. – Bereits seit Jahren kritisieren zivilgesellschaftliche Projekte und Initiativen, Wissenschaftler und die Fraktion Die Linke diese unnütze Gesinnungsprüfung. Währenddessen hat sich die Situation der Zivilgesellschaft zugespitzt – die Initiativen kämpfen Jahr um Jahr ums finanzielle Überleben. Wenn Innenminister Ulbig seine Ankündigung ernst gemeint hat, infolge des NSU zivilgesellschaftliche Projekte zu stärken, ist er in der Pflicht, auch Nägel mit Köpfen zu machen!”

Der Artikel in der “Freien Presse”:

www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/DEUTSCHLAND/Familienministerin-Schwesig-streicht-Extremismusklausel-artikel8682619.php

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